15.03.2023

Öffentlich

Neuer Zuckerwürfel für Wiesbaden: Fumihiko Makis Museum Reinhard Ernst

Kultur
Das Wiesbadener Museum Reinhard Ernst von Architekt Fumihiko Maki ist noch eine Baustelle. Die Eröffnung ist für Oktober 2023 geplant. © Sonja und Reinhard Ernst-Stiftung, Museum Reinhard Ernst, Foto: Helbig/Marburger
Das Wiesbadener Museum Reinhard Ernst von Architekt Fumihiko Maki ist noch eine Baustelle. Die Eröffnung ist für Oktober 2023 geplant. © Sonja und Reinhard Ernst-Stiftung, Museum Reinhard Ernst, Foto: Helbig/Marburger

Das neue Museum Reinhard Ernst (mre) in Wiesbaden schafft nicht nur einen Ort für abstrakte Kunst. Mit dem Bau existiert auch eine Architektur von Pritzker-Preisträger Fumihiko Maki in der hessischen Landeshauptstadt. Alles zum Highlight der Wiesbadener Kulturachse hier.


Kein Kubus

Wiesbaden, Wilhelmstraße 1. Renommierter könnte keine Adresse für das neuste Museum in der Landeshauptstadt sein. Und weltweit renommierter könnte auch dessen Architekt nicht sein: Fumihiko Maki. Der japanische Architekt und Pritzker-Preisträger von 1993 zeichnet verantwortlich für das neue Museum Reinhard Ernst (mre). Wiesbadenern wird das Eckgrundstück gut bekannt sein.

Ein flaches Parkhaus diente in den letzten Jahrzehnten dort als Anfahrtsstelle. Von hier aus gelangt man einerseits durch die Allee mit den großen Platanen, vorbei an den prachtvollen Stadthäusern und dem Stadtpark hin zu wichtigen Institutionen, wie dem Hessischen Staatstheater, und der Altstadt. Andererseits – und wortwörtlich gegenüberliegend – befinden sich das Museum Wiesbaden und die neugestalteten Rhein-Main-Hallen. Das Parkhaus ist nun gänzlich passé. Denn das Museum nimmt die Maße, Blick- und Gebäudeachsen der historischen Vorgänger- und umgebenden Bestandsbauten auf. Insgesamt wird die Architektur auf dem rund 6.000 Quadratmeter großen Grundstück 46 Meter breit und 65 Meter lang werden. Jedoch nicht verschlossen als ein Kubus.

Das neue Museum Reinhard Ernst (mre) in Wiesbaden schafft nicht nur einen Ort für abstrakte Kunst. Mit dem Bau existiert auch eine Architektur von Pritzker-Preisträger Fumihiko Maki in der hessischen Landeshauptstadt. Alles zum Highlight der Wiesbadener Kulturachse hier. © Courtesy of Maki and Associates
Der Entwurf von Fumihiko Maki zeigt eine kubische Architektur, die auf dem verglasten Erdgeschoss zu schweben scheint. Rendering: © Courtesy of Maki and Associates

Passend zur Stadt, aber doch ganz eigen

Fumihiko Makis Entwurf sieht vier Kuben um ein großes Atrium vor. Das Erdgeschoss ist straßenseitig nahezu vollständig verglast. Auskragend sind über diesem die oberen Stockwerke gelagert; scheinen zu schweben. Und eben hier wird die Assoziation „Zuckerwürfel“ ersichtlich: Zum einen ist das Volumen aus unterschiedlichen Kuben und deren Verbindungen zum Schutz der Kunst beinahe fensterlos. Zum anderen verleiht die Fassade aus gehämmertem Bethel White-Granit der Architektur ihre zuckrige Hülle.

In Zusammenspiel mit dem Eckgrundstück und der Reflexion des natürlichen Lichts ist das Museum jetzt bereits das süße Highlight der Prachtallee. Etwas, das Fumihiko Maki sicherlich begrüßen würde. So schreibt er im Begleitheft zur Aedes-Ausstellung Mitte 2022: „Der Standort war ideal, um einen neuen Akzent im gesellschaftlichen Leben Wiesbadens zu setzen.“ Aber welcher Akzent ist dies genau? Die Architektur von außen und von ihr heraus aus betrachtend, wird das Ergebnis modern, pur, elegant, clever und extrovertiert sein – passend zur Stadt, aber doch ganz eigen. Der neue Mehrwert für das Gros der Gesellschaft erschließt sich jedoch aus dem Inhalt der Architektur.


