24.05.2022

Event

MCBW 2022: Baumeister und NXT A über Stop Fast Design

Baumeister-Chefredakteur Fabian Peters diskutiert mit Ana Relvão, Gerhardt Kellermann und Sebastian Waibel. Foto: Baumeister / Jessica Mankel
Baumeister-Chefredakteur Fabian Peters diskutiert mit Ana Relvão, Gerhardt Kellermann und Sebastian Waibel. Foto: Baumeister / Jessica Mankel

Am 18. Mai diskutierte Baumeister-Chefredakteur Fabian Peters im Rahmen der MCBW mit den Designern Ana Relvão und Gerhardt Kellermann sowie mit Sebastian Waibel, dem Geschäftsführer von gumpo. Ihr Thema war Nachhaltigkeit in der Design- und Interiorbranche. Warum Ocean Plastic und Cradle-to-Cradle-Zertifikate nicht zwingend nachhaltig sind, lesen Sie hier.

Der Talk fand im und vor dem Showroom des Innenarchitektur-Studios Malluvia in München statt. Foto: Baumeister / Jessica Mankel
Der Talk fand im und vor dem Showroom des Innenarchitektur-Studios Malluvia in München statt. Foto: Baumeister / Jessica Mankel

Unter dem Motto „Moving Horizons“ fand vom 14. bis 22. Mai die Munich Creative Business Week (MCBW) in München statt. Die MCBW richtet sich an Designer und Designinteressierte und ist zugleich eine Plattform der bayerischen Kreativwirtschaft. An neun Tagen konnte man in der Münchner Maxvorstadt zahlreiche Ausstellungen, Vorträge, Talks und Diskussionen besuchen.

Der BAUMEISTER und das junge Architektennetzwerk NXT A luden als Partner der MCBW zu dem Talk „Stop Fast Design – die Zukunft des Designs“ ein. Im Anschluss gab es bei „Beer & Architecture“ in der Bar „Komitee“ Gelegenheit, das Talk-Thema zu vertiefen oder einfach nur Kontakte zu knüpfen. Denn was BAUMEISTER und NXT A im Rahmen der MCBW nachholen wollten, waren zwei Jahre direkter Austausch – und das gemeinsame Feiern.

MCBW-Talk mit Ana Relvão, Gerhardt Kellermann und Sebastian Waibel

Der Talk „Stop Fast Design – über die Zukunft des Designs“ fand am Mittwochnachmittag, dem 18. Mai, im Showroom des Innenarchitektur-Studios Malluvia nahe der Alten Pinakothek in München statt. Der Showroom bot Platz für ungefähr 30 Menschen und schaffte eine angenehme Gesprächsatmosphäre bei Kaffee und Kuchen.

Eine gute Stunde unterhielt sich Baumeister-Chefredakteur Fabian Peters mit Ana Relvão, Gerhardt Kellermann und Sebastian Waibel über Nachhaltigkeit in der Design- und Interiorbranche. Ana Relvão und Gerhardt Kellermann studierten Industriedesign und gründeten 2014 das Designbüro Relvãokellermann. Das Büro arbeitet unter anderem für große Marken wie Samsung und Huawei und erhielt bereits diverse Preise. Dazu zählen iF Awards, der German Design Award und der IDEA Award in Bronze.

Seit 2018 sind die beiden Designer Artdirectors des Büromöbelherstellers gumpo. Sebastian Waibel, Geschäftsführer von gumpo, holte damals Ana Relvão und Gerhardt Kellermann ins Team des 60-köpfigen Familienunternehmens mit Sitz in Dingolfing. „Der externe Blick der Designer ist für die Unternehmensentwicklung total wichtig. Die Designer haben im Vergleich zu den ‚Erfahrungsmonstern‘, die seit 24 Jahre im Unternehmen sind und sagen, es muss genau so sein, eine ganz andere Perspektive“, so Sebastian Waibel über seine Entscheidung, mit Ana Relvão und Gerhardt Kellermann zusammenzuarbeiten.

