Baumeister-Academy Gewinnerin Natalie hat sich jeden Monat ein Gebäude vorgenommen. Sie hat sich dabei Bauten ausgesucht, die die Gemüter spalten. Dieses Mal nimmt sie sich das Haas-Haus von Hans Hollein vor. 

Von „Design-Juwel“ bis „Kaas-Haus“ – nur selten spaltete ein Bauwerk vor und nach der Errichtung die Gemüter so wie das Haas-Haus vis-à-vis des Stephansdoms. 1990 wurde es als exklusives Einkaufsgebäude eröffnet. Die Wiener scheinen sensibel zu sein, wenn es um neuere Architektur am prominentesten Ort im historischen ersten Bezirk geht. Denn der Entwurf stammt von Hans Hollein, der einzige österreichische Architekt, der bisher den Pritzker-Preis erhalten hat. Heute ist das Haas-Haus ein bekanntes Wahrzeichen. Doch weshalb irritiert das Gebäude die Wiener so, und was macht es als Werk der Postmoderne aus?

Hollein nimmt mit der Rundung die Form des römischen Kastells auf, das einst auf dem Gelände stand. Der turmförmige Erker definiert als räumliche Zäsur die umliegenden Plätze.
Die Structural-Glazing-Fassade ist in unmittelbarer Nähe zum Dom keineswegs selbstverständlich. Sie geht stufenweise über in eine edle Granitfassade, die man in den 1990er Jahren als „Steintapete“ betitelte.
Identisch aufgebaute Geschosse zeigen sich nach außen in einer differenzierten Fassade. Der Architekt verzichtet auf eine ablesbare Beziehung zwischen innen und außen. Damit nimmt er den Leitsatz der Moderne „form follows function“ auf den Arm.
Der schiefe Würfel in der Nähe des ehemaligen Haupteingangs irritiert. Solche Stilmittel mit Unterhaltungsfaktor gehörten bereits in das Repertoire des Manierismus.
Die vorgesetzten Doppelsäulen aus Marmor könnten eine tragende Funktion übernehmen, tun es aber nicht.
Im Gegensatz zur Glasfassade wirkt die Ansicht abseits des Platzes verschwiegen. Hier aber verrät Hollein mit den abgetreppten Fenstern die dahinterliegende Nutzung, das Treppenhaus.
Die Ironie gipfelt auf dem Dach. Hollein bezeichnet das Gebäude selbst als Einkaufstempel und setzt diese sprachliche Metapher in Architektur um. Das Tempelchen wurde 2006 verglast.
Das markante Flugdach wurde damals als profanes Pendant zu den Heidentürmen des Doms gesehen und polemisch als „Heiligenschein“ bezeichnet. Es schützt weder vor Sonne noch Regen und besitzt keine wirkliche Funktion.

Die Banalität des Konsums

Bis 2002 war im Innenraum ein fünfgeschossiges Atrium mit opulenten Formen zu sehen. Hollein wollte damit die Banalität des Konsums inszenieren. Weil das Haus nie so funktioniert hat, wie es Hans Hollein es geplant hatte, wurden Geschossdecken eingezogen. Heute sind eine spanische Modekette und ein Hotel die Hauptmieter. Ursprünglich waren 20 kleine Luxusboutiquen vorgesehen.

Humorvolle Architektur

Die Frage, ob das Bauwerk im ästhetischen Sinne anspricht, ist vielmehr eine Frage des persönlichen Bekenntnisses zur postmodernen Architektur von Hollein. Man kann das Gebäude als das betrachten, was es ist: als eine Collage aus Formen, Materialien und Anspielungen. Hollein hat sorgfältig Referenzen ausgesucht und kombiniert. Der humorvolle Umgang mit diesen Motiven macht das Gebäude einzigartig. Lässt man sich auf den Humor ein, geht man mit einem Schmunzeln über den Stephansplatz.

Alle Bilder von Natalie Burkhart

Die Baumeister Academy ist ein Praktikumsprojekt des Architekturmagazins Baumeister und wird unterstützt von GRAPHISOFT und der BAU 2019.

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