22.07.2021

Gewerbe

Im Säulenwald

Das Londoner Büro ACME setzte sich 2013 in einem internationalen Wettbewerb um den Neubau der Sächsischen Aufbaubank (SAB) in Leipzig durch. Jetzt ist das Gebäude fertiggestellt worden und präsentiert sich als ein Säulenhain, zwischen dessen „Stämmen“ leichte Glasfassaden schwingen. Florian Heilmeyer hat das neue Bankhaus für uns besucht.

Foto: Werner Huthmacher
Foto: Werner Huthmacher
Foto: Strohhut Pictures
Foto: Strohhut Pictures
Foto: Strohhut Pictures

 

Auf den ersten Blick wirkt er ein wenig aus der Zeit gefallen, dieser Neubau für die Sächsische Aufbaubank (SAB) an der großen Gerberstraße in Leipzig, gleich neben dem Hauptbahnhof. Wie er sich da mit einem Wald aus 251 extrem schlanken Rundsäulen umgibt, und wie sich dahinter die geschwungenen Glasfassaden des Bürobaus als Gebäudegrenze auflösen, das weckt einige Assoziationen. Es ist, als fänden hier in Leipzig Zitate aus der Bonner Moderne der 1950er-Jahre – Eiermann, Ruf – mit Zitaten aus den 1990er-Jahren – Schultes, Braunfels – zusammen, und würden noch einmal kreuzbestäubt mit Ideen der britischen High-Tech-Moderne – Foster – und zeitgenössischer japanischer Architektur – Ishigami.

Ähnlich wie bei Eiermann und Ruf spielt die Transparenz der Hülle eine große Rolle. Wie bei Foster strahlt das Haus dabei vor integrierten, technischen Lösungen, die einen offenen, leichten Eindruck ermöglichen. Und wie bei Schultes und Braunfels tritt neben die horizontalen Linien der Fassade die Säule als vertikales Ordnungselement. Und ähnlich wie bei Ishigami wird durch ein absichtlich unordentliches Raster aus den Säulen ein Wald, in dem die Stämme sich hier verdichten und dort weiter auseinander treten. Dieser Entwurf, der sich da so heiter wie selbstsicher in Referenzen aalt, stammt vom Londoner Büro ACME. Es hatte sich 2013 in einem internationalen Wettbewerb unter anderem gegen Ingenhoven (zweiter Platz), Sauerbruch Hutton (dritter Platz) oder Riegler Riewe (Ankauf) durchgesetzt.

 

Foto: Strohhut Pictures
Foto: Strohhut Pictures5

Posthume Würdigung, dennoch Totalabriss

 

Eine wesentliche Entscheidung war allerdings schon vor dem Architekturwettbewerb getroffen worden. Nämlich jene, das knapp 40 Jahre alte Bürogebäude des Robotron-Kombinats vollständig abzureißen, das den quadratischen Block auf 100 mal 100 Metern gut gefüllt hatte. Der fünfgeschossige Kasten, Entwurf: Rudolf Skoda und Ulrich Quester, mit seiner Streifenfassade eines schlichten und kostengünstigen Funktionalismus und den zwei Innenhöfen war sicherlich keine Schönheit, auch wenn ihn die Pressemitteilung der Aufbaubank Leipzig posthum als „konsequentes Exemplar der Ostmoderne“ adelt.

 

Foto: Strohhut Pictures
Foto: Vanessa Pohl
Foto: Vanessa Pohl
Foto: Vanessa Pohl

Kunst- statt Gebäuderecycling bei der SAB

 

Das heißt, völlig rasa wurde die tabula in Leipzig dann doch nicht gemacht: Vier knapp drei Meter hohe Wandreliefs wurden aus dem alten Gebäude gerettet. Sie stammen von den Leipziger Künstlern Rolf Kuhrt, Arno Rink, Frank Ruddigkeit und Klaus Schwabe. Sie teilten sich 1968/1969 den Kollektivauftrag und entwickelten vier aufeinander abgestimmte Motive für die vier Etagenfoyers im Robotron-Gebäude . Alle vier Künstler waren damals noch jung und zählen heute zu den wichtigsten Vertretern der „Leipziger Schule“. Stilistisch orientieren sich ihre Kunstwerke am mexikanischen Muralismo der 1960er-Jahre. Im Gegensatz zum Gebäude waren die vier Arbeiten unter Denkmalschutz gestellt worden. Ihre Weiterverwendung war eine Auflage für die Abrissgenehmigung. Die SAB beschreibt die aufwändige Bergung, Restaurierung und öffentliche Präsentation im Neubau nun als „Verpflichtung gegenüber dem Erbe des Ortes sowie als Grußgeste an die Stadt Leipzig und ihre vitale Kunstszene“.

