02.12.2021

Event

Open House Zürich 2021

Luftbildaufnahme vom Zollhaus. Foto: © Annett Landsmann


Das Zollhaus

Architektur vor Ort erleben: Auch in diesem Jahr öffneten in Zürich wieder zahlreiche historische und zeitgenössische Gebäude ihre Türen. Am „Open House“-Wochenende Anfang Oktober führten Architekten und Bauherren durch ihre Projekte, gaben Einblicke in die Planungsprozesse und diskutierten mit den Besuchern.

Zürichs Architekturszene ist vital und breitgefächert – das zeigt auch die diesjährige Projektauswahl der „Open House“-Veranstaltung. Über 100 Gebäude standen an zwei Tagen allen an Architektur und Baukultur Interessierten offen – und laden weiterhin auf der „Open House“-Website zum virtuellen Architektur-Rundgang ein. Die interaktive Karte bietet sich zudem als Architekturführer für die nächste Zürich-Reise an. Zu entdecken sind wegweisende Bauten aus den vergangenen Jahrzehnten ebenso wie aktuelle Projekte, beispielhafte Sanierungen und neue Stadtquartiere. Darunter innovative Konzepte für urbanes Wohnen, neue Formate für den Gewerbebau und neue Museen, die wir im Folgenden näher vorstellen.

Gemeinschaftlich planen und wohnen: In Zürich zeigen wegweisende Bauten, wie die 2014 fertiggestellte „Kalkbreite“, wie sich Wohnen, Arbeiten und Kultur in partizipativen Prozessen in einem belebten Gebäudekomplex realisieren lassen. Das Nachfolgeprojekt der Genossenschaft Kalkbreite, das Anfang 2021 bezogene „Zollhaus“ von den Architekten Enzmann Fischer Partner, ist eine konsequente Weiterentwicklung dieser Ideen. Es verbindet Partizipation mit ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit, mit sparsamen Flächenverbrauch und urbanen Mobilitätskonzepten. In unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs reihen sich entlang des Gleisstrangs drei Baukörper auf einem gemeinsamen Plateau.

Hinter den homogenen Fassaden in schlichtem Grau verbirgt sich eine bunte Mischung von Nutzungen, Mietern und Bewohnerschaft, ähnlich einem kleinen Quartier. 40 Prozent des Projekts sind für Gewerbeflächen vorgesehen: Die Sockelzone beleben Läden und Cafés, ein Theater und die neuen Räume des Architekturforums Zürich.

Flexibel nutzbarer Raum

Der östliche Baukörper nimmt einen Kindergarten auf, die beiden Büros sowie 15 Pensionszimmer. In den Etagen darüber verfügt das Zollhaus über insgesamt 50 kostengünstige Wohnungen, von kleinen Apartments bis zu großen Clustern für Familien und WGs. Zudem bieten experimentelle Hallenwohnungen mit Raumhöhen von 4,10 m und Flächen von 40 m2 bis zu 265 m2 vier Kollektiven großen Spielraum im Selbstausbau und im Zusammenleben.

Ein wesentlicher Aspekt des Projekts ist, die private Wohnfläche zu minimieren und im Gegenzug eine große Bandbreite an Gemeinschaftsflächen anzubieten, die das Zusammenleben fördern. Wie der Innenhof, die Dachterrassen und die dreigeschossige Eingangshalle, die als zentrales Forum und flexibel nutzbarer Raum fungiert. Sie steht auch Besuchern offen und vernetzt den Neubau ebenso informell mit dem Quartier wie die neuen „Gleisterrassen“ und die Cafés mit ihren Außenbereichen. Bäume, Sträucher, Kletterpflanzen kontrastieren mit üppigem Grün die kraftvollen, robust wirkenden Baukörper und schaffen an diesem lärmbelasteten Standort eine entspannte Stadtoase.

 

Luftbildaufnahme vom Zollhaus. Foto: © Annett Landsmann
Zollhaus, Foto: Claudia Fuchs
Zollhaus, Foto: Georg Aerni / Stadt Zürich
Zollstraße Ost, Foto: Georg Aerni / Stadt Zürich

Studierendenwohnhaus Rosengarten

 

Auch die anschließende, von hellen Klinkerpfeilern charakterisierte Wohnbebauung „Zollstraße Ost“ der Architekten Esch Sintzel ist wie das Zollhaus ein Gegenmodell zur vieldiskutierten Europaallee auf der gegenüberliegenden Gleisseite. Das Ensemble ist durchlässig und verschränkt sich sowohl mit dem Stadtraum als auch mit den belebten Kolonnaden entlang der Straße. Dazu nutzt es die Sockelzone und die differenziert gestalteten öffentlichen Platzflächen.

