18.09.2017

Portrait

Wo sind die erfolgreichen Architektinnen?

 

Immer mehr Frauen studieren Architektur, mittlerweile liegt der Frauenanteil bei über 50 Prozent. Trotzdem sind Architektinnen in höheren Positionen eher selten zu finden. Wir sprachen mit Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, und befragten sie nach den Gründen und möglichen Lösungsansätzen.

Baumeister: Frau Ettinger-Brinckmann, warum gibt es so wenig berühmte Architektinnen?
Barbabra Ettinger-Brinckmann: Das liegt sicherlich daran, dass Frauen in Führungspositionen nicht so vertreten sind wie ihre männlichen Kollegen. Sie arbeiten eher in der zweiten Reihe und stehen daher nicht so im Rampenlicht.

B: Dabei liegt der Frauenanteil bei den Studierenden bei über 50 Prozent.
B E-B: Die hohe Zahl der Architektur-Studentinnen ist tatsächlich erstaunlich. Laut Statistischem Bundesamt studieren momentan mehr als 20.000 junge Frauen Architektur, von insgesamt knapp 37.000 Studierenden. Gleichwohl findet man sie in den höheren Positionen nicht wieder, hier nehmen die Zahlen rapide ab. Diese Entwicklung lässt sich übrigens weltweit beobachten, beispielsweise in den USA, der Schweiz oder Belgien. In anderen Berufen, etwa in der Medizin, sieht es ähnlich aus. Auch dort sind Frauen in den oberen Positionen nicht im selben Maße vertreten wie im Studium. Eigentlich ein Drama: Denn Studiengänge wie Architektur und Medizin sind teure Studiengänge, sie kosten den Staat viel Geld. Auch aus diesem Grund ist es volkswirtschaftlich nicht vertretbar, dass diese gut ausgebildeten Frauen dem Arbeitsmarkt fernbleiben.

B: Wollen Frauen einfach keine Karriere machen?
B E-B: Das glaube ich nicht. Es liegt sicherlich auch nicht an der fehlenden Begabung, sondern hat unter anderem historische Gründe. 1913 hat die erste Frau ihr Ingenieurs-Diplom im Bereich Architektur an der TH Darmstadt gemacht. Damals musste man sogar das Zeugnisformular ändern, „Herr“ wurde gestrichen und durch ein handschriftliches „Fräulein“ ersetzt. Das sollte man im Hinterkopf behalten: Architektinnen gibt es erst seit 100 Jahren.

B: Welche Gründe gibt es außerdem?
B E-B: Ein sehr wichtiges Thema stellt die Familie und deren Organisation dar. Da das Studium bereits lange dauert, fällt der Abschluss bei den meisten in die Zeit der Kinder- und Familienplanung. Hinzu kommt, dass der Architekturberuf höchst anspruchsvoll ist, wenig Routinearbeiten hat und in Teilzeit als Selbstständige kaum zu bewältigen ist. Überstunden gehören zum Alltag und lassen den Job kaum mit eigener Kinderbetreuung vereinbaren. Aber Frauen möchten sich verständlicherweise selbst um ihre Kinder kümmern. Mir ist aufgefallen, dass viele erfolgreiche Architektinnen ein Büro mit ihrem Lebenspartner führen. Vielleicht eignet sich dieses Konzept eher, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen.

B: Welche Rolle spielen die Medien für die öffentliche Wahrnehmung von Architektinnen?
B E-B: Eine ganz wesentliche. Denn Medien reduzieren oftmals ein ganzes Team, bestehend aus beiden Geschlechtern, auf einen vermeintlich führenden Kopf – und das ist meistens der Mann. Selbst wenn die Partnerin unter Fachleuten mindestens genauso bekannt ist, die medialen Lorbeeren erntet der männliche Kollege. Die Bauindustrie, das Bauen selbst, ist eben doch noch eine Männerdomäne.

B: Die Statistik der BAK zeigt, dass zumindest der Frauenanteil bei den Hochbauarchitekten nur knapp ein Drittel beträgt. Innenarchitektinnen hingegen stellen mit 60 Prozent die deutliche Mehrheit. Bestätigt das nicht das Klischee, Männer würden nach außen agieren, während Frauen sich mit dem Privaten beschäftigen?
B E-B: Man spricht Frauen ja gern nach, dass sie sich am liebsten um Farben und das Einrichten kümmern. Ich selbst werde oft gefragt, ob ich denn Innenarchitektin sei. Das Vorurteil, dass Männer sich eher für Statik und Haustechnik interessieren und Frauen für die Dekoration und das Schöne, ist weit verbreitet. Ich glaube allerdings nicht daran. Für mich stellt sich eher die Frage, ob man Leidenschaft und Überzeugung zeigt. Bei Talent und Begabung gibt es keine Geschlechterunterschiede. Es liegt also an den strukturellen Bedingungen und nicht an der Biologie.

