25.10.2023

Gewerbe

Büroneubau in Biel: Stahlbau ohne Stahl

Beton Holz Nachhaltigkeit
Der neue Anbau für die Backsteinhalle der Stahlbaufirma Klein übernehmen Gautschi Lenzin Schenker Architekten und entschieden sich für Holz als Hauptmaterial. Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
Der neue Anbau für die Backsteinhalle der Stahlbaufirma Klein übernehmen Gautschi Lenzin Schenker Architekten und entschieden sich für Holz als Hauptmaterial. Foto: © Gautschi Lenzin Schenker

Seit 2022 steht ein in vieler Hinsicht ungewöhnliches Gebäude in Biel. Die Stadt liegt gut 30 Kilometer nördlich von Bern und ist seit 77 Jahren Standort der L. Klein SA. Die Firma für Lagerhaltung und Handel von Spezialstählen liegt im Industriegebiet von Biel und erweiterte ihr Areal mit einem Büroneubau von Gautschi Lenzin Schenker Architekten aus Aarau.


Das Spiel mit dem Bestand

Andreas Gautschi, Dominik Lenzin und Philipp Schenker gründeten 2011 das Architekturbüro Gautschi Lenzin Schenker in Aarau. Inzwischen umfasst das Team rund zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zum breiten Spektrum der Bauaufgaben des Büros zählen kleinere An- und Umbauten, Einfamilienhäuser wie das Haus an der Tannerstraße, Geschäftshäuser, Schulen und Mehrzweckhallen.

Typisch für die Architektur von Gauschi Lenzin Schenker sind skulpturale Kubaturen. So erarbeitete das Büro auch in Biel eine eigenständige Gebäudeform, die sich durch die Nutzungsverteilung des benötigten Raumprogramms und den baulichen Gegebenheiten vor Ort begründet. Das Hauptgebäude auf dem Gelände der Firma Klein ist eine Backsteinhalle mit Schmetterlingsdach aus dem Jahr 1957, in dessen nordwestliche Ecke bereits ein zweigeschossiger Bürotrakt integriert war. Der Bestand wurde vollständig zurückgebaut und durch einen dreigeschossigen Neubau aus Holz ersetzt.

Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
Eine Backsteinhalle erinnert noch an das 1957 erbaute Gebäude, während der Bestand vom Büroareal vollständig zurückgebaut wurde – um Platz für Neues zu schaffen.

Holz über Holz im Büroneubau Biel

Von außen erregt vor allem die Kubatur Aufmerksamkeit, die Fassade wirkt homogen und nicht aufdringlich. Der zentrale Anspruch von Gautschi Lenzin Schenker für das Bürogebäude war die Verwendung von durchgehend nachhaltigen und baubiologisch hochwertigen Materialien, die von ortsansässigen Handwerkern verbaut werden.

Das Fassadenbild ist also geprägt durch die in der Region oft zu sehenden Holzschindeln, kombiniert mit Sonnenschutzelementen in vertikaler Lattung. Letztere verbinden den Neubau optisch mit dem Altbau, da die Elemente die vertikale Teilung des Fensterbandes der Haupthalle widerspiegeln.

Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
Fotos: © Gautschi Lenzin Schenker
Auch bei offenen Fenstern fügen sich die schützenden vertikalen Holzlatten in die rustikale Fassade ein, wobei sie einen ruhigen Gegenpol zu den Holzschindeln darstellen.
Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
Der Sonnenschutz, bestehend aus aneinandergereihten vertikalen Holzlatten, sticht neben der Gestalt des Gebäudes heraus, obwohl es sonst vollständig mit Holzschindeln verkleidet ist.

In Biel bleibt kein Wunsch offen

Betritt man das neue Bürogebäude gibt es nicht sofort alle seiner inneren Werte zu erkennen. Zwar weitet sich das einladende Foyer mit Empfangsbereich im leicht erhöhten Übergang zur Lagerhalle auf und wird zur Begegnungsstätte inklusive Feuerstelle, jedoch befindet sich die eigentliche Überraschung des Büroneubaus in dessen Kellergeschoss: Dieses erstreckt sich über zwei Ebenen und bietet neben Technikräumen und einer Teeküche einen geräumigen Weinkeller.