Zum Gleisfeld fächern sich die drei Gebäude auf. Ihre abgewinkelten Fassaden ermöglichen große Loggien, die trotz der exponierten Lage ausreichend Privatsphäre bieten. 139 Wohnungen von 1,5 bis 4,5 Zimmer nehmen die Baukörper auf, zudem auch Gewerbeflächen, Cafés und ein Restaurant mit eigener Schaukäserei, direkt am Gleis 18.

Kostengünstiger Wohnraum ist auch für die Studierenden in der Stadt ein knappes Gut. Immerhin sind rund 70000 Studentinnen und Studenten an den Hochschulen immatrikuliert. Die Stiftung für Studentisches Wohnen Zürich (SSWZ) entwickelt seit mehr als dreißig Jahren bezahlbaren Wohnraum für Studierende. Beim Studierendenwohnhaus Rosengarten verbinden sich neue Wohnmodelle mit qualitätvoller Architektur.

Für das Grundstück an der stark befahrenen Bucheggstraße entwickelten Atelier Scheidegger Keller ein WG-Konzept, das verkehrsabgeschirmte private Rückzugsräume und großzügige gemeinschaftliche Wohnbereiche klug kombiniert. Der lange, abgetreppte Baukörper folgt der Reihenhaustypologie. Seine hohen Kamine, gestaffelten Dachflächen, Ziegelfassaden und kleinen Vorbereiche lassen an englische Häuserzeilen denken.

Viel Raum für Studierende

Im Inneren sind die Hauseinheiten ungewöhnlich organisiert. Jeweils zwei Maisonette-Wohnungen nehmen WGs von sieben bis zehn Studierenden auf. Die Privatzimmer orientieren sich großteils zur ruhigen Rückseite – und sind relativ spartanisch. Den Ausgleich dazu bildet die zweigeschossige Wohnhalle als loftartiger Gemeinschaftsraum, mit offener Küche, mit Tischen und Sofas. Zur Gartenseite hin ist eine überdachte Loggia mit Grillplatz vorgelagert. Sie wird jeweils von zwei WGs genutzt wird und fördert so das Zusammenleben.

Alle Zimmer lassen sich zur Rückseite öffnen. Zudem blenden die massive Bauweise und entsprechende Schallschutzmaßnahmen – wie die großen Kastenfenster – die Straße akustisch aus. In 18 Wohneinheiten leben hier 130 Studierende unter einem Dach. Im Erdgeschoss ist darüberhinaus eine Kita integriert, die zum Garten orientiert ist. Als neuer Quartierspark bereichert er das Viertel ebenso wie die Grüninseln entlang der Straßenfront.

 

Studierendenwohnhaus Rosengarten, Foto: Claudia Fuchs
Gebäuderückseite mit Quartierspark, Foto: Claudia Fuchs
Innenraum. Foto: © Karin Gauch

Gewerbebau „Yond“

 

Wie diese drei Wohnprojekte erhielt auch der Gewerbebau „Yond“ eine Auszeichnung für gute Bauten der Stadt Zürich 2021. Im Stadtteil Albisrieden, auf einem ehemaligen Siemens-Areal, haben SLIK Architekten ein innovatives Raumkonzept mit flexibel nutzbaren Flächen entwickelt. Es eignet sich sowohl für produzierendes Gewerbe als auch für Kreativbüros oder großvolumige Showrooms.

Der Clou: Raumhöhen wie im Gewerbebau sind hier wie ein Bürogebäude übereinandergestapelt und zu einem eleganten, rundumverglasten Baukörper gefügt. Für die Maßstäblichkeit im Kontext ist das Gesamtvolumen durch Einschnitte sechs unterschiedlich große Quader gegliedert. Ein begrünter Hof, über den luftige Stege spannen, dient als Entree und Terrasse für das Café. Dadurch entsteht ein neuer Stadtraum mit Aufenthaltsqualität.

Flexible Flächen stärken Potenziale

Hinter den vollverglasten Fassaden lassen sich die unterschiedlichen Nutzungen erkennen. Unter den Mietern finden sich Agenturen, Architekten und Designer, Softwareentwickler. Aber eben auch Fitness-Studio, Gin-Destillerie, Patisserie, Fahrradshop und ein Showroom für Badeinrichtungen. Ermöglicht wird dies zum einen durch die robuste Stahlbetonstruktur mit Stützenraster von 8,4 x 8,4 m und großen Spannweiten, zum anderen durch die 5,5 m hohen Räume. In den Einheiten unterschiedlichster Größe können die Mieter je nach Bedarf Zwischenebenen einbauen. Dafür haben die Architekten ein Baukastensystem in Holzbauweise entwickelt, das sich leicht aufstellen und wieder demontieren lässt. Das schafft Nutzungsfreiheit und räumliche Flexibilität.

