15.07.2022

Portrait

Jugendstil – Die kleine Baumeister-Stilgeschichte

Secessionsgebäude Wien, Foto: Thomas Ledl, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Secessionsgebäude Wien, Foto: Thomas Ledl, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Verschiedene Epochen, unterschiedliche Architekturstile: Wer waren bedeutende Vertreter des Jugendstils und welche Werke gehen auf sie zurück? Sprachen die Zeitgenossen um die Jahrhundertwende schon selbst vom „Jugendstil“? Ein Blick auf die Epoche der Architekturgeschichte, in der ein neuer Reformstil den Historismus ablösen sollte.

„Jugendstil“ und „neuer Stil“

Kurz vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam das auf, was heute als Jugendstil bezeichnet wird. Allerdings fanden sich die Künstler, die wir heute dieser Stilepoche zurechnen, nie unter diesem Begriff zusammen. Er entstand als Hilfsbezeichnung des Kunstjournalismus, abgeleitet von der Münchner Zeitschrift „Die Jugend“, die ab 1896 junge deutsche Buchkunst und Druckgrafik veröffentlichte. Um die Jahrhundertwende findet sich stattdessen häufig der Begriff vom „neuen Stil“. Denn darum ging es den meisten Künstlern, die wir heute als „Jugendstilkünstler“ bezeichnen. Sie wollten einen Reformstil schaffen, der die unterschiedlichen Spielarten des Historismus endlich ablösen sollte.

Neue nationale Reformstile

Dass die Geschmackshoheit der historischen Stile an ihr Ende gelangt war – diese Einschätzung teilte kurz vor 1900 nicht nur die Avantgarde. Wer in das europäische Ausland blickte, sah, dass hier die Stilreform bereits deutlich weiter fortgeschritten war. In Großbritannien war die Arts-and-Crafts-Bewegung bereits kurz nach der Jahrhundertmitte entstanden und hatte mit William Morris einen charismatischen Protagonisten gefunden. In Frankreich und Belgien stand währenddessen die Art Nouveau in Blüte. Nicht ohne einen mitschwingenden Nationalismus verwies die Kunstpresse somit auf die Erfolge des Auslandes bei der Entwicklung neuer nationaler Reformstile. Man befürchtete bereits, kulturell hinter die Nachbarländer zurückzufallen.

Einflüsse auf den Jugendstil

Die künstlerischen Bemühungen in den anderen Teilen Europas wirkten aber höchst befruchtend auf die deutschen Künstler. Der Jugendstil ist ohne Arts-and-Crafts, Art Nouveau und die österreichische Sezessionsbewegung nicht denkbar. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch ganz eigenständige Errungenschaften des Jugendstils gibt.

Erstes Zentrum der neuen Kunstrichtung war München. Hier suchten etwa Hermann Obrist und August Endell intensiv nach neuen Dekorformen. Endells „Atelier Elvira“ von 1898 ist eines der frühesten Beispiele für Jugendstil-Architektur. Die Ornamentformen des Baus sind ein höchst individueller Ausdruck der Suche nach post-historistischem Dekor. Endell ließ sich dabei ähnlich wie auch Obrist von Naturformen inspirieren. Der Architekt Richard Riemerschmid sowie die Maler Bernhard Pankok und Peter Behrens wandten sich, inspiriert von englischen, belgischen und französischen Vorbildern, nun dem Kunsthandwerk zu. Kunsthandwerkliches Entwerfen wurde geradezu zum Inkubator bei der Entwicklung des neuen Stils.

1898 wurden die „Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk“ als Zusammenschluss Münchner Handwerkbetriebe gegründet. Hier ließen Münchner Jugendstilkünstler wie Riemerschmid, Pankok, Obrist sowie Behrens ihre kunsthandwerklichen Entwürfe fertigen. Insbesondere Arts-and-Crafts-Entwürfe wurden dabei stark rezipiert. Auch in der Architektur wirkte das englische Vorbild stilprägend. Das Atelierhaus von Richard Riemerschmid in Pasing aus dem Jahr 1898 greift direkt Arts-and-Crafts-Bauten auf. Daneben gewann insbesondere das Frühwerk Henry van de Veldes schnell Einfluss auf die deutschen Entwerfer.

Foto: Wikimedia
Endells „Atelier Elvira“ (Foto: Wikimedia)
Foto: Wikimedia

Der Jugendstil – „Dokument deutscher Kunst“

Mit der 1898 von Kurfürst Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt ins Leben gerufenen Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe entstand ein weiteres Zentrum des Jugendstils. Architekt Joseph Maria Olbrich hatte kurz zuvor das neue Secessions-Gebäude in Wien fertiggestellt. Mit ihm kam also ein führender Vertreter der Secessions-Architektur nach Deutschland – und in die Kolonie. Olbrich baute in Darmstadt bis 1901 nicht nur ein großes Atelierhaus für sich und die anderen sechs Künstler der Kolonie, er baute auch insgesamt fünf Villen für die Kolonieausstellung „Ein Dokument deutscher Kunst“.

