02.02.2021

Portrait

Na toll, und jetzt? Studio Cross Scale


Heute: Studio Cross Scale

Gerade mit dem Studium fertig – oder in den letzten Zügen – und echt. keinen. Plan., wie es weitergehen soll? An diesem Punkt waren wir alle schon. Gewöhnt, immer ein Ziel vor Augen zu haben, macht sich jetzt ein großes Fragezeichen breit. Adieu Uni, hallo Zukunftsängste. Wir haben das Gegenmittel: Junge Büros, Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die ihren eigenen Weg gehen. Wir haben sie nach ihren größten Ängsten, Inspirationen und Erfolgen gefragt. Heute stellen wir vor: Studio Cross Scale aus Stuttgart

Studio Cross Scale hatte nach dem Studium und vielen Praktika das Gefühl, dass es die meisten anderen Architekten und Architektinnen auch nicht unbedingt besser wissen und starteten daher ihr eigenes Experiment. So kam es, dass die Architekten 2018 in Stuttgart ihr eigenes Architekturbüro gründeten. Ihr Anspruch: Architektur und Stadt anders zu denken, und damit Bauherren und Projektbeteiligte von ihrer Herangehensweise zu überzeugen.

Studio Cross Scale besteht aus Saskia Mersch, Daniel Pauli, Nicole Müller, Paula Weil, Jannis Haueise, Eva Berttram, Sascha Bauer, Ender Cicek

“Wir versuchen unsere Arbeitszeit auf 18 Uhr zu begrenzen, denn jeder braucht Zeit für sich, seine Familie oder für gesellschaftliches und soziales Engagement.”

 

Welches Projekt hat Euch zuletzt sprachlos gemacht?
In der heutigen Zeit kann man das leider nicht auf ein einzelnes Projekt eingrenzen. Die Architektur ist aus unserer Sicht in eine Zwickmühle zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und reiner Dienstleistung geraten. Sprachlos macht uns in diesem Spannungsfeld nicht nur die historische Verklärung rekonstruierter Volumina, vorgefertigter Verwertungsketten für neue Bausubstanzen, der ökologisch fatale Umgang mit Bausubstanz oder die durch Privatisierung geförderte soziale Ausgrenzung im öffentlichen Raum.

 

Wo findet man Euch, wenn Ihr nicht im Büro sitzt?
Wir haben vielfältige Interessen und versuchen unsere Arbeitszeit auf 18 Uhr zu begrenzen, denn jeder braucht Zeit für sich, seine Familie oder für gesellschaftliches und soziales Engagement nach eigenem Gusto.
Auch das Engagement in Projekten wie dem Österreichischen Platz von Stadtlücken e.V. oder Lehrtätigkeiten an Hochschulen sollen bewusst in den Arbeitsalltag einfließen können.

Das Gebäude mit einer für Stuttgart typischen Sichtfassade reiht sich in die Gründerzeitbauten auf den Hängen Stuttgarts ein.
Studio Cross Scale sanierte das Dach mit einer Aufstockung in Kupfer. Bilder: Sascha Bauer, Jannis Haueise, Daniel Pauli

Was hat Euch Euren letzten Nervenzusammenbruch gekostet?
Äußere Einflüsse und die Kontextualisierung unserer Honoraransprüche haben uns dazu bewogen, die Häuserpreise in Stuttgart einmal anders zu betrachten. Die erschreckende Erkenntnis: jegliche Form der Kostenschätzung – ob von Makler, Architekt oder Investor – kann auf einem Bierdeckel berechnet werden. Das Ergebnis ist erstaunlich nah beieinander, unabhängig der gewählten Berechnungsgrundlage. Das anfängliche Unwohlsein hat sich durch Diskussionen schnell zu einem Potenzial gewandelt: Ökologische, kulturelle und soziale Aspekte sind in jedem Projekt einpreisbar und unterliegen eben doch der Verhandlung des Planungsteams. Wir müssen nur zu unserer Überzeugungskraft stehen.