Technik und Installationen sind so konzipiert, dass die Flächen beliebig unterteilbar sind. Dadurch, dass die Architektursprache auf das Wesentliche fokussiert und mit einfachen, industriell anmutenden Materialien – Betonböden, unverputztes Mauerwerk, Stahl-Aluminium-Fassaden – arbeitet, bietet sie große Freiheiten für die individuelle Gestaltung der Einheiten. Die Nutzermischung und die unkomplizierte Anpassbarkeit sind in dieser Art in Zürich neu. Dennoch zeigt sich deutlich das Potenzial von flexiblen Flächen in der zunehmenden Verschränkung von Dienstleistung und kleinteiliger Produktion.

 

Yond, Foto: Georg Aerni / Stadt Zürich
Yond, Foto: Claudia Fuchs
Innenraumansicht. Foto: © Swiss Prime Site

Kunsthaus und Schokoladen-Welt

 

Ein Highlight der Zürcher Kulturbauten ist der kürzlich eröffnete Erweiterungsbau des Kunsthauses von David Chipperfield Architects. Die Mitte des mit Lisenen aus Jura-Kalkstein umspielten Kubus bildet die gebäudehohe Eingangshalle. Diese ist frei zugänglich und leitet mit einer breiten Treppe auch zum neu gestalteten Garten weiter. Die Halle ist nicht nur großzügiger Erschließungsraum mit vielfältigen Blickbeziehungen, sondern erleichtert dank der klarer Konzeption zudem die Orientierung im Haus.

Als Ort der Begegnung und Kommunikation vermittelt sie zwischen den Erdgeschossbereichen mit Shop, Bar, Veranstaltungssaal und den teils kabinettartigen Ausstellungsräumen der beiden oberen Etagen. Dort werden die zahlreichen Werke des Impressionismus, der Klassischen Moderne sowie die zeitgenössische Kunst der Sammlung gezeigt. Die Innenräume sind geprägt von Materialpurismus und zurückhaltender Noblesse, vom ruhigen Zusammenklang von Sichtbeton (der zum Großteil aus Recyclingbeton besteht), Eichenholz, Messing und Marmor.

 

Erweiterung Kunsthaus, Halle, Foto: Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich
Erweiterung Kunsthaus, Bar, Foto: Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich
Erweiterung Kunsthaus, Shop, Foto: Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich
Erweiterung Kunsthaus, Ausstellungssaal, Foto: Franca Candrian, Kunsthaus Zürich
Erweiterung Kunsthaus, farbige Wände für Ausstellungsräume der Bührle-Sammlung, Foto: Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich

Home of Chocolate

 

Auch beim neuen Lindt-Schokoladenmuseum in Kilchberg am südlichen Stadtrand Zürichs bildet die gebäudehohe Halle als Atrium das Zentrum des Hauses, allerdings in völlig anderer Architektursprache. Die Basler Architekten Christ + Gantenbein haben ein expressiv-plastisches Raumvolumen entworfen, das im Kontrast zum ruhigen Äußeren steht. Der langgestreckte Quader mit zurückhaltender Ziegelhülle schreibt die historischen Produktionsstätten am Hauptsitz des Chocolatiers auf dezente Weise fort. Nur die zurückschwingende Eingangsfassade setzt einen Akzent und empfängt die Besucher mit einladender Geste.

 

Home of Chocolate, Foto: Walter Mair
Home of Chocolate, Foto: Walter Mair
Home of Chocolate, Foto: Walter Mair
Home of Chocolate, Foto: Walter Mair

 

Im Inneren stellt die lichtdurchflutete Halle mit ihren dynamischen, bewegten Formen das Herzstück der Erlebniswelt dar. Die Tragstruktur wird zur Tragskulptur. Sichtbeton, imposante Säulen und kreisförmige Oberlichter, Stege und ausladende Wendeltreppen rhythmisieren den 64 m langen und 15 m hohen Raum, der ebenso massiv-brutalistisch wie transparent-schwebend erscheint. Um ihn gruppieren sich Räume unterschiedlichster Nutzungen. Interaktive Ausstellungsbereiche, Schokoladenkurse, Versuchsanlage, Shop und Café, in denen Schokolade in allen ihren Formen präsent ist und auch zum Verkosten einlädt.

Noch mehr Bau-News aus der Schweiz? Hier zeigen wir Ihnen ein bemerkenswertes Wohn- und Geschäftshaus von Marazzi Reinhardt: das „Haus zum Pudel“.

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