11.05.2015

Portrait

Wilhelm Genazino

Er ist ein sensibler Erforscher des städtischen Raumes: Der Schriftsteller Wilhelm Genazino zieht seine literarische Orientierung nicht zuletzt aus der Beschäftigung mit der Stadt. Mit seiner Heimatstadt Frankfurt, genauer gesagt. In der fand dann folgerichtig auch die dritte Ausgabe der Veranstaltungsreihe „Architektur und Genuss“ statt, die Baumeister gemeinsam mit dem Partner, dem Schweizer Küchenhersteller VZug ins Leben gerufen haben. Die Architekturszene der Mainmetropole war in den Poggenpohl-Showroom gekommen, um zu hören, wie der Büchner-Preisträger Genazino aus seinem Band „Tarzan am Main“ vorlas – und welche Rolle speziell der städtische Raum für Genazino spielt.

Und sie sollten nicht enttäuscht werden. Denn gerade in dem kürzlich veröffentlichten Essayband wird die Stadt immer wieder selber zum Treiber der Handlung. Ob als Hintergrund für das seltsame Zusammentreffen zweier Unbekannter – und einer Ratte – in der U-Bahn. Oder als Austragungsort für die unterschiedlichsten menschliche Dramen, in denen durchaus auch städtische Schattenphänomene wie Armut oder Drogensucht eine wichtige Rolle spielen. Diese Dramen zeigen sich in Frankfurt sogar in besonderer Heftigkeit auf der Straße. Da sind sie eben zwischen den Bankentürmen zu sehen, die Junkies und Obdachlosen. Die Stadt ist zwar ein Mekka des Geldes, aber sie versteckt ihre Narben nicht, aller Gentrifizierung zum Trotz. Für einen modernen Flaneur wie Genazino ist sie daher das richtige Forschungsterrain.

Genazino zeigt, wie die Stadt als Ort der Gegensätze das Zusammentreffen unterschiedlicher Menschen mit extrem unterschiedlichen Hintergründen erst möglich macht. Leicht auszuhalten sind diese Begegnungen durchaus nicht immer. Man schwankt zwischen Trauer und Ärger, wenn er etwa schildert, wie er einem inzwischen in den Alkoholismus abgesunkenen früheren Schulfreund begegnet und welche subtilen Spielchen aus Neid, Interesse und Rückzugswillen sich da auf der Straße zwischen den beiden abspielen. Dennoch bleibt am Ende auch ein Gefühl davon, wie gut es ist, dass solche Begegnungen auch heute noch möglich sind. Und es ist natürlich eine stadträumliche Qualität, diese Art überraschender Begegnungen auch in Zukunft als urbane Option zu erhalten.

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