B: Wie äußern sich diese strukturellen Hindernisse ganz konkret?
B E-B: Die Architektenschaft ist kleinteilig. Die meisten Büros haben nur wenige Mitarbeiter, weshalb es für sie schwierig ist, beispielsweise die einjährige Elternzeit einer Mitarbeiterin aufzufangen. Und eine Arbeitsplatzgarantie gibt es erst ab 15 Mitarbeitern. Eine Elternzeitvertretung für ein Jahr findet man kaum. Eine gute Entwicklung in meinen Augen ist, dass zunehmend auch Väter Elternzeit nehmen. Allerdings ändert das noch nichts an den Strukturen, die müssen sich definitiv verbessern. Ich sehe eine große Chance in der Digitalisierung. Diese wird unsere Arbeitswelt noch sehr viel stärker verändern. Dann gäbe es beispielsweise die Möglichkeit, seine Arbeitszeit nicht zwingend nur im Büro zu verbringen. Andererseits lebt unser Beruf stark von Austausch und Kommunikation, wenn es etwa darum geht, einen guten Entwurf zu entwickeln. Was sich nicht ändern wird, ist die Tatsache, dass Frauen die Kinder kriegen. Doch das sollte ihnen nicht zum beruflichen Nachteil ausgelegt werden. Hier muss sich die Gesellschaft noch um einiges mehr bewegen.

B: Wie hat sich Ihre eigene Karriere gestaltet?
B E-B: Auch ich empfand es als schwierig, Beruf und Familie zu vereinbaren. Mit 30 Jahren wurde ich Partnerin in dem Büro, in dem ich zuvor angestellt war. Vier Jahre später bekam ich mein Kind. Die Betreuung war ein organisatorischer Kraftakt und hat in den ersten Jahren beinahe mein gesamtes Gehalt gekostet. Da ich leider keine familiäre Unterstützung vor Ort hatte, habe ich auf bezahlte Kinderbetreuung zurückgegriffen. Hinzu kam das ständige schlechte Gewissen, mich nicht genug zu kümmern. Die Situation entspannte sich erst mit der Gymnasialzeit meines Kindes.

B: Was hätten Sie sich als Unterstützung gewünscht?
B E-B: Mein Büro und meine männlichen Büropartner haben mich immer so weit unterstützt, wie sie konnten. Sie hatten ja selbst Kinder in einem ähnlichen Alter. Ich arbeitete und arbeite noch viel und sehr gerne, in den Anfangsjahren unseres Büros stets auf Kante, am Rande der Überlast. Ein Delegieren der Aufgaben an Kollegen in einem personell dünn aufgestellten Büro ist schlicht unmöglich. Man muss also alles selbst machen, was zu einem ständigen Zeit- und Termindruck führt.

B: Manche würden denken, dass man als Partnerin mehr Freiheiten hat. Ihre Erfahrung klingt allerdings nicht nach größerer Flexibilität.
B E-B: Im klassischen Hochbau hat man als Partnerin nicht mehr Freiheiten als angestellte Architekten, denn der Beruf fordert ebenso viel Zeit und Engagement. Die ständigen Änderungswünsche während einer Bauphase und die Erwartung, schnell Lösungen dafür zu finden, lassen das nicht zu. Wobei es sich mit Partnern sicherlich einfacher abbilden lässt als im Ein-Personen-Büro. Wenn man dann noch die Familie damit vereinbaren möchte, kann man sicherlich nur kleinere Projekte realisieren.

B: Wie kann es besser werden?
B E-B: Ich setze große Hoffnungen auf die Digitalisierung. Damit ließen sich Fehlerquoten reduzieren und somit der zeitliche Arbeitsein-
satz. Der digitale Fortschritt macht es beispielsweise auch aufgrund des Building Information Modeling einfacher, Daten auszutauschen. So ist die Projektbearbeitung im Planungsstadium nicht mehr so stark an einen Ort, sprich Arbeitsplatz, gebunden und erlaubt damit flexiblere Arbeitsweisen. Aber allzu viel Hoffnung sollte man sich nicht machen, blickt man auf die vergangenen Erfahrungen der Firmen mit dem Home-office zurück. Auf jeden Fall wird die schiere Anzahl der Frauen, die in den Markt eintreten wird, das Bild ändern. Auch in meinem Umfeld und in den Verbandsstrukturen hat sich schon viel getan: Vor 13 Jahren war ich noch die erste Präsidentin in einer Landesarchitektenkammer, heute sind es bereits vier in Bayern, Berlin, Hamburg und Hessen. Auch daran lässt sich erkennen: Frauen nehmen heute Positionen ein, die sie früher nicht erreicht haben. Das hängt sicherlich auch mit der gesellschaftlichen Akzeptanz zusammen. Die Politik bemüht sich verstärkt um Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die öffentliche Meinung ändert sich ebenfalls. Es macht sich auch im Arbeitsumfeld bemerkbar. Hat man früher eher noch sein Kind verschwiegen, weil man befürchtete, nicht beauftragt zu werden, so ist dies heute nicht mehr der Fall. Die Auftraggeber sind ja selbst betroffen, auch dort gibt es vermehrt Mütter in Führungspositionen und Väter, die Elternzeit nehmen. Dieser Bewusstseinswandel lässt mich hoffen, dass Familie immer selbstverständlicher und kein Karrierehindernis mehr darstellen wird.

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