29.12.2021

Porträt

Eine englische Kasbah

Der Brite Peter Barber gründete 1989 sein Büro in London.

Der Brite gründete 1989 sein Büro in London. Die ersten Aufträge waren kleine Umbauten in Obdachlosenheimen. Foto: Morley von Sternberg

Der britische Architekt Peter Barber baut seit Ende der 1980er-Jahre Wohnungen für Menschen, die am unteren Ende der sozialen Leiter stehen. Dabei nimmt er vor allem Bezug auf Typologien aus der Vergangenheit – von marokkanischen Hofhäusern bis zu den Armenhäusern des Mittelalters.

Der britische Architekt Peter Barber baut für Obdachlose. Foto: Morley von Sternberg

In einem kleinen Laden an einer der Zufahrtsstraßen zum Londoner Bahnhof Kings Cross befindet sich das Büro von Peter Barber Architects. Das Erdgeschoss ist vollgestopft mit weißen Pappmodellen, der alte Fußboden knarzt, von oben dringen die Stimmen der Architekten durch die Decke. Während des Interviews, das ich mit dem Büroinhaber führe, schaut ein junger Spanier herein und fragt, ob das hier ein Buchladen sei. „Alle möglichen Leute klopfen hier an“, schmunzelt der Chef, „manchmal kommen mehrere Leute herein und sehen sich um, weil sie denken, das sei eine Galerie. Und irgendwie passt das zu uns – an der Straße teilzuhaben – da wir uns so viel mit Straßen beschäftigen.“ In seiner gut abgetragenen Lederjacke wirkt Peter Barber ernsthaft und engagiert und ist – ganz typisch englisch – auch immer wieder humorvoll-ironisch.

Der Besprechungsraum im Büro von Peter Barber Architects. Foto: PBA

Peter Barber: Das Herz am rechten Fleck

Peter Barber gründete 1989 sein eigenes Büro. Er erinnert sich an diese Zeit: „Architekten waren nicht an Wohnungsbau interessiert. Es ging immer um große öffentliche Bauaufträge – Galerien, Museen oder spektakuläre Bürohochhäuser. Es war die Zeit der Grands Projets“. Wohnungsbau war auf der Strecke geblieben, aber Barber fing trotzdem an, Umbauten an Obdachlosenwohnheimen als Auftrag anzunehmen. Viel Honorar gab es dafür nicht, aber es gab etwas zu tun: ein neues Bad hier, Küchen, Renovierungen, neue Eingangsbereiche. Mit kleinen Budgets wurden heruntergekommene und verbaute Räume verbessert.

In den frühen 1990-Jahren kam dann New Labour an die Macht und brachte mit dem Programm „Places for Change“ neue Geldquellen und Ideen: Langzeitobdachlose sollten wieder Fuß in der Gesellschaft fassen. In der Folge wurden bestehende Einrichtungen renoviert, und man fing an, Übergangshäuser zu bauen. Heimverwaltungen hatten Geld um zu expandieren und ihren Bestand zu verdichten. Statt den bisherigen engen Zugängen entstanden offene Eingangsbereiche. Die räumlichen Verbesserungen zogen auch bessere zwischenmenschliche Verhältnisse nach sich. Peter Barber Architects waren am richtigen Ort zur richtigen Zeit – und hatten das Herz am rechten Fleck. Und so bekam das Büro nun auch die Chance neu zu bauen. In der Folge entstanden in Höfen und Gärten kleine Gebäude mit Einzelzimmern oder WGs. Hier wurden Bewohner untergebracht, die zum eigenständigen Wohnen bereit waren und bald in eigene vier Wände ziehen sollten.

