02.08.2023

Kolumnen

Sagen wir doch einfach Praxis dazu

Nachwuchs
Wie unterscheidet sich Architekturpraxis vom Brötchen backen? Foto: Dan Gold / Unsplash
Wie unterscheidet sich Architekturpraxis vom Brötchen backen? Foto: Dan Gold / Unsplash

Wie definiert sich eigentlich Architekturpraxis? Ramona Kraxner hat eine Unterhaltung mit einem Architekten geführt und sich darüber Gedanken gemacht, was Architekturpraxis vom Brötchen backen unterscheidet.

Kürzlich führte ich eine scheinbar harmlose, aber vielsagende Diskussion mit Architekt L. Wobei, streng genommen ist auch er kein Architekt, denn den Titel Architekt bzw. Architektin darf man in Österreich nur führen, wenn man die Ziviltechnikerinnenprüfung gemeistert hat (deren Zugang im übrigen auch durch mehrjährige Baustellenpraxis reguliert ist). Aber er ist durchaus das, was man gemeinhin einen Architekten nennen würde: Er arbeitet in einem Architekturbüro.

„Wieso sollte jemand, der Architektur denkt und plant, kein Architekt sein?“

 

Die Diskussion drehte sich um junge Architekturschaffende. Junge Architektinnen und Architekten. Obwohl es keinen signifikanten Altersunterschied zwischen L und mir gibt, konnten unsere Ansichten darüber, wer Architektur macht und wer nicht, unterschiedlicher kaum sein. Worin wir uns allerdings deutlich unterscheiden ist, dass er in einem Architekturbüro als leitender Angestellter arbeitet, und ich mich lieber mit theoretischen Gedankenmodellen und Problemen auseinandersetze als mit Anschlussdetails.

Für L sind Architektinnen Leute aus der Praxis, und Leute aus der Praxis sind wiederum jene, die Häuser bauen, die Projekte planen, die Ausschreibungen machen und bereits erwähnte Details zeichnen. Ich hingegen fasse den Architekturbegriff deutlich weiter: Wieso sollte nur jemand, der Sickerbecken zeichnen kann, plötzlich ein Architekt sein, während jene, die grundsätzlich Architektur denken und planen, keine sind? Besonders junge Architekturschaffende brauchen teilweise Jahre, bis sie sich endlich in die handfeste Praxis wagen dürfen. Warum also ignoriert man die Jahre vom Studienbeginn bis zum ersten Sickerbecken, wenn genau diese doch so prägend für das Architekturverständnis sind?

Böse Beobachter könnten jetzt behaupten, auch eine Person, die lediglich über Brötchen nachdenkt, sei noch lange kein oder keine Bäckerin. Allerdings sind Brötchen auch nicht so gesellschaftlich, wirtschaftlich und raumplanerisch relevant wie Architektur. Zehn Brötchen machen vielleicht einen vollen Brotkorb, aber zehn Gebäude machen bereits einen halben Stadtteil. Architekturschaffende haben eine Verantwortung, die das Mindesthaltbarkeitsdatums eines Brotkorbinhalts überschreitet. Es ist ein valides Argument, zu behaupten, Architektur ist gebauter Raum und muss fachmännisch und fachfraulich geplant sowie umgesetzt werden. Aber diese exemplarischen zehn gut gebauten Häuser haben weniger Mehrwert, wenn sie auf einen schlechten Masterplan und einem schlechten Entwurf beruhen. Und genau hier setzen die von den Praktikerinnen und Praktikern gern verschmähten (teil-)theoretischen Bereiche der Architektur an: Die Stadtteilentwicklung mit den sozioökonomischen und politischen Reflexionen; die Theorie mit der Analyse von Bestehendem und der Weiterentwicklung von Gedachtem; der Diskurs mit dem spontanen Potenzial der ungeschönten Evaluierung auf menschlicher Basis.

Das alles ist Architektur, das alles gehört immanent zur guten Praxis dazu. Also sagen wir doch einfach Praxis dazu. Auch wenn das L (zumindest zu Beginn) gar nicht gern gehört hat.

Kolumnistin Ramona Kraxner fragt sich auch, ob wir alles bisher gelernte über Architekturgeschichte neu evaluieren müssen. Zur Kolumne „Framing“. Ebenfalls macht sie sich hier auf die Suche nach dem „radikalisierten Nachwuchs“.

In der März-Ausgabe des Baumeister geht es um den Architekturnachwuchs. Mit im Heft dabei sind (auf Empfehlung von Ramona Kraxner) auch Architekturschaffende, die noch nichts gebaut haben.

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