28.12.2021

Gewerbe Kolumnen

Post-Corona-Office

Durch die Lehren aus der Pandemie-Zeit besser werden. Das hat unser Kolumnist Eike Becker mit dem Team seines Architekturbüros versucht. Dafür hat er eine ganze Reihe von Veränderungen im Office angestoßen. Welche das sind und wie sie funktioniert haben, verrät er hier. 


Gemeinsames Überlegen funktioniert besser

Nach der Erfahrung von drei Lockdowns und mitten im zweiten Corona Winter rast die Immobilienbranche unaufhaltsam wie ein Güterzug mit Schneepflug durch die Pandemie. War da was? Und es geht weiter. “The new normal is the old normal”. Eine Reise um die Welt, und schon sind wir wieder da, wo alles begann. Haben wir nichts gelernt bei dieser pandemischen Weltumsegelung? Sind wir jetzt etwa immer noch hoffnungsfroh, wieder glücklich, am Ausgangspunkt unserer Reise anzukommen?

Erkenntnisse aus der Corona-Krise hört man in der Immobilienwirtschaft eher selten. Über Veränderungen wird sich schon wieder lustig gemacht. Home Office wird vielerorts zur gescheiterten Idee erklärt und die persönliche Anwesenheit bei Projektbesprechungen häufiger eingefordert.

Ich kann nicht glauben, dass solche Rückschritte erfolgreich sind.

Für eine abschließende Beurteilung ist es natürlich noch zu früh. Aber ich habe mich mal hingesetzt und aufgeschrieben, was sich bei mir und meinem kleinen Team durch die Pandemie in den vergangenen beiden Jahren verändert hat. Nichts ist im einzelnen spektakulär. Eigentlich kaum der Rede wert. Aber es ist sinnvoll, anhand dieses Beispiels deutlich zu machen, wie weit sich die meisten von ihrer Ausgangsposition aus der Zeit vor Corona entfernt haben. Dorthin zurückzukehren, wäre ein Verlust.

Mir ist gerade zu Beginn der Pandemie klar geworden, dass erfolgreiche Veränderungen nur in seltenen Fällen ausschließlich von oben kommen. Deshalb haben wir viel diskutiert. Mit allen, die wollten. Denn gesundheitliche Themen betreffen jeden besonders persönlich. Auch war die Situation so neu, dass keiner auf seine Erfahrungen zurückgreifen konnte. Das gemeinsame Überlegen und Entscheiden funktionierte einfach besser.

Die Gespräche in großer Runde waren gar nicht so einfach. Deshalb haben wir erstmal geübt. Nach anfänglichen Selbstversuchen mit Hilfe von außen. Sabrina Eilers, Coach genau dafür, hat uns beigebracht, wie wir Konflikte nutzen, um besser zu werden. Wie wir friedlicher und freundlicher unsere Positionen verständlich machen können. Ohne einander zu verdrießen. Und wie wir Ansprüche formulieren und umsetzen. Und wie wir unsere Vorstellungen von achtsamer und schlauer Projektarbeit auch mit Auftraggebern und Ingenieuren teilen.

Das dezentrale Arbeiten hat uns zu regelmäßigen Gesprächsformaten geführt, die uns zusammen bringen. Ich genieße jetzt unseren morgendlichen Cortado, der gemeinsame Café im Office für alle um 10.00 Uhr. Oder unser Salute am Freitag, Drinks und snacken an der Bar. Auch unser Entre Nous, ein monatliches Gespräch zu stadtpolitischen Themen, trifft auf reges Interesse.

Dadurch haben wir noch besser zusammengefunden. Das hat zur Einrichtung von Arbeitskreisen geführt, die eigenständig unsere Themen voranbringen: Nachhaltigkeit (Wir werden klimaneutral), Entwurf (wer, was, wann, wie), Innovationen (Alles, was uns besser macht), Qualitäten (Wissen immer da, wo es gebraucht wird), Weiterbildung (technisches Wissen, Sozialkompetenz, Persönlichkeit) und Well-being (Feiern, Fahrräder, Monatskarten, Mittagessen). Die Ergebnisse der Arbeitskreise werden alle sechs Wochen im Governance Meeting zur Entscheidung gebracht. Alles, „was uns nicht schadet“, ist nach verhältnismäßig kurzer Diskussion ohne Abstimmung beschlossen und wird umgesetzt. Damit landen wir nicht beim kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern fördern Mut durch Entscheidungen.