Aber wie der Abriss erzeugt auch der Umgang mit der DDR-Kunst mehr Fragen als Antworten. Zwar wurden die Reliefs tatsächlich sorgfältig gesichert, restauriert und im neuen Auditorium aufgebaut, wo sie durch die Glasfassade zur Gerberstraße zu jeder Tages- und Nachtzeit gesehen werden können. Sie sind damit in der Tat zum ersten Mal öffentlich zugänglich. Gleichzeitig werden aber nur drei der vier Reliefs aufgebaut. Die SAB verweist auf Platzmangel im 16.500-Quadratmeter-Neubau, so sei das Relief von Rolf Kuhrt „aufgrund stilistischer Abwägungen“ zu zeigen leider nicht möglich gewesen, sagt Pressesprecher Volker Stößel.

Was mit dem vierten Relief geschehen soll, werde derzeit mit der Stadt „diskutiert“. Insgesamt wirkt das alles wie ein recht halbherziger und wenig überzeugender Umgang mit dem „Erbe des Ortes“ – was enttäuschend ist. Denn der Aufwand für den Aus- und Wiedereinbau sowie die Wiederherstellung der fragilen Bilder war beachtlich und ist ist fraglos begrüßenswert.

Ein mutiges und selbstbewusstes Bankgebäude

Nun zur Architektur. Die zeigt sich ringsum als heiter beschwingte, üppige Geste. Eine Geste in dieser Größenordnung hat Leipzig lange nicht mehr gesehen. Sie wurde möglich, weil das 10.000-Quadratmeter-Grundstück für das geforderte Raumprogramm von ca. 16.500 Quadratmetern im Grunde zu groß war. Ein Luxus der Leere. So konnte ACME die Büroflächen leicht in zwei kompakten Flügeln bündeln, die den Block unter dem dünnen Flugdach nach Westen und Norden schließen. Die Säulen stehen dabei teils vor, teils am und teils im Gebäude. Das Dach hingegen zeichnet exakt die Grenzen des Grundstücks und somit das Volumen des verschwundenen Robotron-Gebäudes nach.

 

Foto: Strohhut Pictures
Foto: Strohhut Pictures
Foto: Vanessa Pohl

 

Die Säulen, ihre unregelmäßige Verteilung und die Schwünge der Glasfassaden verwischen die Grenze zwischen innen und außen. Das gilt für die Ansicht bei Tag wie bei Nacht. Und auch innen ergeben sich trotz allerlei dynamisch gerundeter Ecken kaum schwierige Restflächen. Vielmehr ist eine abwechslungsreiche Arbeitslandschaft mit viel Tageslicht und immer wechselnden Sichtverbindungen entstanden, inklusive aller gängigen „neuer Arbeitswelten“ – mit Flex Office-Bereichen, Alkoven, Silent Rooms, Think Tanks und ganz offenen Etagen. Rückseitig entstehen in den Schwüngen der Fassaden Balkone und Terrassen, die den Büros als Freibereich zugeordnet sind. Wie das alles genau funktioniert wird noch zu sehen sein. Die ersten 200 von insgesamt 500 Mitarbeitern der bislang in Dresden ansässigen SAB ziehen gerade erst im Neubau ein. Aber es ist im aktuellen Leerzustand vielversprechend.

 

Foto: Strohhut Pictures
Foto: Strohhut Pictures
Foto: Strohhut Pictures

Ein Säulenwald als Lärmfänger

 

Eines der wichtigsten architektonischen und städtebaulichen Argumente aber liegt auf der Südostseite des Gebäudes. In diese Richtung löst sich das Gebäude tatsächlich in einen reinen Säulenwald auf. Entlang der Grundstücksgrenze tragen die Säulen noch die durchlaufende Dachkante in 22 Metern Höhe. Dann aber löst sich der Wald nach innen zu einer 6.000 Quadratmeter großen Lichtung auf. Von den 159 freistehenden Säulen tragen nur die lichten äußersten Reihen das Dach.

Den anderen Säulen wurde nur noch ein sogenannter „canopy“ als Kapitell aufgesetzt. Das sind kreisrunde, mit Glasfasergewebe bespannte Stahlgitterformen, durch die das Sonnenlicht schimmert. Diese canopies sind zwischen 2,5 und 5 Metern im Durchmesser, die Säulen variieren von 40 bis 110 Zentimetern. Das trägt zu einem organischen Bild bei. Der Säulenwald soll eine Reduktion des Straßenlärms und Sonnenschutz bieten. Zusätzlich sind die Säulen innen hohle Konstruktionen aus Schleuderbeton. So können sie teilweise für die Entrauchung der Tiefgarage und die Entwässerung der Dachflächen genutzt werden. Was aber soll der Raum darunter einmal werden, der zur Zeit noch eine Baustelle ist?

Weniger Büro, mehr Wohnen: auf dem Grundstück einer ehemaligen Tankstelle haben Peter Barber Architects, 32 Wohnungen in sechs Geschossen gebaut. Wie dieser Wohnungsbau Bewohnerinnen und Bewohner in den Mittelpunkt rückt, sehen Sie hier.

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