Beim Neubau auf der Berliner Museumsinsel bauten David Chipperfield Architects im SchattenSchatten: Eine dunkle oder abgedunkelte Fläche, die durch Abschattung oder Blockierung des Tageslichts entsteht. Schinkels. Ihr neustes Museumsprojekt, die Erweiterung des Kunsthauses Zürich, entstand direkt neben einem Hauptwerk der direkten Schinkel-Nachfolge. Nicht der einzige Nachbar, den die Architekten bei ihrem Entwurf geistvoll zitieren.
Als Gustav Albert Wegmann zwischen 1839 und 1842 die Züricher Kantonsschule errichtete, orientierte er sich an einem der modernsten und revolutionärsten Bildungsbauten seiner Zeit – Schinkels Berliner Bauakademie, die erst kurz zuvor fertig gestellt worden war. Schinkel hatte seinen Entwurf unter dem Eindruck der englischen Industriearchitektur als Sichtziegelbau mit gewaltigen Fensteröffnungen über einem quadratischen Grundriss entworfen. Wegmann wiederholte bei seiner Kantonsschule die wesentlichen Merkmale der Bauakademie fast wörtlich, ersetzte aber die Ziegelfassaden durch Putz und Werkstein. Doch die Grundform der Bauakademie, einen abgeplatteten Würfel, gab auch er seinem Bau. Auf der Talseite des Schulgebäudes wurden 1880 und 1901 zwei Turnhallen errichtet. Noch weiter bergab entstand 1910 das Kunsthaus Zürich, dessen Kernbau 1910 der Architekt Karl Moser entwarf.
Schnell war Mosers Bau zu klein. 1925 vergrößerte der Archtekt selbst sein Gebäude um einen rückwärtigen Anbau. 1944 begannen die Planungen für eine nächste, nun deutlich größere Erweiterung durch die Architekten Hans und Kurt Pfister. Eingeweiht konnte dieser Gebäudetrakt allerdings erst 1958 werden. 1976 erfolgte die dritte Erweiterung des Kunsthauses Zürich, diesmal von Erwin Müller. 2001 beginnen abermals Planungen für eine Vergrößerung der Ausstellungsflächen. Für weitere Anbauten war jedoch kein Platz mehr vorhanden, so dass die Entscheidung getroffen wurde, die beiden historischen Turnhallen der alten Kantonsschule zu opfern, um einen Neubau für das Kunsthaus zu erreichten. Den Wettbewerb dafür gewann 2008 das Berliner Büro von David Chipperfield Architects, mit einem Bau, der gestalterisch die Brücke schlägt zwischen seinen beiden Nachbarn, der Kantonsschule und dem Kunsthaus.
Hinter Gitter
Die Kubatur ihres Baus entlehnen die Architekten unübersehbar der Kantonsschule. Doch nicht nur die Großform des abgeplatteten Würfels nimmt direkten Bezug auf den Wegmann-Bau. Auch die vier in ihrer Gliederung identischen FassadenFassaden sind die Außenwände von Gebäuden, die zur Straße hin sichtbar sind. verweisen auf das Schulgebäude. Allerdings wäre es aus funktionalen Gründen abwegig gewesen, dem Museum eine achsial rhythmisierte LochfassadeLochfassade: Eine Lochfassade ist eine Fassadenbauweise, bei der sich die Fassadenelemente aus vertikalen oder horizontalen schmalen Elementen zusammensetzen, welche zwischen den Glasflächen sitzen und somit lichtdurchlässig wirken. vorzublenden. Vielmehr legen David Chipperfield Architects der Gebäudehaut ein kleinteiliges Gitter aus abgerundeten vertikalen Vorlagen und rechteckigen Gesimsen aus Jura-Kalkstein vor. Die Gestalt des Gitters leiteten sie dabei aus der Verkleidung des Pfister-Baus vis-à-vis her. Dort, wo die Architekten LichtLicht: Licht bezeichnet elektromagnetische Strahlung im sichtbaren Bereich des Spektrums. In der Architektur wird Licht zur Beleuchtung von Räumen oder als Gestaltungselement eingesetzt. in ihrem Gebäude benötigen, hinterfangen sie das Gitter aus gelängt-hochrechteckigen Feldern mit Fensteröffnungen, ansonsten verschließen sie die Rückseite des Gitters mit Naturstein. Durch diesen Wechsel erzielen sie eine feine Balance zwischen strenger und freier Ordnung.
