11.01.2024

Hotel

La Fantaisie, Paris: Bukolische Traumwelt im Gemüsegarten

Innenarchitektur Stahl
Foto: Sergio Grazia

Die Historie der Pariser Rue Cadet ist bodenständig sowie königlich, das neue Hotel „La Fantaisie“ von außen schlicht und harmonisierend, von innen bunt, laut und pittoresk. Dass all dies zusammen eine überzeugende Einheit ergibt, zeigen PPX und Martin Brudnizki.

Die Geschichte der Pariser Rue Cadet fing bereits im 16. Jahrhundert an. Damals grenzte der noch einfache Weg an das Grundstück der Familie Cadet. Die Brüder Jacques und Jean waren zu diesem Zeitpunkt die Gärtnermeister von Karl IX. und belieferten den Hof mit Obst, Gemüse, Kräutern und mehr. Heute ist die nach den Brüdern benannte Straße Teil des 9. Arrondissement von Paris; eine öffentliche, belebte und touristische Straße in einem der am dichtest besiedelten, aber auch der am wenigsten begrünten Viertel der Stadt. Ironisch, wenn man an die Historie der Straße denkt. Auf dem ehemaligen Grundstück der königlichen Gärtnermeister, der 24 Rue Cadet, befand sich seit Ende des 20. Jahrhunderts ein Hotel. Kein ansehnliches. Eines, das architektonisch weder dem Maßstab und Aufbau, noch der Identität der Nachbarbauten oder der engen Straße entsprach. Schlecht gealtert, unproportioniert und ohne Frei- oder öffentlichen Raum, hatte das Hotel zwar keine gute, aber seine bessere Zeit definitiv hinter sich. Die französische Hotelgruppe Leitmotiv wird dies ähnlich gesehen haben, als sie das alte Haus erworben hat. Sie beauftragte das in Paris ansässige Architekturbüro Petitdidierprioux mit der Revitalisierung des Baus.

Foto: Jerome Galland
Fotos: Jerome Galland
Die Terrasse der Junior Suite bietet großzügig Ruhe und Privatsphäre.
Foto: Jerome Galland
Straßenseitig hat jedes Zimmer einen Balkon oder eine Terrasse.

Hommage an den Standort

Petitdidierprioux mussten den Bestandsbau entkernen, wobei der Großteil des Tragwerks erhalten blieb. Ein wesentlicher Punkt bei der Entstehung des neuen Hotels. So wurden der Nachbarschaft große Abrissarbeiten erspart, und die Architekten konnten ihre ressourcenschonende Vorgehensweise starten. Bei ihrem Entwurf verfolgten Petitdidierprioux zwei Ansätze: Zum einen stand die umweltfreundliche Neuerfindung der Architektur im Fokus des Wiederaufbaus, zum anderen die Geschichte des Grundstücks. Ersteres gelang ihnen durch präzise sowie sparsam durchdachte Ergänzungen, sorgfältig geplante Eingriffe und ohne unnötigen Abfall. Zweiteres durch das inhaltliche Konzept: Das im Juni 2023 eröffnete Hotel „La Fantaisie“ folgt der Idee von Gemüse- und Blumengärten. Von wo aus einst die Gebrüder Cadet mit ihrer Gärtnerei den französischen Hof versorgten, ist ein idyllischer Ruheort inmitten urbanen Lebens aufgekeimt.

Foto: Jerome Galland
Fotos: Jerome Galland
An der Rooftop-Bar werden, unter der Leitung von Dominique Crenn, kalifornisch inspirierte Cocktails serviert.
Foto: Jerome Galland

Aufblühender Dialog zur Nachbarschaft

Das neue Fünf-Sterne-Haus La Fantaisie vervollständigt und vereinfacht die Häuserzeile um die 24 Rue Cadet. Die schlichte Straßenfassade tritt als Hauptelement der Architektur auf. Vorpatiniertes, grau-grünes Zink verkleidet das Gebäude straßen- und rückseitig in glatter, gefalteter oder gerippter Ausführung. Zusammen mit dem Kupferdach greifen Petitdidierprioux nicht nur die urbane Architekturlandschaft der französischen Hauptstadt und ihren Detailreichtum auf, sondern geben auch dem fehlenden Grün Raum. Dies geschieht nicht nur über die Farbe oder straßenseitig mit vereinzelten Balkonpflanzen: Aufgrund der Materialität und gleichmäßigen Gliederung der Fassade mit ihren großen Stahlfenstern, schlanken Pfosten und schmalen Balkonen entsteht die bezweckte Assoziation von Gewächshäusern.

