Ursula Kleefisch-Jobst ist zusammen mit Peter Köddermann und Karen Jung Kuratorin der Ausstellung „Fluch und Segen. Kirchen der Moderne“ (09. September bis 10. November 2019) des Museums für Architektur und Ingenieurkunst NRW im Kirchenraum St. Gertrud in Köln.
BAUMEISTER: Was war der Auslöser für die Ausstellung?
URSULA KLEEFISCH-JOBST: Uns hat zunächst die Frage beschäftigt, wie wir als Gesellschaft mit dem Leerstand von immer mehr Kirchen in NRW umgehen. Dabei haben wir festgestellt, dass besonders die Sakralbauten der Moderne öfter aufgegeben werden, wenn in einem Pfarrverbund mehrere Kirchen zur Disposition stehen. Gemeinden tendieren dazu, ein neogotisches Kirchengebäude weiter als Pfarrkirche zu nutzen als einen Bau der Moderne. Ein weiterer Grund für uns ist, dass NRW an Rhein und Ruhr über die weltweit größte Dichte an Kirchenbauten der Moderne verfügt. Ein bedeutender Teil davon ist von hoher baukünstlerischer Qualität und weist eine besonders wertvolle künstlerische Ausstattung auf.
B : Die Wahl fiel auch auf eine Kirche als Ausstellungsraum…
U K – J : St. Gertrud in Köln entstand von 1962 bis 1965 nach Entwürfen des Kölner Architekten Gottfried Böhm. Sie ist ein charakteristischer Kirchenbau dieses großen Kirchenbaumeisters und zeittypisch für die Nachkriegsmoderne. Die Kirche wird aktuell überwiegend für kulturelle Veranstaltungen genutzt. Da aber – wenn auch nur selten – dort weiter Gottesdienste gefeiert werden, sind im Kirchenraum noch alle wichtigen Prinzipalstücke nach Entwürfen von Böhm vorhanden. Das ist für die Ausstellung ebenfalls ein entscheidender Aspekt.
B : Wie haben Sie die Ausstellung aufgebaut?
U K-J: Dass Gemeinden eher dazu tendieren, ihre historistische Kirche zu behalten und die der Moderne aufzugeben, hängt damit zusammen, dass die Kirchen des 19. Jahrhunderts für viele Menschen meist das tradierte Bild eines Kirchenbaus verkörpern. In diesen Kirchen fühlen sie sich zu Hause. Die modernen Kirchen hingegen – mit ihren vielfältigen skulpturalen oder streng kubischen Baukörpern, den verwendeten Alltagsmaterialien, ihren dämmrigen oder gleißend hellen, bildlosen Innenräumen – sind oft schwer verständlich. Und noch schwieriger zu verstehen sind ihre vielschichtigen Bedeutungsebenen. Genau an diesem Punkt setzt die Ausstellung an. Im Mittelpunkt steht mit St. Gertrud ein einziges Kirchenbauwerk pars pro toto. Die Besucher sollen es zunächst mit all ihren Sinnen erleben und erst dann aus dem zeitgeschichtlichen Kontext heraus entschlüsseln. Der Kirchenraum wird mit einer Lichtinstallation inszeniert: Grafische Elemente, kurze Erläuterungen und Zitate werden an die Wände projiziert. Diese Impulse sollen einerseits das Besondere dieser Räume hervorheben und die Besucher anregen, über die eigenen Erfahrungen im und mit dem Raum nachzudenken. In der Krypta gibt es dann einen zweiten Ausstellungsteil, der sich mit den Herausforderungen bei der Umnutzung von Kirchengebäuden beschäftigt. Dieser Teil der Ausstellung geht 2020 auf Wanderschaft.
B : Etwa 30 Prozent von rund 6.000 christlichen Kirchen in NRW werden in den nächsten Jahren leer stehen. Mit der Ausstellung verbinden Sie das Projekt „Zukunft-Kirchen-Räume“. Mit welchem Ziel?
U K-J: „Zukunft-Kirchen-Räume“ ist ein Projekt von StadtBauKultur NRW in Kooperation mit der Architektenkammer NRW, der Ingenieurkammer-Bau NRW sowie mit Unterstützung der (Erz-) Bistümer und Landeskirchen in NRW und der RWTH Aachen. Entstanden ist eine Website, auf der etwa Kirchengemeinden praktische Hilfe finden, wenn sie ihre Kirchen zum Erhalt baulich anpassen oder „umnutzen“ müssen: von wichtigen ersten Schritten, vom Kirchen- und Baurecht über die Prozessgestaltung bis zu Ansprechpartnern und gelungenen Beispielen. Ab Oktober 2019 werden zudem mehrere Kirchengemeinden und andere Akteure bei der Entwicklung eines Umnutzungskonzepts fachlich unterstützt.
Den Artikel lesen Sie in der aktuellen Baumeister-Ausgabe 09/2019.