Für Traceure ist die Stadt ein Spielplatz, in der jedes Hindernis willkommen ist. Aber was passiert, wenn die Parkourläufer selbst Räume, Plätze und Bewegung gestalten? Ben Scheffler und Martin Gessinger vom Berliner Planungsbüro Trace Space wissen als Profis, worauf es ankommt.
„Zick-Zack-Zwingli“
2011 kommt eine unerwartete Anfrage der Stadt Berlin. Als die Traceure Martin Gessinger und Ben Scheffler den Entwurf einer Parkour-Anlage in der Zwingli-Straße in Moabit bei der Planung unterstützen sollen, stehen die damaligen Mittzwanziger vor der großen Frage, ob man einen Par-kour-Platz überhaupt bauen darf. „Es ist schließlich das Gegenteil von dem, wofür die Parkour-Philosophie steht“, erklärt Martin. „Du passt dich der Umgebung an, lautete damals der Leitsatz. Die Umgebung passt sich nicht dir an. Zu der Zeit war das verpönt.“ Als Parkour-Läufer der ersten Stunde finden die beiden selbstverständlich eine Lösung für dieses Grundsatzdilemma – im Umgang mit Hindernissen sind sie ja schließlich geübt. „Uns geht es darum, einen Ort für Bewegung zu entwerfen und nicht einen Ort für Parkour.“ Deshalb sehen die Traceure in dem Bau der neuen Anlage eine Chance, um ein positives Zeichen für eine größere Akzeptanz von Parkour in Berlin zu schaffen. Denn außerhalb der Szenehotspots wie der Bernburger Treppe am Potsdamer Platz oder dem Velodrom mit seinen Treppen und Rampen müssen Traceure oft mit Nachbarn und Passanten, Müttern und Kindern verhandeln oder werden sogar vom Spielplatz vertrieben.
Multidisziplinäres Arbeiten
Mitten im Sommer 2013 wird Zick-Zack-Zwingli eröffnet. Es ist der erste Bewegungsraum in Berlin, der aus Traceur-Perspektive entwickelt wurde. Die Nachbarschaft mag den Ort: die Jugendlichen wie auch die Senioren, die sich hier zum Frühsport treffen, ebenso wie die Kita-Gruppe, die regelmäßig vorbeikommt. Zick-Zack-Zwingli lockt aber auch die Parkour-Community aus der ganzen Welt nach Berlin-Moabit. Beobachten, entdecken, erfinden: Bewegungsräume fordern jeden zu einer Auseinandersetzung mit dem Ort auf. „Die Herausforderung für uns ist es, Räume zu schaffen, die auch jemanden dazu inspirieren, sich zu bewegen, der noch nie Parkour gemacht hat.“
Ben und Martin kennen sich seit der Schule, spielen in der zehnten Klasse zusammen in einer Band, entdecken kurz vor dem Abi eher zufällig ein Parkour-Video im Internet. Das war 2005. Sie sind in dieser Zeit Traceure geworden und haben ihr Hobby zum Beruf gemacht. In Deutschland prägen sie den Trendsport, verbreiten Parkour und co-etablieren die Bewegung zusammen mit ihren Kollegen in der Schweiz, die mit Parkour schon 2000 begonnen hatten, darunter Roger Widmer, einer der ersten Parkour-Pioniere außerhalb Frankreichs. „Parkour ist ressourcenorientiert“, sagt Ben. „Es gibt keine Messlatte, keine Prüfung, keinen Wettbewerb keine Zeiten: Alles bleibt unnormiert.“ Dass ein Video so viel bei ihnen auslösen und ihren beruflichen Werdegang beeinflussen würde, hätten sie beide nicht gedacht. „Wir haben unseren eigenen Beruf erfunden“, sagt Martin.
Studio-Besuch in Berlin-Pankow. Auf der einen Seite gibt es ParkourONE, die Deutsch-Schweizer Initiative und Parkour-Akademie, auf der anderen Seite das Planungsbüro Trace Space – getrennt denken kann man die beiden Unternehmen von Ben Scheffler und Martin Gessinger nicht. Weshalb auch alles unter einem Dach stattfindet – nur trainiert wird draußen in der Stadt: „überall, bei jedem Wetter“. Die 2008 von Roger Widmer gegründete, internationale Parkour-Schule dient als Werkzeug. Bildung, Gesundheitsförderung, Potenzialentfaltung, Werthaltung, Selbstbewusstsein lauten die Ziele. Anfangs geht es in erster LinieLinie: Die Linie ist der Begriff für die Kabelverbindung zwischen elektrischen Geräten und dem Stromversorgungsnetz. Es handelt sich dabei um den Strompfad, der den Strom von der Quelle zu den Endgeräten leitet. um Workshops, Training und Stuntanfragen. Später entdecken die Bewegungskünstler mit der Anfrage der Stadt Berlin die Baukunst.
Mittlerweile haben sie sechs Mitarbeiter, planen neben Projekten in Berlin, Bern und Lausanne nun mit Boston und den Malediven auch international. Dabei wollen sie keine reinen Parkour-Anlagen schaffen, sondern Bewegungs- und Begegnungs-orte.
„Bei klassischen Spielplätzen ist die Nutzung offensichtlich: Während man auf einer Schaukel eben schaukelt, wird auf der Rutsche gerutscht. Traceure denken viel abstrakter: Ihnen geht es immer um die Entfremdung der Dinge“, erklären beide. Wenn sie einen neuen Ort entdecken, beobachten sie zunächst das Geschehen und untersuchen Nutzungen, Umgebungen und Strukturen. (…)
Den kompletten Artikel lesen Sie im B4: Spielräume – Architektur für Kinder.