14 Jahre dauerte es von den ersten Planungen bis zur Eröffnung des Taipei Performing Arts Center. Im Frühjahr 2022 wurde dann das neue Drei-Bühnen-Theater in der Taiwanesischen Hauptstadt eröffnet. Der Bau entstand nach Plänen der OMA-Partner Rem Koolhaas und David Gianotten, die einen 2009 durchgeführten Wettbewerb für sich entscheiden konnten. Trotz seines Standortes ist der Bau tief in der westlich-europäischen Theatertradition verwurzelt. Die drei Auditorien und Bühnen des Hauses illustrieren fast exemplarisch die neuere Entwicklungsgeschichte der Theaterarchitektur.
Aus drei mach zwei
Da ist zunächst die große Bühne, deren Zuschauerraum 1.500 Sitzplätze bietet. Koolhaas und Gianotten haben das Auditorium als „Schuhschachtel“ konzipiert, wobei sie Parkett und Empore auf einer Seite des Saals durch eine bestuhlte Rampe verbinden. Die beiden Architekten realisierten so eine klassische Guckkastenbühne mit Proszenium und Bühnenturm. Als Besonderheit kann die Rückwand der großen Hinterbühne komplett geöffnet werden. Dadurch entsteht eine Verbindung zur sogenannten Blue Box, dem „kleinen Haus“ des Taipei Performing Arts Center.
Blaue Box für Theaterexperimente im Performing Arts Center
Die „Blue Box“ ist als Experimentaltheater konzipiert, bei dem Bühne und Zuschauerraum einen Einheit bilden. Auditorium und Bühnenbereich können entsprechend den Bedürfnissen der jeweiligen Inszenierung flexibel verändert werden. Eine doppelstöckige Galerie umzieht die „Blue Box“ an drei Seiten. Die vierte Seite schafft die niveaugleiche Verbindung zur Hinterbühne des „Großen Hauses“. Sie kann dadurch alternativ auch der „Blue Box“ zugeordnet werden. Es ist ebenso möglich, den gesamten Bühnenraum der Hauptbühne von der Seite der Blue Box zu bespielen oder sogar beide Theatersäle für Aufführungen zu vereinigen.
Während die große Bühne als auch die Bluebox auch in anderen Theaterhäusern in ähnlicher Form zu finden sind, ist die dritte Bühne, das „Globe Playhouse“, eine einzigartige Schöpfung von Koolhaas und Gianotten. Sie bringen den 800 Plätze umfassenden Zuschauerraum sowie die Vorbühne in einem kugelförmigen Innenraum unter. Diesen Raum umhüllen sie mit einer sphärischen Schale als zweite Hülle. Dazwischen platzieren sie die Erschließung des Zuschauerraums. Auf der Außenseite des Taipei Performing Arts Center bildet das „Globe Playhouse“ einen unübersehbaren Annex, der aus dem würfelförmigen Hauptvolumen des Baus herausragt.
Formfindung
Typologisch ist auch das „Globe Playhouse“ eine Guckkastenbühne, dessen Bühnenhaus außerhalb des Kugelgebildes liegt. Eine Verbindung zu den anderen beiden Bühnen besteht dadurch nicht. Mit ihrem Konzept beziehen die beiden Architekten eine lange Reihe experimenteller Theater- und Bühnenentwürfe, die sich durch weite Teile des 20. Jahrhunderts ziehen. Zu nennen sind hier etwa Andor Weiningers Kugeltheater (1927) oder Friedrich Kieslers „Endless Theatre“ (1961). Eine Rolle für die Formfindung des „Globe Playhouse“ könnte überdies der für Coney Island geplante „Globe Tower“ aus dem Jahr 1906 gespielt haben. Dabei handelt es sich um eine nie realisierte kugelförmige Stahlkonstruktion, in deren Inneren sich neben anderen Funktion ein gewaltiger Bühnensaal befinden sollte. Koolhaas erwähnt dieses Projekt in seinem Standardwerk „Delirious New York“. In seiner Kombination verschiedener, vertikal geschichteter Funktionen vertritt der „Globe Tower“ ein Konzept, dass sich durch Rem Koolhaas Werk zieht und das er auch beim Taipei Performing Arts Center variiert.
Mit dem Public Loop hinter die Kulissen des Taipei Performing Arts Center
Auch in Taipei setzt OMA auf eine Stapelung der Funktionen. Zunächst ständern die Architekten den Bau auf, so dass unterhalb des Volumens ein neuer öffentlicher Stadtplatz entstanden ist. Von dort führen breite Treppen durch eine Abfolge von Foyers, von denen aus wiederum die drei Zuschauersäle erschlossen werden. Zudem führt ein öffentlicher Pfad durch das Gebäude – der „Public Loop“. Über Rolltreppen gelangen Besucher auf dem „Loop“ in einen Gastronomiebereich oberhalb der „Blue Box“ und von dort weiter auf die Aussichtsplattform auf dem Dach des Taipei Performing Arts Center. Das Besondere: OMA führt die Rolltreppen durch die Bühnen- und Werkstattbereiche des Theaters hindurch. Panoramafenster in der Ummantelung der Rolltreppen erlauben im wahrsten Sinne des Wortes „Blicke hinter die Kulissen“.
Koolhaas und Gianotten zeigen nicht zuletzt dadurch, dass sie die klassische Trennung von Bühne und Zuschauerraum aufbrechen wollen. Damit stellen sie sich in die Tradition von Projekten wie etwa dem „Totaltheater“ von Walter Gropius und Erwin Piscator. Den Architekten geht es dabei allerdings nicht um eine unmittelbare Einbeziehung des Publikums in die Inszenierung. Ihnen geht es darum, die Theater als öffentlichen Kulturort für jeden erlebbar zu machen, ohne dass der Besuch einer Aufführung erforderlich ist.
Mehr über das Taipei Performing Arts Center erfahren Sie hier.
Experimente, runde Highlights sowie viel Theater gibt es auch in der bayrischen Hauptstadt. Hier eröffnete 2021 der modernste Theaterbau Deutschlands nach dem Entwurf von LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei – das Volkstheater München.