04.07.2023

Öffentlich

Neues Amtsgericht Tübingen: Vom Militär zum Gericht

Nachhaltigkeit
Das neue Amtsgericht Tübingen in der Schellingstraße wurde von Dannien Roller architekten umgebaut. Foto: Dietmar Strauß
Das neue Amtsgericht Tübingen in der Schellingstraße wurde von Dannien Roller architekten umgebaut. Foto: Dietmar Strauß

Dannien Roller Architekten haben das ehemalige Militärgebäude in der Tübinger Schellingstraße zum neuen Sitz vom Nachlass-, Betreuungs- und Insolvenzgericht umgebaut. Mit überlegten Eingriffen haben sie die Bestandsstruktur des Amtsgericht Tübingen nicht nur erhalten, sondern diese auch als ästhetisches Mittel eingesetzt.


Eine Frage der Wertschätzung

Wie geht man mit dem Bestand um? Diese Frage wird angesichts der Klimakrise immer drängender. Denn der Bausektor ist ein großer Emittent von Treibhausgasen, einerseits durch die Instandhaltung von Gebäuden, andererseits aber auch durch Ressourcenverbrauch und Materialeinsatz bei Neubauten. Daher ist es im Falle von Bestandsgebäuden ratsam zu prüfen, ob ein Gebäude erhalten werden kann. Durch Sanierung, Revitalisierung und Umbau wird vielen Bestandsgebäuden ein zweites Leben geschenkt. So auch beim neuen Amtsgericht Tübingen von Dannien Roller Architekten, das 2021 fertiggestellt wurde.

Das ehemalige Kammergebäude der Thiepvalkaserne wurde in Folge der Notariatsreform 2017 zur neuen Heimat des Amtes in Tübingen. Die Herausforderung bestand darin, die 1907 errichtete Struktur den neuen Bedürfnissen an Raumprogrammatik, Technik und Standards anzupassen. Von der Statik bis zum Brandschutz musste das Gebäude in die Gegenwart geholt werden. Dazu wurde grundlegend der Umgang mit der historischen Bausubstanz reflektiert. Soll sie als Trägerin neuer Architektur dienen oder bewusst inszeniert werden, um auf den genius loci aufmerksam zu machen? Die Architekten von Dannien Roller entschieden sich für letzteres.

Das neue Amtsgericht Tübingen in der Schellingstraße wurde von Dannien Roller architekten umgebaut. Foto: Dietmar Strauß
Die historische Fassade zur Schellingstraße hin. Foto: Dietmar Strauß

Umfangreiche Sanierung

Die Transformation vom Militärgebäude zu einem Ort der unabhängigen Rechtsprechung sollte nicht nur angesichts ideologischer Belange, sondern auch bezüglich des Denkmalschutzes behutsam durchgeführt werden. Die unterschiedlichen Nutzungen der Räume des Amtsgericht Tübingen machten umfangreiche Sanierungsmaßnahmen erforderlich. So beinhaltete das Kammergebäude nebst Wäscherei auch eine Fahrzeughalle, die beide entsprechende Spuren am Bestand hinterlassen haben.

Fundamente mussten ausgetauscht und die Bodenplatte tiefer gelegt werden. Auch die Decke über dem Erdgeschoss wurde entfernt, weshalb umfangreiche Abfangmaßnahmen ergriffen nötig wurden. Auch konnte ein barrierefreier Zugang hergestellt werden, der nun direkt über die historischen Torbögen von der Schellingstraße aus erfolgt. Rückseitig wurden vormalige Garagentore zu großen Fenstern ausgebildet, wodurch die größeren Räume ausreichend mit Tageslicht versorgt werden. Um das äußere originale Erscheinungsbild nicht zu stören, wurde der Windfang im Eingangsfoyer nach innen gezogen, und bewusst als leichte Konstruktion aus Holz und Glas gestaltet.

Der neue Windfang des Amtsgericht Tübingen in der Schellingstraße. Foto: Dietmar Strauß
Windfang aus Holz und Glas. Fotos: Dietmar Strauß
Eine helle und geordnete Atmosphäre herrscht im Amtsgericht Tübingen in der Schellingstraße. Foto: Dietmar Strauß
Helle Farben und warmes Holz dominieren die neue Optik

Würde für das alte Haus des neuen Amtsgericht Tübingen

Die neue Stahlbetondecke, welche anstelle der originalen über dem Erdgeschoß eingebracht wurde, lassen Dannien Roller Architekten sichtbar im Bereich des Eingangs und der Gerichtssäle. Weiters setzen sie auf einen hellgrauen Wandanstrich, hellen Sichtestrich und Eichenholz bei der Möblierung. Durch übersichtlichen Einsatz von Farbe und Material will man dem Gebäude eine Klarheit in seinem Ausdruck und Eleganz für dessen Funktion geben. Wichtige Assoziationen mit einem unabhängigen Gericht sind für Dannien Roller Architekten unter anderem Würde und Unabhängigkeit, Ordnung und Transparenz. Dies soll auch in ihrem Entwurf räumlich erlebbar werden.

Eine helle und geordnete Atmosphäre herrscht im Amtsgericht Tübingen in der Schellingstraße. Foto: Dietmar Strauß
Das neue Amtsgericht Tübingen soll Würde und Ruhe ausstrahlen. Foto: Dietmar Strauß

Aktivierung und Ergänzungen

Abseits des Erdgeschosses mit den Gerichtssälen und der organisatorischen Funktionsräume, sind in den restlichen Obergeschossen die Arbeitsräume für Richterinnen, Richter und Mitarbeitende sowie die Registraturen untergebracht. Im Zuge des Umbaus dieser Räume wurde neues Material, eine neue Formensprache und Konstruktion hinzugefügt. Auch hier wollen sich Dannien Roller Architekten zurückhalten in der architektonischen Geste, um eine ruhige Arbeitsatmosphäre zu schaffen.

Die Büroräume siedeln sich um eine zentrale Begegnungszone im Gebäude an. Hier findet sich auch die Teeküche für Mitarbeitende. Sie bildet den sozialen und kommunikativen Kern des oberen Geschosses. Von diesem zentralen Raum aus sind die Büros zu beiden Seiten gespiegelt erschließbar. Die beiden an den Stirnseiten befindlichen Treppenhäuser werden um einen Lift ergänzt, der das barrierefreie Erdgeschoss mit dem restlichen Gebäude verbindet. Das neue Amtsgericht Tübingen soll nicht nur eine Heimat für die Gerichtsbarkeit sein, sondern auch den Bürgerinnen und Bürgern versichern, dass hier beste Arbeit für die Gesellschaft getan wird.

Der Fokus auf ein freundliches, ruhiges und übersichtliches Ambiente war dafür von großer Wichtigkeit für die Architekten. Besonders auch, um das Flair des ehemaligen Militärbaus in eine zeitgemäße Arbeitsumgebung zu transferieren. Dass sich im Inneren etwas getan hat, kann man schlussendlich auch an der Fassade zur Schellingstraße erkennen, ziert hier doch seit dem Umbau die schlanke und zeitlose Innschrift „Amtsgericht“ das Gebäude.

Übrigens: Nur wenige Meter von der Altstadt Tübingens entfernt liegt ein historisches Gebäude das von Dannien Roller Architekten + Partner umgebaut wurde – und genutzt wird. Mehr dazu hier.

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