Während die Hauptfassade stilisiert auf Gewächshäuser verweist, werden im Besonderen rückseitig französische Gewächshäuser des späten 19. Jahrhunderts widergespiegelt. Hier ist es jedoch mehr als eine Assoziation; eine versteckte Terrasse im üppig begrünten und von Petitdidierprioux vergrößerten Innenhof sowie eine Art Wintergarten über die gesamte Breite des Grundstücks schaffen eine ruhige Oase unweit der belebten Straße. Dieser ebenerdige und allmähliche Übergang von städtischer Energie zum begrüntem Rückzugsort ist ein inkludierender: Im Gegensatz zum Vorgängerbau öffneten die Architekten die Erdgeschossebene für Nachbarn und Gäste. Vorbei an einem Café mit Bar, gelangt man über die Rezeption im Flur in den hinteren Teil des Gebäudes zum Restaurant „Golden Poppy“, bevor man in den Garten schreitet. Auch vertikal ist das Hotel für die Öffentlichkeit zugänglich: Im siebten Stock befindet sich eine Rooftop-Bar mit Panoramablick auf die Dächer von Paris. Im ersten Untergeschoss ist ein Spa mit Wasserbecken, Massageräumen und einer Sauna in Anlehnung an alte römische Thermen und unterirdische Quellen untergebracht.

Foto: Jerome Galland
Fotos: Jerome Galland
Details aus der Flora und Materialien aus der Natur: Die bukolische Atmosphäre zieht sich durch das gesamte Hotel.
Foto: Jerome Galland

Balance zwischen Architektur und Flora

Zwischen dem Spa im Untergeschoss, der Gastro im Parterre und auf dem Dach kann das Hotel seine Gäste in 63 Zimmern und zehn Suiten beherbergen. Das Design der Innenräume orientiert sich an dem Konzept der Architektur – wenngleich die Ausdrucksform eine völlig andere ist. Der schwedische Innenarchitekt und Designer Martin Brudnizki stieß erst hinzu, nachdem der Entwurf des neuen Hotels definiert war. Während sich die Arbeit von Petitdidierprioux durch einfache und klare Linien auszeichnet, schuf Brudnizki einen ausdrucksstarken und zugleich vervollkommenden Kontrast zur Architekturhülle.

Selbstbewusst werden Farben, Materialien und Drucke verflochten; ein Wechsel zwischen romantischen Blumenprints und geometrischen Mustern ist allgegenwärtig. Das Grün der Fassade spiegelt sich in verschiedenen Nuancen im Innern wider. Es ist die vereinende Basis für Architektur, Interieur und Geschichte des Standorts. Dazu kommt eine Farbpalette aus überwiegend pastelligen Tönen in Blau, Gelb und Koralle. Floral geformte Leuchten, Rohrgeflecht- und Rattanmöbel, Naturstein, Samt- und Boucléstoffe – die farbenfrohe Inneneinrichtung scheint aus einer anderen Zeit und Welt zu sein; einer Traumwelt mit Garten, ein Spaziergang durchs Herbarium. La Fantaisie ist Brudnizkis erstes Hotelprojekt in der französischen Hauptstadt.

Foto: Jerome Galland
Fotos: Jerome Galland
Foto: Jerome Galland
Foto: Jerome Galland
Foto: Jerome Galland
Foto: Jerome Galland

Botanischer Genuss

Aber noch eine weitere Person feiert mit diesem Hotel eine Premiere in Paris: Dominique Crenn. Die französische Köchin zog es in den 80er-Jahren nach San Francisco, wo sie als erste Frau in den USA mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. Unter ihrer gastronomischen und nachhaltigen Leitung präsentiert das Hotel eine Interpretation kalifornischer Küche mit französischen Wurzeln – und dies ausschließlich vegan und pescetarisch. Das Gesamtkonzept von La Fantaisie kompensiert den engen und urbanen Standort, tritt subtil in den Dialog mit dem Umfeld, ermöglicht ein Durchatmen, eine Pause vom Alltag auf verschiedenen Ebenen – wortwörtlich und übertragen. Aber besonders schafft das Hotel eine Balance zwischen Architektur und Flora.

Ebenfalls sehenswert in Paris: Die neonroten Lichter eines neuen, angesagten Gastronomiebetriebs schimmern über den Canal Saint-Martin: Gros Bao verbindet hochwertige Kulinarik mit einem gepflegten Ambiente. 

Scroll to Top