Extrem dichtes Bauen

An diesen frühen Bauten kann man schon eine der Hauptcharakteristika des Büros erkennen – die Erfahrung im extrem dichten Bauen. Eines der ersten Wohnhäuser am Broadway Market im Osten von London kombiniert zwei Wohnungen und zwei Wohn- und Arbeitsstudios auf einem Reihenhausgrundstück von viereinhalb Meter Breite. Die Architektur wird dabei oft mit nordafrikanischen Kasbahs verglichen: Höfe reihen sich aneinander, Abstandsflächen schrumpfen. Dabei hilft es, dass Architektur für Obdachlose in England viel weniger reguliert ist als der allgemeine Wohnungsbau. Hier kann man mit kleinen Wohnflächen und reduzierten Abständen experimentieren. Erst dadurch wurden Projekte wie Holmes Road und Mount Pleasant möglich.

Der Brite gründete 1989 sein Büro in London. Die ersten Aufträge waren kleine Umbauten in Obdachlosenheimen. Foto: Morley von Sternberg

Von der Vergangenheit lernen

Und wie schon gesagt: Das wichtigste Thema des Büros ist die Straße. Statistisch gesehen sind in Großbritannien siebzig Prozent aller Gebäude einer Stadt Wohnbauten. Sie umschließen den Raum und bilden die Straßen. In Peter Barbers Projekten wird oft der gesamte Baugrund bebaut und dabei die Straße verengt. Es entstehen Gassen, Durchgänge, Hinterhöfe. Das Büro verwendet dabei gerne die Typologie des Hofhauses, eine Typologie, die in Großbritannien eher ungewöhnlich ist und die man eher aus Marokko, Spanien oder dem Nahen Osten kennt. Dabei geht es darum, kleine Privathöfe zu schaffen, die eine Alternative zu den in Großbritannien üblichen Reihenhäusern sind. Letztere beanspruchen viel Land, weil die Baugesetze einen Abstand von dreißig Metern zu den rückwärtigen Fassaden vorsehen. Dadurch haben sie große Gärten, die nicht immer genutzt werden. Peter Barber Architects reduzieren diese Gärten auf acht Meter oder sehen gar keinen Garten.

Für seine Wohnungsbauprojekte greift Peter Barber immer wieder Wohnungstypen aus der Zeit vor der Moderne auf. Zum Beispiel in der McGrath Road in Stratford in Ostlondon. Dort baut das Büro gerade „back to back“, also Haus an Haus. Im 19. Jahrhundert war das ein Modell für die rapide wachsenden Städte während der Industrialisierung: Es ging schnell, war billig und hatte eine hohe Dichte. Später wurden diese Viertel als Slums verdammt und abgerissen. Peter Barber hat diese Typologie für sich neu entdeckt, dabei aber die negativen Aspekte ausgemerzt. So sind die Wohnungen zum Beispiel nicht mehr nur in eine Richtung ausgerichtet. Auch bei ihrem Projekt Donnybrook wurde ein alter Typus verwendet, das Cottageflat. Dieser Haustyp sieht aus wie ein Reihenhaus, hat aber mehrere Eingangstüren. Eine Wohnung befindet sich im Erdgeschoss, eine im ersten Stock.

In Donnybrook wurde das Ganze mit privaten Terrassen im ersten Stock kombiniert. Auch das Projekt Holmes Road nimmt auf die Vergangenheit Bezug, genaugenommen auf die Armenhäuser (Alms Houses), die in England seit dem Mittelalter in der Nähe von Kirchen gebaut wurden. Hier sind mehrere kleine Häuser um einen zentralen Obst- und Gemüsegarten angeordnet. So kombinieren Peter Barber Architekten erprobte Wohnungstypen mit innovativen Lösungen und sozialer Programmatik. Die vielen weißen Modelle von Wohnsiedlungen und Häusern im Büro haben dabei keinen einheitlichen Stil – das einzige verbindende Element ist ihre hohe Dichte. In der Vielfalt dieser Projekte zeigt sich aber immer das Engagement der Architekten – und ihr ehrliches Interesse an den Bewohnern, die oft am untersten Ende der sozialen Leiter stehen.

Mit seinem Wohnungsbau in der Peckham Road hat Peter Barber erneut die Bewohnerinnen und Bewohner in den Mittelpunkt rücken lassen. 

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