15.01.2022

Kolumnen Portrait

Zum Tod von Ricardo Bofill

Der französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing bezeichnete ihn einmal als „größten Architekten seit Michelangelo“. Ricardo Bofill wurde mit seinen postmodernen Wohnanlagen zu einem der bekanntesten Baukünstler der Achtzigerjahre. Am 14. Januar ist er im Alter von 82 Jahren gestorben. Ein Nachruf

 

Foto: Courtesy of Ricardo Bofill Taller de Arquitectura

 

In seinem im vergangenen Jahr erschienenen Roman „Masterplan“ erzählt Reinier de Graaf vom kometenhaften Aufstieg eines Architekten in den Achtzigerjahren, der mit gewaltigen Wohnanlagen in Frankreich quasi über Nacht zum Star der Postmoderne aufsteigt. Am Ende des Romans entschleiert sich, dass er sich diesen Ruhm durch einen faustischen Pakt mit der Politik erkauft hat. Den Preis zahlt schließlich sein Sohn. Auch wenn der Architekt in de Graafs Buch Tomás heißt und Portugiese ist – dass hier niemand anders als der Katalane Ricardo Bofill gemeint ist, erkennt jeder Leser, der sich nur ein wenig mit der Architektur des 20. Jahrhunderts auskennt. Bofills Wohnanlagen, die er mit seinem Büro Taller de Arquitectura hauptsächlich in den Pariser Trabantenstädten errichtete, wirken wie eine Mischung aus Ledoux und Ken Adams. Irreal erscheinen sie auf den Fotografien der Erbauungszeit in der gesichtslosen Nutzlandschaft der Ile de France.

 

L’Espace de Abraxas, Marne-la-Vallée, Foto: Courtesy of Ricardo Bofill Taller de Arquitectura

Maßstabslos und vieldeutig

 

Der 1982 fertiggestellte „L’Espace de Abraxas“ in Marne-la-Vallée insinuiert schon im Namen, dass er nicht mit den Maßstäben Sterblicher operiert. Das Ensemble ist ein Capriccio von ins Gigantische gesteigerten Elemente der klassischen Ordnungen. Säulen, Gebälken, Pilastern, Balustraden – allesamt ausgeführt als Beton-Fertigelemente. Dazwischen, zwergenhaft klein, die Fenster der zumeist sozial gebundenen Wohnungen. Die „Arcades du Lac“ führen als eine Art Seebrücke ein künstliches Bassin im Zentrum der Planstadt Saint-Quentin-en-Yvelines. Bofill hat hier Impressionen römischer Aquädukte, dem Schloss Chenonceaux und der Brücke von Avignon kunstvoll miteinander verbunden. Dagegen ist die Wohnanlage Antigone in Montpellier ringförmig um einen gewaltigen Platz angeordnet. Mit ihren vier riesigen Exedren spielt sie auf Zentralbau-Grundrisse der Renaissance ebenso an wie auf Ideen der Barockarchitektur.

 

Walden 7, Sant Just Desvern, Foto: Courtesy of Ricardo Bofill Taller de Arquitectura

Wohnmaschinen hinter Betonpilastern

 

Trotz all diese Verweise ließen Bofill und Taller de Arquitectura jedoch nie einen Zweifel daran entstehen, dass ihre Gebäude Ergebnisse industriellen Bauens sind. Als „modernistische Bauwerke in klassischem Gewand“ hat sie Charles Jencks bezeichnet. Dabei hat er auf die Nähe zu Le Corbusiers Unité d’Habitation hingewiesen – sowohl in Hinsicht auf ihre Funktionalität als auch auf ihren ausgeprägt idealistischen Zug. „The work is so clearly conceived in terms of polar opposites“, urteilte Jencks. Er nannte die Komplexe „petites citiés ideal“, kleine Idealsstädte, „monuments which occupy a category somewhere between the bombastic, the amazing and the sublime.“

 

Les Arcades du Lac, Saint-Quentin-en-Yvelines, Foto: Courtesy of Ricardo Bofill Taller de Arquitectura

Bofills Frühwerk erlebt eine Renaissance

 

Im idealistischen Zug besteht die Verbindung zu Bofills Arbeiten aus den Siebzigerjahren. Zu seinen bekanntesten Entwürfen dieser Zeit zählen Wohnblock Walden 7 am Stadtrand von Barcelona (1975) und La Murella Roja (1973) in Calp. Bei diesen Bauten versuchte Bofill Elemente katalanischer Architektur mit den Ideen des Brutalismus zu verbinden. Bereits hier zeigte sich seine Absage an die Ideen der internationalen Moderne. Derzeit steht das Frühwerks Bofills sogar höher im Kurs als die postmodernen Bauten und finden sich heute wieder in vielen Publikationen. Doch fraglos wird es aber nur eine Frage der Zeit sein, bis auch die Wohnanlagen aus den Achtzigerjahren zu den bedeutendsten architektonischen Hervorbringungen des Jahrzehnts gezählt werden. Sie müssen wahrscheinlich zu den originellsten Schöpfungen gezählt werden, die die Baukunst im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Das teilen sie mit dem Werk von Bofills katalanischem Landsmann Antoni Gaudí. Ebenso die Tatsache, dass sie weitgehend ohne Nachfolge geblieben sind.

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