Zuhörer vor der Tür des Showrooms. Foto: Baumeister / Jessica Mankel
Zuhörer vor der Tür des Showrooms. Foto: Baumeister / Jessica Mankel
Gespräche mit den Zuhören und Gästen nach der Veranstaltung. Foto: Baumeister / Jessica Mankel
Gespräche mit den Zuhören und Gästen nach der Veranstaltung. Foto: Baumeister / Jessica Mankel

„Die Sachen sind zu gut, sie halten zu lange“

Das Designerduo und gumpo entwickelten 2018 eine bis heute erfolgreiche Kollektion mit dem Namen „normcore“. Der Begriff „Normcore“ stammt eigentlich aus der Modebranche, wo er für Basics wie die blaue Jeans oder die weißen Sneakers steht. Mit den Bürotischen und -stühlen von gumpo wollten Ana Relvão und Gerhardt Kellermann ähnliches schaffen. Die Möbel überzeugen nicht mit einem lauten, sondern schlichten und zeitlosen Design; ein Prinzip, dem die beiden Designer treu blieben.

Denn den beiden ist es wichtig, dass das Design zu einer langen Lebensdauer der Produkte beiträgt und nicht kurzfristigen Trends folgt. Für Samsung gestalteten sie zum Beispiel einen Backofen, der auf große Displays und modische Griffe verzichtet. Stattdessen integriert sich der Ofen unauffällig in das Gesamtbild der Küche. „Wir versuchen nicht von heute auf morgen zu denken, im Sinne von ‚Was ist gerade aktuell?‘, sondern langfristig zu schauen, wie sich Sachen entwickeln und darauf zu reagieren“, erklärt Gerhardt Kellermann.

Im Vergleich zu elektronischen Geräten wie dem Backofen von Samsung besitzen Möbel im Office-Bereich längere Produktzyklen. Während elektronische Geräte oft nach zwei bis drei Jahren ausgetauscht werden, sind Büromöbel in der Regel auf einen Zyklus von 20 Jahren ausgelegt. Der Hersteller gumpo liefert zudem Ersatzteile für Kollektionen, die bereits 30 Jahre zurückliegen. Außerdem sind die Produkte kaum verklebt und aus regionaler Herstellung. Alles Sachen, die im Unternehmen schon lange gelebt werden, wenn auch nicht der Nachhaltigkeit wegen. „Wenn du ein mittelständischer Betrieb bist, und zudem schwäbisch geprägt, dann ist Nachhaltigkeit aus dem Sparsamkeitsgedanken gegeben“, erklärt Sebastian Waibel schmunzelnd.

Das zeitlose Design auf der einen Seite und die Langlebigkeit der Produkte auf der anderen stehe im Widerspruch zu kommerziellen Interessen, räumt Sebastian Waibel auf Nachfrage von Fabian Peters ein und fügt hinzu: „Ich habe 60 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Irgendwie muss man die Arbeit auch herschaffen. Und wir sagen oft: Die Sachen sind zu gut, sie halten zu lange. Man versteht aus kommerzieller Sicht, dass Apple jedes Jahr ein neues Iphone verkaufen möchte. Aber ich glaube, wir sind nicht zu groß, dass uns der Markt zu klein wird.“

Der Möbelhersteller gumpo ist weder ein hochindustrielles Unternehmen noch ein Handwerkbetrieb. Das ist laut Ana Relvão eine Größe mit vielen Vorteilen: „Große Unternehmen sind wie große Schiffe, die nur sehr langsam die Richtung ändern können. Mittlere Unternehmen treffen Entscheidungen schneller und können einen Unterschied machen.“

Gerhardt Kellermann zeigt das Möbelstück „Pony“. Foto: Baumeister / Jessica Mankel
Gerhardt Kellermann zeigt das Möbelstück „Pony“. Foto: Baumeister / Jessica Mankel

„Hätten wir ein natürliches Garn für das Polster verwendet, hätten das die Medien mit Sicherheit weniger kommuniziert“

Eines der neuesten Produkte, das gumpo mit Ana Relvão und Gerhardt Kellermann entwickelte und 2021 auf den Markt brachte, trägt den Namen „Pony“, eine Kombination aus Sitzplatz und Tisch. Das Möbelstück schaffte es nicht nur auf das Cover der Baumeister-Ausgabe im April, sondern auch in zahlreiche andere Veröffentlichungen. Ein Grund für die Medienresponse war neben dem Design der recycelte Kunststoff, den die Designer für das Polster des Ponys verwendeten – nicht aus Gründen der Nachhaltigkeit, sondern aus ästhetischen.