Den Grundriss beherrscht eine weite passagenartige Eingangshalle. Sie teilt den Bau in zwei Hälften und führt vom unteren Zugang beim bestehenden Kunsthaus zu einem oberen Eingang gegenüber der Kantonsschule. Hier, zwischen Neubau und Schule, wurde ein „Garten der Kunst“ angelegt, eine Arbeit des Schotener Büros Wirtz. Den Niveauunterschied zwischen den beiden Zugängen des Museums überwindet im Innern eine breite Freitreppe, die die Architekten elegant als Treppenhaus in die oberen Etagen fortsetzen und so die Ausstellungssäle erschließen. Diese sind erstaunlich vielgestaltig und teils nur kabinettartig dimensioniert.
Friese aus Beton
Die Rückbindung des Entwurfs sowohl in die lokale als auch in die typologische Architekturgeschichte zeigt sich gleichfalls in den Ausstellungsräumen: Die Säle besitzen teils eine breite Frieszone als Wandabschluss, die im Gegensatz zu den darunterliegenden Flächen nicht farbig gefasst ist, sondern aus SichtbetonSichtbeton: Ein Beton, der von außen sichtbar bleibt und dessen Oberfläche eine ästhetische Wirkung erzielt. besteht – und so die Verbindung zur Decke aus demselben Material herstellt. Wand und Deckenfries trennt eine schmale Leiste aus Messingist ein Legierungsmetall aus Kupfer und Zink, das aufgrund seiner Festigkeit, Härte, Korrosionsbeständigkeit und optischen Eigenschaften in der Architektur als Material für architektonische Bauteile wie Armaturen, Türgriffe und Geländer eingesetzt wird.. Auch die Türlaibungen sind mit Messing verkleidet, genauso wie ein großer Teil der Türensind eine Art von beweglichen Barrieren, die verwendet werden, um Räume und Bereiche voneinander zu trennen oder zu schützen. Sie bestehen in der Regel aus Holz, Metall, Glas oder Kunststoff und können in verschiedenen Größen, Formen und Stilen hergestellt werden. Als Türen bezeichnet man in der Architektur Bauteile, die Öffnungen… selbst. Am raumbeherrschendsten ist das Material im sogenannten Festsaal, für den eine komplette Wandverkleidung aus Messing gefertigt wurde. Eichendielen bedecken die Böden in den Sälen, Marmor in der Passage und den anderen Erschließungsbereichen, im Shop und in der Gastronomie, wo ansonsten Beton das Erscheinungsbild der Räume bestimmt. Auch mit dem Marmor greifen David Chipperfield Architects bei ihrer Erweiterung des Kunsthauses Zürich ein Detail der vorhandenen Museumsarchitektur auf, in diesem Fall den Eingangsbereich des Moser-Baus.
Beherbergen wird der Erweiterungsbau zukünftig neben den hauseigenen Sammlungen zur Klassischen Moderne und zur Kunst ab 1960 die Sammlung Emil Bührle, die bis 2015 in einer ehemaligen Villa im Süden der Stadt zu sehen war. Ein spektakulärer Kunstraub im Jahr 2008, bei dem unter anderem der „Knabe mit der roten Weste“, ein Hauptwerk Cézannes, entwendet wurde, legte dort allerdings nicht behebbare Sicherheitslücken bloß. Nun wird die Sammlung im Chipperfield-Bau präsentiert werden und dazu führen, dass das Kunsthaus Zürich zukünftig mit der nach eigenen Angaben größten Kollektion französischer Impressionisten außerhalb von Paris aufwarten kann.