30.12.2021

Porträt

Supertecture: „Systemrelevante Architektur“

Nachwuchs
Schiffscontainer für das Studio-Gebäude

Das Team verwendet Schiffscontainer für das Studio-Gebäude und stapelt sie zu einem informellen Gehäuse mit Schlafräumen

Wie man als Non-Profit-Organisation gestärkt aus der Pandemie hervorgeht, zeigen die jungen Architekten von Supertecture. Wir sprachen mit dem Gründer Till Gröner über die Idee hinter der Hilfsorganisation und ihre nächsten Projekte.

Immer wieder friert das Bild ein. Immer wieder setzt der Ton aus. Die instabile Netzverbindung passt irgendwie zum Inhalt des Zoom-Gesprächs: Es geht um die Non-Profit-Organisation Supertecture. Doch der 37-jährige Architekt Till Gröner sitzt nicht etwa im Ausland, sondern wegen Covid-19 in Kaufbeuren. Hier hat er 2018 die junge Kooperative aus Architekten und Architektinnen gegründet.

Die deutsche Architektin Karolin Wagner und der Bauingenieur Matthew Nott aus Melbourne mit ihrem Team in Nepal. Foto: Supertecture

Supertecture spürt „architektonische Potenziale“

Gleich nach seinem Studium in Berlin wirkte Gröner an gemeinnützigen Architekturprojekten in Krisengebieten mit. So war er 2016 am Bau einer Kirche in Ruanda beteiligt, die sein Denken neu ausrichtete: Die Kirchen-Moschee verbindet nicht nur die traditionelle ruandische mit einer modernen Bauweise, sondern auch ein muslimisches Gebetshaus mit einem christlichen. Das Gebäude erregte international Aufmerksamkeit. Diese „Strahlkraft“ der Architektur, ihr „Wasser zu Wein“-Wert, wie Gröner es beschreibt, sei der Antrieb von Supertecture.

Denn Architektur, mit der sich die Menschen vor Ort identifizierten, weil sie auf ihre jeweiligen Bedürfnisse eingehe, und die mit schöpferischem Einsatz von einfachsten Materialien attraktiv, langlebig und nachhaltig sei, ermögliche eine Resonanz auf zweierlei Weise: Einerseits kann medienwirksame Architektur Spenden, soziale Projekte oder Touristen mobilisieren. Andererseits kann sie weitere notwendige Projekte ermöglichen – etwa den Bau von Kindergärten. Supertecture spürt „architektonische Potenziale“ auf und schafft Gebäude, mit denen es Geldgeber für weitere Bauten gewinnen will.

Das Hotel wird aus zwei Schlafzimmern mit Bad, Küche, Wohnzimmer und Terrasse bestehen – jeweils aus verschiedenen Materialien, ausgeführt in unterschiedlicher Bauweise. Foto: Supertecture

Aus Fehlern und Erfolgen lernen

Um diese Strahlkraft zu erreichen, ist aber auch eine andere Kraft nötig – die Leidenschaft: „Supertecture bietet jungen Leuten an: ‚Baue deine eigene, kleine Architektur.‘ Und sie gehen darin auf. Du fasst sie bei ihrem Stolz, den wir als Architekten und Designer in uns tragen“, weiß der Gründer. „Aus dieser Leidenschaft bauen wir eine Plattform, die Leuten anbietet, soziale und gleichzeitig forschende und hochgradig umweltfreundliche Architektur zu bauen.“ Insgesamt 50 Architekten zählen derzeit zu der wachsenden Familie von Supertecture.

Dhoksan, ein kleines Bergdorf in Nepal, und die afrikanische Stadt Kipili in Tansania sind momentan die beiden Einsatzorte der Non-Profit-Organisation. Dass sie sich nur auf zwei Orte konzentriert, liegt daran, wie sie ihre Projekte angehen: Sie will langfristig in einem Dorf oder einer Stadt planen, damit ein Wandel stattfindet. „Wir haben an beiden Orten versprochen, dass wir jetzt erstmal für immer bleiben“, lacht Gröner: „Das heißt, wir können tiefe Beziehungen aufbauen und aus unseren Fehlern und Erfolgen lernen. Die Menschen vor Ort können sich darauf verlassen, dass wir immer wieder kommen.“ Jedes Team von Architekten betreut ihr Projekt sechs Monate lang, bis ein neues sie ablöst.

Schiffscontainer für das Studio-Gebäude
Das Team verwendet Schiffscontainer für das Studio-Gebäude und stapelt sie zu einem informellen Gehäuse mit Schlafräumen, Arbeitsplätzen und Werkstätten. Foto: Supertecture

Supertecture möchte lokale Wirtschaft ankurbeln

Wie eng Supertecture bereits nach kurzer Zeit mit den Einsatzorten verbunden ist und wie die Architekten in ihrer Arbeit aufgehen, zeigte sich während der Pandemie: Die beiden Gruppen, die Anfang des Jahres noch im Ausland waren, mussten wegen Covid-19 plötzlich zurückreisen. Zwei Teammitglieder blieben jedoch in Nepal, was die Menschen vor Ort der Organisation wohl nie vergessen werden. „Seit gestern, vorgestern lockert sich die Situation, und es scheint im Moment so, als hätten wir Corona dort überstanden“, berichtet Gröner. Durch die unvorhergesehenen Rückreisen entstanden allerdings Schulden beim Reisebüro, die aber dank einer Crowd-Funding-Aktion beglichen werden konnten. Sie belegen die Solidarität gegenüber Supertecture: „Irre, wer alles an uns denkt!“, stellt die Non-Profit-Familie fest.

Der nächste Schritt im nepalesischen Dhoksan soll die lokale Wirtschaft ankurbeln: Supertecture will mit einer Lodge und derem einzigartigen Blick auf den Himalaya Touristen anlocken. Die Einnahmen gehören den Dorfbewohnern und sollen in gemeinnützige Projekte ihrer Wahl fließen. Damit das Hotel bis Anfang 2021 fertiggestellt werden kann, wird das dort arbeitende Paar ab September von neuen Teammitgliedern unterstützt.

Der Gründer von Supertecture bei der Arbeit – mit selbstgebrannten Ziegeln beim Bau einer Grundschule im mozambikanischen Dorf Sovim. Foto: Supertecture

Sozial und wirtschaftliche Stärke mit Architektur aufbauen

Während die Arbeit in Nepal eingeschränkt weiterging, ruhte sie in Tansania gezwungenermaßen ganz – jedoch nicht in Deutschland: Hier nutzte das Akquise-Team um Till Gröner die Zwangspause, um auf sich aufmerksam zu machen. Dadurch konnte Supertecture zum Wintersemester die bisher größten Außeneinsatzgruppen bilden: Wie auch in Dhoksan reist zum frühestmöglichen Termin ein zehnköpfiges Team an das Ufer des Tanganjikasees. Supertecture baut zur Zeit eine kleine in-offizielle „Architekturfakultät“, wie sie Till Gröner bezeichnet, um vor Ort gemeinsam mit jungen tansanischen und internationalen Architekten und Ingenieuren leben, forschen, planen und arbeiten zu können. Architektur sei systemrelevant, sagt die Non-Profit-Organisation, und darin sieht sie ihr Ziel: mit Architektur ihre Einsatzorte sozial und wirtschaftlich zu stärken.

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