Letzterer ist von Wänden aus Lehmtonerde und einer Gewölbedecke aus Lehmstein eingefasst, die aus dem Aushubmaterial des Neubaus gefertigt wurden. Im Obergeschoss des neuen Bürogebäudes platzierten Gautschi Lenzin Schenker rund zehn offen gestaltete Büroarbeitsplätze. Das Dachgeschoss wird als Konferenzraum und Aufenthaltsbereich mit Außenterrasse genutzt.

Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
Fotos: © Gautschi Lenzin Schenker
Auch im Badezimmer macht das moderne und holzlastige Konzept von Gautschi Lenzin Schenker keinen Halt.
Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
Vom Neubau in Biel gibt es einen Zugang zum restlichen Komplex, wie beispielsweise die direkt daneben gelegene Lagerhalle.
Teil des Foyers ist ein Empfang, eine Feuerstelle sowie ein Zugang zum Weinkeller.
Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
Während die skulpturale Treppe dem Gebäude unaufdringlich Struktur gibt, werden auf verschiedenen Ebenen drum herum die Arbeitsplätze sowie Konferenzräume platziert.

Ruhiges Arbeiten in ruhiger Umgebung

Eine skulpturale, offene Treppe aus geschliffenem Jurakalkbeton mit einem erdgeschossig einbeschriebenen Wasserbecken markiert den Mittelpunkt des Gebäudes. Um trotz des harten Materials eine angenehme Umgebung zu schaffen, wurden spezielle Akustikeinlagen in die Sichtbetonoberfläche eingearbeitet, die für eine optimale Nachhallzeit sorgen.

Das asymmetrische Walmdach konzipierten die Architekten mit einem zentralen Oberlicht über der Treppe, sodass die vertikale Erschließung zusätzlich betont wird. Neben seiner optischen Funktion übernimmt der Treppenturm, der ohne Stahl mit GFK-Bewehrung ausgeführt ist, die Gebäudestabilität sowie die Zuglasten aus der Gebäudeauskragung.

Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
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Durch den stetig klaren Fensterrhythmus wird ausreichend Licht ins Gebäude gelassen.
Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
Beton und Holz stehen in Büroneubau Biel im ständigen Wechselspiel harmonisch miteinander.

Bis ins letzte Detail effektiv durchgedacht

Die letzte Besonderheit des neuen Bürogebäudes der Firma Klein liegt in dessen Tragwerksstruktur: Alle oberirdischen Geschosse sind komplett in nachhaltiger Massivholzbauweise mit Querkraftverbindungen aus Holzdübeln und Steckverbindungen gefertigt. Dieses System, das dem Gebäude einen enorm tiefen Detailgrad verleiht, entwickelten die Architekten in Zusammenarbeit mit den Tragwerksplanern.

Durch die Materialwahl und die lösbaren Verbindungen im Sinne von Cradle-to-Cradle wird der Neubau zudem zu einem Beispiel für nachhaltiges Bauen. Für die Tragstruktur der Obergeschosse wurden hochfeste Hölzer verwendet, die auf die massiven Bauteile der Untergeschosse aufgesetzt wurden. Das Untergeschoss des auf einer Flachgründung gegründeten Gebäudes wurde in Ortbeton gefertigt und unterstützt die Stabilität des Treppenturms.

Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
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Dem hohen Detailgrad des Holzes stehen die massiven Betonkörper entgegen.
Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
Gebaut in Massivholz kann sich das Tragwerk sehen lassen.
Foto: © Gautschi Lenzin Schenker
Spezielle Akustikeinlagen in der Sichtbetonoberfläche verhindern einen zu lauten Hall und bereichern somit die Arbeitsatmosphäre bei Klein.

Moderne sowie retrospektive Architektur

Mit dem neuen Bürogebäude der Firma Klein in Biel zeigen Gautschi Lenzin Schenker einmal mehr ihr Verständnis von Architektur. Dass das Gebäude eine skulpturale Anmutung zeigt, lässt es jedoch nicht weniger selbstverständlich auf dem Firmengelände ankommen: Die heimischen Materialien wirken Identitätsstiftend und verwurzeln das Gebäude auf dem Gelände, ohne dass es so tut, als wäre es schon immer dort.

Einen Schritt weiter geht London beim „Bürokomplex“: In Greenwich entsteht derzeit der Design District mit 16 Atelierhäusern, die zusammen einen riesigen Gewerbecampus ausmachen – jeweils zwei von ihnen entworfen von renommierten Architekturbüros aus der ganzen Welt.

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