24.03.2016

Wohnen

Heimat bauen

Architektur ist gebaute Gesellschaft, heißt es. Dieser Satz trifft heute mehr den je zu. Während sich die Architektur der Nuller Jahre von der Globalisierung und den damit verbundenen Exzessen des entfesselten Kapitalismus formen ließ, rückt die gesellschaftliche Verantwortung des Architekten momentan immer mehr in den Vordergrund.

Das hat vor allem mit den dramatischen Prozessen zu tun, die sich in Europa abspielen: Die Flüchtlingskrise wird den Kontinent dauerhaft verändern. Das hat auch Folgen für die Architektur. Deutschland steht mit seiner Sonderhaltung im Mittelpunkt des Geschehens, darüber sind sich auch die Verantwortlichen im nationalen Bausektor bewusst – seien es Politiker, Unternehmer oder eben Architekten.

Und so ist es auch nur folgerichtig, das der Bund Deutscher Architekten zusammen mit der Bundesstiftung Baukultur und Baumeister als Medienpartner vor einigen Wochen eine Art Workshop in München veranstaltete, der sich mit genau diesen Entwicklungen auseinandersetzte. „Flucht nach Vorne“ hieß er und fand am 11. Februar im MUCCA / Museum der Fünf Kontinente statt.

München als Ort hätte passender nicht sein können, schließlich stand der Münchner Hauptbahnhof im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit, als sich die Ereignisse an den Grenzen überschlugen und die Flüchtlinge an eben jenem Bahnhof mit einer großen menschlichen Geste von den Münchnern willkommen geheißen wurden. Und auch ein Völkerkundemuseum als Veranstaltungsort war gut gewählt. Schließlich steht die Ethnologie wie keine andere Wissenschaft für die Neugierde auf andere Kulturen.

Was von den einzelnen Sprechern vorgetragen und in den Diskussionsrunden debattiert wurde, war aktuell und teilweise durchaus dramatisch. Allerdings verschärft die Flüchtlingskrise nur ein bereits bestehendes Übel. Deutschland hat seit Jahren ein Problem bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. München ist auch insofern ein gut gewählter Ort für den Workshop, weil die Stadt die höchsten Mietpreise der Bundesrepublik hat –Tendenz steigend.

Es ist also ein gesamtgesellschaftliches Problem, in das die Flüchtlingskrise da hineingeplatzt ist. Als Katalysator dieser Problematik stellt sie nicht nur eine Herausforderung dar, sondern ist auch eine große Chance. Die als Problemlösung gestellten Forderungen der einzelnen Teilnehmer hatten insofern eine geradezu universelle Gültigkeit, Flüchtlingskrise hin oder her.

Weniger Normen und Regeln, ein schnelles und trotzdem qualitativ hochwertiges Bauen, die städtebauliche Integration neuer Quartiere, die soziale Durchmischung neuer und alter Quartiere und zuletzt das Bereitstellen von öffentlichem Raum – alle diese von den einzelnen Teilnehmern geforderten Lösungen lesen sich wie das kleine Einmaleins des Städtebaus. Das dies mit dem dafür nötigen Willen auch umgesetzt werden kann, steht außer Frage.

Dieser nötige Wille ist aber auch die Archillesverse der neuen deutschen Willkommenskultur. Integration ist ein langwieriger und schwieriger Prozess. Traumatisierte Menschen treffen auf eine Kultur, die Ihnen fremd ist und in die sie sich gezwungenermaßen integrieren müssen. Dafür braucht es Geduld und Rücksichtnahme – von beiden Seiten.

Deutschland hat im Unterschied zu den ehemaligen Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich keine jahrhundertealte Erfahrung mit Migranten und deren Integration. Als Beispiel sei hier nur die Fußballnationalmannschaft genannt, die erst in den Nuller Jahren zu einem multikulturellen Team zusammenwuchs. Genau diese Fußballmannschaft war es aber auch, die 2014 die Fußballweltmeisterschaft für Deutschland gewann.

So banal das Beispiel auch sein mag, es ist ein Beleg für eine gelungene Integration, ebenso wie die zunehmend fremd klingenden Namen im öffentlichen Leben – sei es der Schauspieler Elyas M`Barek oder die Fernsehmoderatorin Dunja Hayali. Die Tendenz ist steigend. Die fremden Kulturen werden unseren Alltag bereichern, wenn wir in der Lage sind, uns auf sie einzulassen. Die jüngsten Wahlergebnisse in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt mögen dem widersprechen, aber es gibt keinen Weg zurück. Und das ist auch gut so!

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