 

 


Veränderungen müssen Spaß machen

An verschiedenen Stellen sind wir auch einfach steckengeblieben. Da sind wir ohne Hilfe von außen nicht weiter gekommen. Dann haben wir Berater hinzugezogen. So geschieht das bei der Reorganisation unserer Ordnerstruktur (wie toll, wenn alle alles wiederfinden) und der Standardisierung unserer Dokumente (dann kann jeder Briefe, Protokolle, Tabellen, Präsentationen, etc. gleich richtig schreiben), bei der Weiterbildung, der steuerlichen Reorganisation oder dem Weg zur CO2 Neutralität. Wir sind Architektinnen und Architekten, keine Fachleute für diese Themen. Veränderungen müssen Spaß machen. Wenn Entscheidungen getroffen werden, und die dann auch zügig umgesetzt werden. Ansonsten entsteht Langeweile und Frust. Und das können wir überhaupt nicht gebrauchen.

Ich komme gerne in unser Office. Vom 15. Stockwerk aus ist der Blick über die Stadt auch im tristen Berliner Winter ein Versprechen von Weite und Welt. Gut ist eine herannahende Regenfront zu beobachten, oder der Moment, wenn die Sonne wieder hervorbricht und die Westfassaden der Stadt in warmes Abendlicht taucht. So gerne setze ich mich an meinen Schreibtisch und entwerfe. Zur Zeit ein Stadtquartier in Waldenburg, ein Hochhaus in Offenbach, ein Holzhybrid-Gebäude in Berlin, ein Entrechteten in Frankfurt, Fassadendetails in Hamburg oder eine Türklinke.

 


Auf dem Weg zum Post-Corona-Office

So haben wir mittlerweile die Geschäftsführung mit fünf großartigen Associates gestärkt, die Digitalisierung der Buchhaltung abgeschlossen und das Steuerbüro mit dem Banking, Personalwesen und Controlling vernetzt. BIM ist in allen Projektteams etabliert. Über Revit/ Navesworks können Auftraggeber unsere virtuellen Modelle selber drehen, wenden, durchlaufen und praktischer Weise gleich dort kommentieren. Pläne sind dadurch überflüssig geworden. Jetzt haben wir auch Pflanzen im Office, fair trade Kaffeebohnen und ein Hahn mit umweltfreundlichem Filter macht die Wasserflaschen in Kisten überflüssig.

Seit August 2021 arbeiten wir am Aufbau der EB_Akademie, die Projektleiter und alle, die es werden wollen, unterstützt, Wissen und Fertigkeiten zu lernen und auszuprobieren.

Eine Kommunikationsplattform wirkt Wunder und ein interner Newsletter sorgt dafür, daß bei allen großen Herausforderungen die kleinen Erfolge nicht vergessen werden.

Viele Schritte, die aber in der Summe ihre Wirkung entfalten.

Einiges hat auch nicht funktioniert. Wenn die Hälfte der Kolleginnen und Kollegen zuhause arbeitet, bleiben zu viele Führungsaufgaben an denen hängen, die im Office sind. Oder wenn Montags und Freitags viel weniger Mitarbeiter im Büro sind, als Mittwochs und Donnerstags kann das auch die gute Idee vom selbstbestimmten Arbeiten belasten.


Klimaneutrales Office

Ich liebe meine Arbeit als Planer, Architekt und Designer. Und ich liebe die wuselige Zusammenarbeit mit den Menschen, von denen einige bereits seit Jahren mit mir gemeinsam unterwegs sind.

Aber mittlerweile arbeiten wir an 20 Projekten in zehn Städten, sind 60 Architektinnen und Architekten aus 19 Nationen, verteilt auf vier Standorte, zusammen mit 100 Ingenieurinnen und Ingenieuren. Das war auch vor der Pandemie nicht viel anders. Nur chaotischer und intransparenter. Wir haben unsere Möglichkeiten  Entscheidungen zu treffen, viel schlechter genutzt.

Jetzt wollen wir als Office klimaneutral werden, unsere Akademie aufbauen, digitale Modelle als Bauanträge einreichen und wunderschöne, holzhybride Hochhäuser ohne Schornsteine bauen.

Würden wir uns zurücksehnen in die gute alte Zeit vor der Pandemie? Keine Spur! Denn die gibt’s nicht mehr.

Alle Kolumnen von Eike Becker finden Sie hier!

Scroll to Top