21.12.2023

Öffentlich

Sieben Kapellen – Über Feld und Flur

Holz Kirche Kultur
Mitten auf einem Hang voller Wiesen, Felder und vereinzelter Baumgruppen steht die Kapelle von Volker Staab bei Kesselostheim. Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Mitten auf einem Hang voller Wiesen, Felder und vereinzelter Baumgruppen steht die Kapelle von Volker Staab bei Kesselostheim. Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede

Malerisch, aus einem Landschaftsgemälde entsprungen – das ist pittoresk. Und das trifft auf die sieben hölzernen Wegkapellen bei Dillingen an der Donau zu.

„Die Abende gehe ich über Feld und Flur, den blauen Himmel über mir, um und neben mir grüne Saat, grüne Bäume, und bin nicht allein; denn der, so Himmel und Erde schuf, ist um mich.“ – Caspar David Friedrich


Zwei Vorgaben: Holz und Kreuz

Caspar David Friedrich wusste um den Stellenwert der Natur für ihn selbst und für seine Zeit, die der Romantik. Subjektive Gefühle des Einzelnen über den Verstand zu stellen, in geheimnisvolle und melancholisch schöne Welten zu fliehen, Geborgenheit und Gott zu finden, dafür bot Natur Raum – und tut dies immer noch. Die sieben Wegkapellen rund um Dillingen sind ein gutes Beispiel. Die 2016 ins Leben gerufene Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung zeichnet verantwortlich für das Projekt „Sieben Kapellen“. Absicht der Stiftung ist es, Kunst, Geschichte, Kirche, Religion und Kultur zu fördern. Mit diesem Ziel entwickelte Peter Fassl, Bezirksheimatpfleger und stellvertretender Vorsitzender der Stiftung, in Gesprächen mit dem Stifter und Holzunternehmer Siegfried Denzel Anfang 2017 einen Plan. Noch im selben Jahr fiel eine Wahl der möglichen Standorte gemeinsam mit dem Architekten Hans Engel, wobei die ausführenden Architekten ihre Standorte letztlich selbst aussuchten: Rund um die Donau, entlang an teilweise neu angelegten Radwegen entstanden zwischen 2018 und 2020 sieben Kapellen der Architekten Hans Engel (Augsburg), Frank Lattke (Augsburg), John Pawson (London), Volker Staab (Berlin), Alen Jasarevic (Mering), Christoph Mäckler (Frankfurt am Main) und Wilhelm Huber (Betzigau). Die Architekten hatten bei ihrem Entwurf nur zwei Vorgaben zu berücksichtigen: Die Kapelle sollte aus Holz sein und ein Kreuz besitzen. Auf dieses Konzept sind die Architekten individuell eingegangen. Wie? Das zeigt eine Wanderung auf dem rund 130 Kilometer langen Radrundweg.

Malerisch, aus einem Landschaftsgemälde entsprungen. Das sind die sieben Kapellen bei Dillingen an der Donau. Alles zu den Holz-Wegkapellen.
Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
12 Edelstahlstützenfüße wurden in die Bodenplatte einbetoniert, um die Verformung der Rundstützen zu minimieren.

Kapelle Gundelfingen am Radweg nach Offingen von Hans Engel

Für uns beginnt der Rundweg mit einer Kapelle, die aus der Reihe tanzt – die Radwegkapelle bei Gundelfingen von Hans Engel. Sie ist die einzige Kapelle, die offen gestaltet ist und die umliegende Natur bewusst einbezieht. Die direkt am Wasser gelegene Architektur war die erste fertiggestellte Kapelle und wurde am 30. Juni 2018 gesegnet. Engel entwarf gezielt „kein Gebäude, sondern eine offene Baugestalt aus reduzierten, witterungsbeständigen Bauteilen“. Die Idee dahinter ist es, eine Lichtung zwischen vier Blutbuchen, Donauufer und Feldern zu schaffen. Das Ergebnis ist nie endgültig, sondern abhängig von der sich verändernden Zeit und landschaftlichen Umgebung. Die Kapelle hat eine kreuzförmige Grundrissfläche von etwa fünf mal fünf Metern und eine Höhe von ebenfalls fünf Metern. Zwölf gedrechselte Lärchenholzsäulen tragen das flache Holzdach. Es gibt drei grafisch bedruckte Glaswände aus rahmenlosem Sicherheitsglas. Auf den gläsernen Seitenwänden stehen theologische und philosophische Zitate aus aller Welt. Sie beziehen sich auf die Natur. In einer Art Altarraum hängt eine künstlerisch gestaltete Glasscheibe mit Kreuz. In den seitlichen Nischen gibt es zwei Sitzgruppen.

Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Fotos: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Die Wände wurden in Holzständerbauweise errichtet. Das Dachtragwerk aus Stäben macht den Kräfteverlauf deutlich.
Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung

Wegkapelle in Oberbechingen von Frank Lattke

Die zweite Wegkapelle liegt zwischen Oberbechingen und Wittislingen an einer Weggabelung. Frank Lattke wählte einen Bauplatz, der in einem etwa 250 Hektar großen Niedermoorgebiet der Schwäbischen Alb liegt – dem Dattenhauser Ried. Aus der Ferne ragt die Dachspitze kaum sichtbar aus den Feldern. Die hölzerne Architektur erschließt sich dem Betrachtenden mit jedem Schritt in Richtung der Kapelle. Dort angekommen, ist aus dem Innenraum der Kapelle Vogelgezwitscher zu hören, und ein Gefühl der Geborgenheit und Ruhe macht sich breit. „Bewusst entsteht kein überhöhtes bauliches Zeichen in der Landschaft, sondern ein Ort der Einkehr, der dem Besucher in der Weite der Landschaft Halt gibt“, beschreibt es der Architekt. Die ebene Topografie mit dem uferlosen Horizont prägt den Ort und findet in der knapp acht Meter hohen Kapelle einen Ankerpunkt. Über der quadratischen Grundfläche von etwa fünf mal fünf Metern richtet sich die steil zulaufende und kantige Architektur auf. Umhüllt ist sie von roh belassenen Fichtenbrettern, die mit der Witterung vergrauen. So verschmilzt die Kapelle mit der Landschaft.

Der Eingang entsteht durch eine in den Raum geschwungene Giebelwand aus Stabwerk. Auch hier erschließt sich der Raum mit jedem Schritt: vom Niedrigen ins Hohe, vom Schmalen ins Quadratische, vom Betonboden ins Parkett aus Fichtenholzwürfeln. Der Innenraum ist von einem filigranen, diagonal verlaufenden Stabwerk überspannt, das in den Bodenecken beginnt. Die Konstruktion führt den Blick und lässt den Raum höher erscheinen. Direkt unter dem First nisten Vögel. Das Kreuz aus brüniertem, gebürstetem und schmalem Tombakblech ragt beinahe schwebend aus der hinteren Raumecke. Zwei schlanke, raumhohe Fensteröffnungen rahmen es. Die Lichtstimmung entsteht durch das aus dem Eingang einfallende Licht: Sanft und variierend je nach Sonnenstand fällt es durch das offene Stabwerk und füllt den Innenraum aus roh belassenem Fichtenholz mit unterschiedlich hellen warmen Farbnuancen.

Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Trotz der Bearbeitung durch CNC-gesteuerte Maschinen war wegen der nur an drei Seiten gesäumten Balken noch viel Handarbeit erforderlich.

Kapelle von John Pawson in Unterliezheim

Die „Wooden Chapel“ von John Pawson verbirgt sich am Waldrand bei Unterliezheim. Aus dem Tal kommend, zeigt sich die kompakte Kapelle erst beim Anstieg. Die Architektur wirkt wie eine Skulptur aus gestapelten Baumstämmen samt Baumrinde – simpel, doch monumental. Insgesamt 40 Douglasienstämme mit einer Länge von etwa 12,5 Meter und einem Durchmesser von 90 Zentimetern wurden aus dem Schwarzwald für den Bau hertransportiert. Durch einen schmalen Eingang betritt man die Kapelle. Der rund sechs Meter hohe und acht Meter lange Innenraum wird bestimmt von den gesägten Holzflächen der Stämme. Ein Fenster lässt Licht in den Raum und lenkt den Blick auf den Kirchturm im Dorf. Ein Spalt entlang der Längsseiten unmittelbar unterhalb der Decke lässt sanftes Licht in den Raum hinein. An der Stirnseite ist ein Kreuz, durch das bernsteinfarben Tageslicht von außen scheint. Durch den Kontrast zwischen dem schmalen, verdichteten Kapelleninnern und der Panoramalandschaft gelingt Pawson ein faszinierendes Spiel räumlicher Enge und Weite.

Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Fotos: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Aus statischen Gründen entschied man sich für zwei kreuzweise angeordnete, sich verjüngende Holzbügel aus Furnierschichtholz.
Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Mitten auf einem Hang voller Wiesen, Felder und vereinzelter Baumgruppen steht die Kapelle von Volker Staab bei Kesselostheim. Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede
Fotos: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede
Mitten auf einem Hang voller Wiesen, Felder und vereinzelter Baumgruppen steht die Kapelle von Volker Staab bei Kesselostheim. Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede

Kapelle Kesselostheim von Staab Architekten

Volker Staab entwarf die Kapelle bei Kesselostheim. Mitten auf einem Hang voller Wiesen, Felder und vereinzelter Baumgruppen gelegen, fügt sich der etwa 14 Meter hohe Turm zwischen vier Bäumen ein. Die Aussicht ist wesentlich für die Standortwahl. Über einen 35 Meter langen Steg kommt man auf einen kleinen Platz, den eine Wand mit eingelassener Bank abschließt. Ihr gegenüber steht der Kapellenturm auf einer Fläche von vier mal vier Metern. Auf den ersten Blick erscheint die Architektur kompakt, doch sie besteht aus einer durchlässigen Raumhülle aus quadratischen, übereinander angeordneten Lamellen. Zwei kreuzweise angeordnete Holzbügel tragen die Lamellen. Eine Seilverspannung verstärkt die Konstruktion. Durch die Wände und die offene Decke gelangen Regen, Schnee und Wind in den Innenraum. Aber auch Licht fällt durch die Lamellen und schafft eine Atmosphäre, die der Architekt bewusst steuert: Die unterschiedlich ausgerichteten Lamellen erhellen primär den oberen Turmteil und betonen so den Sog gen Himmel. Zusätzlich verjüngt sich die Konstruktion leicht nach oben. Das vorgegebene Kreuz ist in der Kapelle zwar zweimal vorhanden, doch als christliches Symbol nicht klar erkennbar: Ein metallenes Kreuz befindet sich eingelassen im Boden und wiederholt sich in der Konstruktion an der Spitze des Turms als verbindendes Element. Nur wer den christlichen Andachtsort sucht, findet ihn.

Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Drei fünftägige Brettsperrholzplatten bilden den Raum – raumseitig behauen, wetterseitig mit einem Schindelkleid umhüllt.

Kapelle Ludwigschwaige von Alen Jasarevic

In den Donau-Auen bei den Schwaigen befindet sich die Wegkapelle von Alen Jasarevic. Zwischen Laubwald, Donau-Altwasser und Feldern ruht die Kapelle. In der Frontansicht erscheint sie wie ein zwölf Meter hohes Tipi. Doch die Idee ist eine andere: Sie soll zum Gebet zusammengelegte Hände versinnbildlichen. Die beinahe dreieckige Grundfläche ist sechs Meter lang und weitet sich von zwei auf eine Breite von fünf Metern. Von außen ist die Architektur mit naturbelassenen Schindeln verkleidet. Der Eingang verbirgt sich hinter einer dreieckigen Tür aus unbehandeltem Stahl. Eingetreten, schließt sich die Tür langsam, schwer und selbstständig. Ein dumpfer, donnerähnlicher Klang füllt den Raum, und der Blick wandert zur einzigen Lichtquelle am höchsten Punkt der Kapelle. In der offenen Spitze formen, unabhängig voneinander, zwei Stäbe ein Kreuz. Umgebungsgeräusche, Sonne oder Regen dringen durch die hohe Öffnung und wirken auf die Atmosphäre ein. Über drei Stufen gelangt man hinab in den Kapellenraum. Boden und Stufen sind aus Beton. Sie bilden eine Art Wanne, über der drei 14 Zentimeter dicke Brettsperrholzplatten Wände und Dach formen. Bildhauer Josef Zankl bearbeitete die gesamte Oberfläche des Innenraums mit einem Hohleisen. Dank ihrer spirituellen Gesamtwirkung und handwerklichen Ausführung ist die Kapelle eine der kraftvollsten des Rundwegs.

Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Fotos: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Die Einzelbalken aus witterungsbeständiger Lärche sind fest untereinander verschraubt, alle Eckverbindungen überfälzt.
Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung

Kapelle bei Oberthürheim von Christoph Mäckler

Die von Christoph Mäckler entworfene Kapelle ist die jüngste des Rundwegs. Sie wurde am 19. Dezember 2020 gesegnet. Am Rande weiter, flacher Felder bei Oberthürheim, gleich am Rand eines kleinen Walds und durch große Kastanienbäume markiert, steht das Holzhaus. Es ist acht Meter lang, drei Meter breit, und der Eingang befindet sich in einem etwa zwei mal zwei Meter großen Vorbau. Die Kapelle erinnert an den Archetypus eines Hauses in Blockbauweise mit Satteldach, doch betont der Architekt das Vertikale durch das enorm steile Dach. Mit den Proportionen lehnt er die Kapelle klar an den gotischen Kirchbau an. Im Innern ist diese Intention noch stärker ablesbar: 150 kleine quadratische Farbgläser tauchen den Raum in ein tiefblaues Licht, eine Art Chorgestühl an den langen Seiten leitet den Blick auf ein goldgelbes Glaskreuz in der Giebelwand. Beispiellos scheint die Kapelle als pittoreskes Kleinod einem Gemälde der Romantik entstiegen.

Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Foto: Eckhart Matthäus/ Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung
Im Inneren besteht die Wandoberfläche aus Fichten-Brettsperrholz, die belüftete Außenfassade aus einer beständigen Lärchenholzschalung.

Kapelle Emersacker im Laugnatal von Wilhelm Huber

Unsere finale Station ist die „Blaue Kapelle“ von Wilhelm Huber. Zwischen hochgewachsenen Fichten und einer Landstraße steht die zwölf Meter hohe, turmartige Kapelle im länglichen Laugnatal. Über einen überdachten Vorplatz und eine Schiebetür gelangt man ins Innere. Während außen naturbelassenes Lärchenholz die Architektur prägt, zeigt sich im Innenraum ein anderes Farbspiel – in Weiß und Blau. Das Licht fällt durch ein blaues mundgeblasenes Oberlicht und spiegelt sich auf den weiß gestrichenen Wänden. Beinahe mittig im Raum steht ein filigranes Metallkreuz. Die sieben Kapellen setzen religiöse Landmarken, bilden kraftvolle Zeichen in der Landschaft und schenken zugleich Geborgenheit. Man fühlt sich an die Forderung von Novalis erinnert, die Welt müsse für den ursprünglichen Sinn romantisiert werden, und spürt die aktive und zeitlose Kraft der Romantik um und in den Kapellen.

Malerisch, aus einem Landschaftsgemälde entsprungen. Das sind die sieben Kapellen bei Dillingen an der Donau. Alles zu den Holz-Wegkapellen.
Das Buch zur Rundweg „7 Wegkapellen. Architektonische Landmarken im Donautal“ ist 2021 im Firmer Verlag erschienen.

Publikation der Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung

„7 Wegkapellen. Architektonische Landmarken im Donautal“

Hg. Peter Fassl, Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung,
erschienen im März/2021,
22 mal 28 Zentimeter, gebunden
312 Seiten, 100 Abbildungen

ISBN 978-3-7774-3738-5

Mehr zur Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung und dem Buch hier.

Auf einem ländlichen Anwesen im zentralspanischen Cuenca hat das Madrider Architekturbüro Sancho-Madridejos eine Kapelle errichtet, die in ihrer Erscheinung einem aus gefalteten Stahlbeton bestehenden Origamikunstwerk ähnelt.

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