Kultur für alle

Vor etwa drei Jahrzehnten hat Unternehmer Reinhard Ernst mit dem Sammeln von Kunst angefangen. Heute umfasst diese Sammlung über 860 Gemälde und Skulpturen abstrakter deutscher und europäischer Nachkriegskunst, abstrakter japanischer Kunst sowie Kunst des abstrakten amerikanischen Expressionismus. Dass dieser Bestand den räumlichen Rahmen eines Privathaushaltes sprengt und auch schwerlich geschlossen in bestehenden Museen Platz finden kann, steht außer Frage. Mit seinem Credo, Kunst solle allen Menschen zugänglich sein, wuchs in dem Sammler Reinhard Ernst auf diese Weise der Wunsch nach einem eigenen Museum. Es war ein Wunsch, hinter dem viel Arbeit und Herzblut steckt.


Sonja und Reinhard Ernst-Stiftung

Zusammen mit seiner Ehefrau Sonja gründete er 2004 die gemeinnützige Sonja und Reinhard Ernst-Stiftung. Der Zweck: Kunst, Kultur und Denkmalpflege fördern sowie bedürftige Kinder, Jugendliche und alte Menschen weltweit unterstützen und ausbilden. Aber auch die Unterstützung von Entwicklungshilfe ist Teil des Leitgedankens der Stiftung. So entstand nach dem Tsunami 2011 das „Haus der Hoffnung“ in Natori, Japan. Dieses Projekt entwickelte Ehepaar Ernst mit einem befreundeten Architekten: Fumihiko Maki.

Und eben jener Architekt ist es, mit dem das Ehepaar – die Sonja und Reinhard Ernst-Stiftung – das Museum in Wiesbaden verwirklicht. Die Baukosten von 70 Millionen Euro und den Museumsbetrieb finanziert die Stiftung. Mit einem auf 99 Jahre angelegten Erbpachtvertrag hat die Stadt Wiesbaden der Stiftung das Grundstück zur Verfügung gestellt – gegen einen symbolischen Wert von einem Euro pro Jahr.

Der Blick ins Atrium: Neben einem Japanischem Fächerahorn steht die Skulptur „Buscando la luz III“ von Künstler Eduard Chillida. © Reinhard & Sonja Ernst-Stiftung, Museum Reinhard Ernst, Foto: Helbig/Marburger
Der Blick ins Atrium: Neben einem japanischem Fächerahorn steht die Skulptur „Buscando la luz III“ von Künstler Eduard Chillida. © Reinhard & Sonja Ernst-Stiftung, Museum Reinhard Ernst, Foto: Helbig/Marburger

Fumihiko Maki Ausstellung zum Auftakt

Reinhard Ernst will mit dem Bau des Museums Kindern und Erwachsenen abstrakte Kunst näherbringen. Dabei zeigt das mre nicht nur Werke aus der Sammlung des Bauherrn, sondern auch Leihgaben anderer Museen. Die Weichen für das Vorhaben stellt das Museum durch zahlreiche Maßnahmen. So ist das Erdgeschoss durch die Glasfront nicht nur öffentlich einsehbar, sondern auch vollständig ohne Eintrittskarte zugänglich. Die hier platzierte Kunst am Bau von Bettina Pousttchi, MadC, Karl-Martin Hartmann und Katharina Grosse kann somit ohne Ticket bestaunt werden. Besonderes Highlight: Grosse schuf für das mre mit dem Werk „Ein Glas Wasser, bitte“ ihre erste Glasarbeit – diese anzufassen ist übrigens erlaubt.

Außerdem und passend dazu befinden sich neben Kunst, Atrium, Museumshop und Cafeteria auch zwei Räume der Kunstvermittlung im Erdgeschoss. Zum einen gibt es das „Farblabor“, was ein physischer Ort und digitales Angebot für Bildungsinstitute zur Förderung der Kreativität junger Menschen ist – eine Herzensangelegenheit des Stifterehepaars. Nicht grundlos sind Farblabor und Museum für Schulen und Bildungsinstitutionen kostenfrei.