Neben Olbrich trat erstmals Peter Behrens als Architekt in Erscheinung. Er hatte zuvor ausschließlich als Maler und Entwerfer von Kunstgewerbe gearbeitet. Mit dem Bau seines eigenen Hauses für die Kolonieausstellung wandte er sich erstmals der Architektur zu. Die Ausstellung im Sommer 1901 bedeutete den Übergang des Jugendstils von einer Avantgarde-Kunst zu einem bürgerlichen Dekorstil. Auch wenn die neue Architektur, insbesondere diejenige Olbrichs, teils heftig kritisiert wurde, so erntet das „Dokument deutscher Kunst“ doch eine riesiges nationales und internationales Medienecho.

Haus Olbrich, Häuser Keller und Habich, Architekt: Joseph Maria Olbrich, Mathildenhöhe, Darmstadt, 1901 (Foto: Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt)
Haus Olbrich, Häuser Keller und Habich, Architekt: Joseph Maria Olbrich, Mathildenhöhe, Darmstadt, 1901 (Foto: Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt)
„Das Zeichen“, Festspiel zur Eröffnung der Künstlerkolonie-Ausstellung am 15. Mai (Foto: Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt)
„Das Zeichen“, Festspiel zur Eröffnung der Künstlerkolonie-Ausstellung am 15. Mai (Foto: Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt)

Versachlichung der Formensprache

Bereits kurz nach dem Ende der Ausstellung zeigten sich bei führenden Vertretern des Jugendstils eine starke Versachlichung ihrer Formensprache. Das gilt für Peter Behrens, dessen folgende Bauten Anlehnung an die Florentiner Proto-Renaissance zeigten, bevor er für die AEG Industriebauten errichtete, die bereits der Frühmoderne zuzurechnen sind. Henry van de Velde siedelte 1901 aus Brüssel nach Berlin über. Bis 1902 schuf er die Inneneinrichtung des Museum Folkwang in Hagen. Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Interieur war ein weiteres Schlüsselwerk für die Entwicklung des Jugendstils in Deutschland. Bis zu seiner Rückkehr nach Belgien 1917 blieb er einer der profiliertesten Vertreter eines auf kunsthandwerkliche Fertigung ausgerichteten Interpretation der Stilrichtung. Andere Künstler wie Richard Riemerschmid begeisterten sich zunehmend für serielle Fertigung. 1903 entwickelte er eine Serie von Möbeln, die maschinell hergestellt werden konnten – die sogenannten Maschinenmöbel. Peter Behrens stieß mit seinen Entwürfen für Elektrogeräte der AEG ab 1907 die Tür zum Industriedesign auf.

Secessionsgebäude Wien, Foto: Thomas Ledl, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Secessionsgebäude Wien (Foto: Thomas Ledl, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Werkbundstreit und Entwicklung des Jugendstils

Diese auseinanderstrebenden Interessen in den künstlerischen Reformkreisen kulminierten schließlich 1914 im sogenannten Werkbundstreit zwischen Henry van de Velde und dem Architekten, Schriftsteller, Designaktivisten und Ministerialbeamten Hermann Muthesius.
Auf einer Tagung des 1907 gegründeten Deutschen Werkbundes, dessen Ziel die Verbindung von Kunst, Handwerk und Industrie sein sollte, vertrat van de Velde die Position der Anti-Muthesius der Pro-Industrie-Fraktion. Der Werkbundstreit markiert ein letztes Aufbäumen derjenigen, die an Stilentwicklung aus dem Kunsthandwerk glaubten. Das kommende Jahrzehnt stellte klar, dass zukünftig die industrielle Produktion die Stilentwicklung bestimmen wird. Der Jugendstil erlebt gleichzeitig einen rasanten Niedergang in der künstlerischen und gesellschaftlichen Wertschätzung. Es wird bis weit nach dem zweiten Weltkrieg dauern, bis sich seine Wahrnehmung erneut wandelt. Von einem elitären Formexzess zur letzten Blüte einer Kunst und Architektur, die Dekor als selbstverständlichen Teil des künstlerischen Gestaltungsprozesses ansah.

 

In diesem märchenhaften Jugendstil Gebäude fand Ludwig Mies van der Rohe während seiner Sommeraufenthalte Inspiration und Zeit: Parkhotel Holzner.

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