Trotzdem veröffentlichten die Medien den Satz „Die ausgewählten Stoffe werden vollständig aus recycelten Kunststoffabfällen hergestellt“ mit am häufigsten. Denn recycelter Kunststoff findet in der Branche und in der Öffentlichkeit momentan großen Anklang. Ein Trend, den Ana Relvão und Gerhardt Kellermann auch kritisch sehen. „Es ist wichtig, realistisch zu bleiben und nicht die Augen zu verschließen, weil man angeblich nachhaltigen Lösungen wie dem recycelten Plastik Glauben schenken möchte“, so Ana Relvão. Laut den Designern ist recycelter Kunststoff nicht per se nachhaltig, auch wenn das Material, insbesondere Ocean Plastic, gerade sehr gehypt wird. Kunststoff besteht aus tausenden Komponenten. Ein Recycling des Materials bedeute deswegen immer ein Downcycling, so Gerhardt Kellermann.

Letztendlich verberge sich hinter recycelten Kunststoffen mehr Marketing als ein Mehrwert für die Umwelt. „Hätten wir ein natürliches Garn für das Polster verwendet, hätten das die Medien mit Sicherheit weniger kommuniziert als den recycelten Kunststoff“, vermutet Sebastian Waibel. Fabian Peters stimmte dem zu und räumte ein, dass man als Medium in diesem Fall vor der eigenen Haustür kehren müsse.

Gespräche mit den Zuhören und Gästen nach der Veranstaltung. Foto: Baumeister / Jessica Mankel
Gespräche mit den Zuhören und Gästen nach der Veranstaltung. Foto: Baumeister / Jessica Mankel

Letzte Frage des MCBW-Talks: Wer sagt mir, was nachhaltig ist?

Ähnlich wie mit recycelten Kunststoffen verhält es sich auch mit Zertifikaten. Sie bescheinigen nicht zwingend nachhaltige Produkte. Sebastian Waibel appelliert in diesem Fall an Architekten und Innenarchitekten, die Ausschreibungen durchführen und einen großen Einfluss auf die Interiorbranche haben. Die Architekten müssten für mehr Aufklärung bei den Kunden sorgen. Denn viele Zertifikate garantieren Nachhaltigkeitskriterien nur bedingt und seien zudem sehr teuer für die Hersteller, so Sebastian Waibel. Aus seiner Sicht führen die Zertifikate zu einem beschränkten Markt, den sich nur wenige und große Hersteller leisten können.

Ob Architekten hier eine aufklärende Instanz sein können, bezweifelt Fabian Peters. Auch die Architekten seien tagtäglich mit einer großen Flut an Informationen konfrontiert und stehen vor dem Dilemma, dass sie selbst manchmal nicht wissen, was nachhaltig ist. Wie bei den Designern gibt es auch unter den Architekten verschiedene Auffassungen von Nachhaltigkeit. Auf die Frage, wer dann Kunden aufklären und vor Greenwashing schützen kann, antwortet Gerhardt Kellermann nur wage: Am Ende sei auch jeder selbst gefragt, Pressemitteilungen aufmerksam zu lesen und sich nicht auf Aussagen und Labels zu verlassen.

Auch wenn der MCBW-Talk die Zuhörer mit einigen offenen Fragen zurückließ, gab das Gespräch den ein oder anderen Denkanstoß. Wichtige Punkte aus dem Gespräch, die Orientierung bieten, waren auf jeden Fall:

  • Zeitloses Design. Design sollte sich auf langfriste statt auf kurzfristige Trends konzentrieren.
  • Right to Repair. Wir brauchen einen Ersatzteilmarkt für Interiorprodukte, vor allem für elektrische.
  • Regionalität. Die regionale Herstellung sichert Umwelt- und Arbeitsstandards.
  • Unternehmen der Zukunft. Mittelgroße Unternehmen haben den Vorteil, hochindustrielle Produkte herzustellen und im Vergleich zu „den Großen“ agiler zu sein.
  • Recycelter Kunstoff ist mehr Marketing als Mehrwert für die Umwelt.
  • Zertifikate wie Cradle-to-Cradle-Zertifikate müssen kritisch hinterfragt werden.

Mehr über die Designer von Relvãokellermann und das Möbelstück „Pony“ erfahren Sie in der Baumeister-Ausgabe vom April 2022.

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