17.01.2020

Portrait

Utopien und Visionen: Möge die Macht mit euch sein

Kolumnist und Redakteur Mark Kammerbauer gedenkt auf seinem Facebook-Account dem amerikanischen Filmgestalter Syd Mead


“your lack of faith is disturbing”

Am 30. Dezember 2019 verstarb der amerikanische Filmgestalter Syd Mead im Alter von 86 Jahren. Filme wie „Blade Runner“ wurden durch ihn zu dem Erfolg – und Kultfilm, der sie unvergessen macht. Unser Kolumnist und Redakteur Mark Kammerbauer hat anlässlich des Todes für BAUMEISTER und topos einen Nachruf zu Mead geschrieben. Die Begeisterung für den bedeutenden Designer und seine Arbeit wurde nun auf dem privaten Facebook-Account von Mark Kammerbauer deutlich: Zwischen ihm und Architekt Mark Mückenheim hat sich eine spannende Unterhaltung entwickelt über die Wichtigkeit für die Architektur von Visionären wie Syd Mead, von Science-Fiction und Utopien. Lesen Sie selbst.

Mark Mückenheim: Sehr schöner und wichtiger Beitrag. Als Student in New York, in Pre-Internet Zeiten, habe ich überall nach Syd Mead Publikationen gesucht, konnte aber in Architekturbuchläden gar nichts finden. Letztendlich hatte ich dann nach langer und intensiver Suche in einem Comicbuchladen in Greenwich Village Glück. Das Buch, was ich damals gekauft habe und was ich über die Jahre unzähligen Studenten in Seminaren vorgestellt habe, ist bis heute eine wichtige Inspiration. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt hatte Mitte der 90er eine Ausstellung (inkl. eines sehr guten Ausstellungskatalogs), zu der ich damals extra aus dem Rheinland hingefahren bin; dort waren auch Blade Runner Orginalmodelle zu sehen. Syd Mead ist eine so wichtige und einflussreiche Figur in der Architektur, die verdeckt über eindrucksvolle Produkt-, Vehikel- und Architekturentwürfe in einigen bahnbrechenden Filmen gewirkt hat.

Mark Kammerbauer: Danke Dir für Dein Feedback! Die Bücher von ihm waren wirklich schwer zu bekommen. Mit etwas Glück bin ich an Sentry II rangekommen. Ich glaube, unsere “Generation” hat das Schisma endlich überwunden, dass man jenseits von Archigram oder Lebbeus Woods nicht über das Thema SF in der Architektur reden kann (ohne mitleidig belächelt zu werden). Mich haben Mead sowie Chris Foss, Peter Elson, Moebius, Enki Bilal etc. schwer beeindruckt. Da gibt es natürlich einen Unterschied – Mead war Produktdesigner UND Illustrator, worin sicher auch der “Realismus” seiner Grafiken begründet liegt. Es ging nicht nur um Fantasie, seine Visionen sollten zukünftige Realität suggerieren. Darin steckt auch eine wichtige Lektion: Man kann noch “lesen”, was er zeigt; es ist mehr als “nur” Formenspiel und dabei auch so verdammt gut gemacht. Eigentlich liegen im Zeichnen von futuristischem Zeug auch meine “Roots” … der einzige “Beruf”, der dem Nahe kam, war (for better or worse) die Architektur …

Mark Mückenheim: Sehr interessant zu hören, dass man nicht mehr belächelt wird, wenn man SciFi in der Architektur zitiert, wo doch vieles in der derzeitigen Bautätigkeit eine anachronistische Haltung zu haben scheint (Berliner Schießscharten Architektur etc.) inclusive eines postmodernen Revivals minus der Ironie (Siehe auch Stephan Trübys Diskussion um Rechte Räume in Arch+). Ich bin auch sehr von utopischen Arbeiten neben Archigram, Lebbeus Woods und Michael Sorkin, sowie Alexander Brodsky und Ilya Utkin, insbesondere von Mead, Ken Adam und Ralph McQuarrie beeinflusst worden (letzterer erlebt ja grade Posthum eine Renaissance durch die Verwendung seiner alten Designs in den neuen Star Wars Filmen). Meine Roots lagen auch in diesen Dingen und lange habe ich mich auch eher als Papierarchitekt gesehen. Ich hatte aber letztendlich nicht die Courage das durchzuziehen wie z.B. Anton Markus Pasing oder Brian Cantley, die die Arbeit von Figuren wie Lebbeus Woods heute erfolgreich fortsetzen. Die Utopien haben vielleicht bald wieder Konjunktur, wenn sich die Geschichte wiederholen sollte; hoffentlich dann als Gegenentwurf zur derzeitigen politischen Stimmung. Ein grundlegender Neuanfang und ein allumfassendes Umdenken ist dringend geboten wenn man die globalen Probleme sieht, die auf uns in den nächsten Jahren zukommen, das wird nicht ohne große technische Visionen möglich sein.