Bei diesem Experiment, reparierten die Architekten einen alten Holzstuhl. Bilder: Daniel Pauli, Sascha Bauer
Dabei sollte das Alter und die Unvollkommenheit des Stuhles hervorgehoben werden

“Wir sprechen bei uns bewusst von einem Büro-Experiment.”

Was macht Euch Angst?
Es wird schon im Kleinen nicht mehr repariert, sondern nur noch mit vorgefertigten Bauteilen aus einem globalisierten Markt ausgetauscht. Dabei werden nicht nur Ressourcen verschwendet, sondern handwerklich begabte Menschen sind nicht mehr gefragt und die praktische Intelligenz einer Gesellschaft geht drastisch zurück. Das projiziert sich heute schon auf Bestandsbauten, bei welchen man sich nicht mehr die Mühe machen will, über den Altbestand nachzudenken, sondern bereits die Phase 0 mit Abriss plant – oder noch schlimmer: wenn Abrisskosten bereits im Grundstücksangebot gegengerechnet sind.

Städte sind für uns die bauliche Interpretation einer zurückliegenden Gesellschaft. Daher sollten wir gemeinsam mit der neuen Generation ausdiskutieren, wie wir zukünftig zusammenleben möchten, ob wir stets Neues bauen sollten oder auch einfach Dinge umnutzen, transformieren, weiterbauen oder reparieren können.

Wir sollten Architektur und Stadt mit einer pragmatischen Schönheit anstreben, welche sich dem material- und flächengefräßigen „Normal-Bauen“ entzieht und in Würde altern kann.

 

Was ratet Ihr anderen jungen Architekten, die sich selbstständig machen wollen?
Wir sprechen bei uns bewusst von einem Büro-Experiment, denn der Ausgang soll und muss offen bleiben. Die Komplexität von Stadt und Architektur spiegelt sich auch in der Komplexität der angrenzenden Disziplinen wider. Als junge Planerin kann man nicht davon ausgehen, dass man alles kann und richtig macht. Davor sollte man keine Angst haben!
Lernen kann ich auch in meiner eigenen Selbstständigkeit. Verantwortung verteilt sich immer auf viele Schultern. Im Eigeninteresse aller Beteiligten, wird man sich unter guten Projektpartnern immer gegenseitig unterstützen und auf Relevantes hinweisen.

Daher: JUST DO IT!

In einer Jugendstilwohnung in Stuttgart sollte die Geschichte des Gebäudes durch Erhalten und Neuinterpretieren der historischen Substanz und prägender Details hervorgehoben werden.
Küche und Bad wurden neu aufgeteilt, nachdem diese durch die vorherige gewerbliche Nutzung in ihrem Umfang erheblich zurückgestutzt worden war. Bilder: Nicole Müller, Sascha Bauer

Was meint Ihr: Wie verändert sich die Architektur durch die Corona-Pandemie?
Die semantische Polyvalenz des Begriffs Architektur wird sich in Zeiten der Pandemie weiter auflösen und sich primär im Teilbereich des Begriffs Bauen wiederfinden.
Das Bauen auf der Grundlage der „utilitas“ und „firmitas“ erhält somit merklich einen erweiterten Fokus. Die im Planeralltag notwendige Entwurfsphase am Besprechungstisch ist in Zeiten des Home-Office nicht immer leistbar. Die Frage nach der ästhetischen Qualität wird daher zu Gunsten der notwendigen Baumasse ausgeklammert. Das Bauen als empirisch nachvollziehbares Handeln eines referenziellen Teilsystems wird daher zunehmend ohne Architekten erfolgen, sehr wohl aber mit Architektur-Dienstleisterinnen. Die Frage bleibt im Raum, in welchem Bereich und in welcher Hingabe wir uns als gut ausgebildete Akademikern für den einen oder den anderen Weg entscheiden wollen?

Mehr zu Studio Cross Scale.

Übrigens: Studio Cross Scale ist mit ihrem Projekt K59 Preisträger unseres Nachwuchswettbewerbs „Die glorreichen 5“ 

Die Baumeister Academy ist ein Praktikumsprojekt des Architekturmagazins Baumeister und wird unterstützt von GRAPHISOFT und der BAU 2019.

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