Zum anderen lädt das „Maki-Forum“ zu Vorträgen, Workshops, Galas und Konzerten. Der Veranstaltungsraum kann autark vom Museum genutzt werden, da es gesondert Eingang, Lagerräume, Garderobe und Cateringbereich gibt. Der Schwerpunkt in der Planung lag hingegen bei der Akustik: Versteckte Lautsprecher, Technikbalkon, Teppichboden, 2,7 Meter hohe Lamellen aus Birke sowie die abgestufte Decken- und Wandkonstruktion sollen für einen optimalen Raumklang sorgen. Ebenfalls im Erdgeschoss untergebracht sind die Räume für die Wechselausstellung. Mit der Eröffnung des mre startet übrigens eine umfangreiche Wechselausstellung zum Leben und Werk von Architekt Fumihiko Maki.

Das neue Museum Reinhard Ernst (mre) in Wiesbaden, entworfen von Pritzker-Preisträger Fumihiko Maki, bringt abstrakte Kunst zur Kulturachse. © Courtesy of Maki and Associates
Das neue Museum Reinhard Ernst (mre) in Wiesbaden schafft nicht nur einen Ort für abstrakte Kunst. Mit dem Bau existiert auch eine Architektur von Pritzker-Preisträger Fumihiko Maki in der hessischen Landeshauptstadt. Alles zum Highlight der Wiesbadener Kulturachse hier. © Courtesy of Maki and Associates
Modell und Plan: © Courtesy of Maki and Associates

White Cube

Die eigentlichen Ausstellungsräume finden die Besucher und Besucherinnen im ersten und zweiten Obergeschoss. Spannend an Makis Entwurf ist die vielfältige Gestaltung der Räume mit Holzparkett oder Terrazzoboden, mit Decken von bis zu 14 Metern Höhe, mit und ohne Fensteröffnungen oder in Split-Level-Bauweise. Was die Räume jedoch gemeinsam haben: Sie sind alle als White Cube konzipiert und ein vorgegebener Rundgang existiert nicht. Von besonderer Wirkung für zwei der Ausstellungsräume werden die sie erhellenden Oberlichter sein. Zudem auf dem Dach angebracht ist eine Solaranlage, die berechnet bis zu 30 Prozent des Energiebedarfs abdecken kann.

Das Konzept des White Cube in Verbindung mit den unterschiedlichen Räumen ermöglicht es, diese wechselnd zu bespielen. Abgesehen von der Kunst am Bau wird jedoch ein Kunstwerk wohl nie mehr seinen Standort im mre freigeben: „Pair“ (2019) von Tony Cragg zog als erstes Kunstobjekt im Mai 2021 ein. Da die zweiteilige Arbeit über sechs Meter hoch und rund vier Tonnen schwer ist, mussten statische Neuberechnungen angestellt werden und ein Kran die Bronzeskulptur in den Rohbau heben. Das Museum wurde folglich um die über zwei Geschoss große Kunst gebaut. Hoffentlich auch dauerhafter Bestandteil des Museums sind die Amberbäume und Zelkoven, die ab Frühling 2023 um das Museum herum eingepflanzt wurden. Ein japanischer Fächerahorn zog bereits im Dezember 2022 ins Atrium des mre ein.


Kulturachse Wiesbadens

Für die Umsetzung der Planung des mre ist das Frankfurter Architekturbüro schneider+schumacher verantwortlich, das schon an einer anderen Architektur aus Stifterhand beteiligt war: dem angesehenen Städel in Frankfurt. Ob dies vielleicht ein Vorbote für den Erfolg der Eröffnung des mre im Oktober 2023 ist? Fest steht jedoch, dass mit dem Museum Reinhard Ernst an dieser Wiesbadener Adresse eine Kulturachse für die hessische Landeshauptstadt entsteht.

Mehr über das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden erfahren Sie hier.

Ein Museum mit einer ebenso hellen und steinigen Fassade gibt es übrigens auch in München: Das neue Sudetendeutschen Museum von pmp architekten ist fugenlos mit Dietfurter Kalkstein aus dem Altmühltal verkleidet. Mehr dazu hier.

Scroll to Top