Mark Kammerbauer: Sehe ich im Prinzip auch so. Zur Umsetzung in der Architektur braucht es auch die passenden Klienten, die fallen nicht eben so mal vom Himmel, leider. Lieblingskommentar (leicht editiert): “So wie in New York baut man hier auf dem Dorf nicht!” Zum Thema Utopien kann ich Dir jedoch die topos-Ausgabe 107 mit Nachdruck ans Herz legen! Zu den diversen “Retrotrends” (um es vorsichtig auszudrücken) kommt mit etwas Glück demnächst ein eigener Text. Und McQuarrie – ganz gross! Vielleicht lächelt man heute noch drüber, jedenfalls nicht, wenn ich im Raum bin … ich kuck dann böse und sage “your lack of faith is disturbing”

Mark Mückenheim: haha ein gutes Vader-Zitat was ich mir für die nächste Fakultätssitzung mal merken muss. Im „kulturlosen“ Amerika ist man ja bei (populär-)kulturellen Referenzen wesentlich entspannter (wahrscheinlich weil diese wirklich ein Teil der Kultur hier sind). Aufgrund meines doch sehr heterogenen Profils, finde ich diesen Einfluss mehr als nur legitim. Die topos klingt deshalb auch sehr interessant, wenn die international verschicken, bestelle ich mir die. In Deutschland hat man ja berechtigterweise aufgrund unserer Geschichte manchmal ein reflexartiges Problem mit Utopien und Visionen („Wer Visionen hat soll zum Arzt gehen“). Meiner Meinung nach, muss man das aber differenzierter sehen, denn auch das Bauhaus und die Moderne waren zu Anfang eine Vision, die im Verlauf, wie von ihren Gründern intendiert und basierend auf den Problemen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, einer großen Masse Zugang zu einem besseren Leben ermöglicht hat. (Die Idee von einem besseren Menschen, die auch Teil der Bauhaus Philosophie war, war allerdings sicherlich fehlgeleitet und hat es nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in der Epoche der Moderne nicht mehr gegeben).
Unsere heutigen Probleme sind ähnlich global sowie noch viel komplexer als damals. Wieder haben vielseitige Utopien und Visionen über unsere Zukunft Konjunktur, die von Elon Musk wie Greta Thunberg reichen, welche in der Architektur aber nur vereinzelt zu finden sind. Die Ideen der Rechten sind jedenfalls alles andere als utopisch und basieren eher auf Dystopien. Die alte Antwort aus diesem Lager, die Uhr zurück zu drehen, hat schon einmal mehr als nicht funktioniert. Der „Retrotrend“ in der Architektur ist vor diesem Hintergrund sehr problematisch, weil er kulturell für eine Umdeutung der Geschichte stehen kann. Dies ist allzu passend für unsere postfaktische Zeit und stellt sich deshalb gewissermaßen in eine ähnliche Ecke, wenn vielleicht auch nur unbewusst. Allerdings verstehe ich die inhärente Sehnsucht nach Qualität und Werten dieser Architekturhaltung, die mir auch wichtig ist, halt nur mit vorwärtsgewandten Mitteln (stilistisch wie inhaltlich). Habe darüber schon viel mit meinem Freund Niels Jonkhans (unter Ausschluss der sozialmedialen Öffentlichkeit) diskutiert und verfolge auch sehr gespannt Stephan Trübys Beiträge. Bin auf Deinen Text zu dem Thema deshalb sehr neugierig. Das wäre vielleicht auch eine gute Idee für ein Symposium…

Mark Kammerbauer: Niels ist eh super, ich schätze ihn sehr. Über Zusammenhänge zwischen Utopie, Dystopie und SF habe ich versucht, im topos-Heft Stellung zu beziehen, ich bin auf jeden Fall auf Deine Meinung dazu gespannt!

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