15.09.2023

Gewerbe

De Beauvoir Street: Neue Arbeitswelten von Henley Halebrown

Beton Nachhaltigkeit Ziegel
aus Industrieanlage wird Bürokomplex mit Low-Tech-Architektur von Henley Halebrown. Foto: © David Grandorge
aus Industrieanlage wird Bürokomplex mit Low-Tech-Architektur von Henley Halebrown. Foto: © David Grandorge

Henley Halebrown haben im Osten Londons zwei Industriegebäude aus dem frühen 20. Jahrhundert im Auftrag von The Benyon Estate zu modernen Arbeitswelten umgebaut. Die Häuser liegen in Hackneys De Beauvoir Town und gehören The Benyon Estate als familiengeführter Besitz.

Die De Beauvoir Straße und ihre nahe Umgebung sind bis heute ein Geheimtipp für angenehmes Leben und Arbeiten in der 9-Millionen-Metropole. Viel Grün, private Gärten, eine freundliche und regionaltypische Architektur, die überwiegend im 19. Jahrhundert entstand, zeichnen das Quartier aus. Dazu kommen eine dörfliche Kommunalität und angenehme Nachbarschaft.


Zwei Häuser: De Beauvoir Street 98 und 100

Die beiden Klinkerbauten mit den Hausnummern 98 und 100 stehen als Blockrandbebauung direkt nebeneinander. Das neue Raumgefüge als gelungene Symbiose zwischen Alt und Neu mit viel Tageslicht und natürlicher Belüftung ist flexibel nutzbar und kann heute Geschoß für Geschoß, Haus für Haus oder als ein zusammenhängender Campus über beide Häuser hinweg genutzt werden. Jeder der Architekturen wurde ein neues Treppenhaus, ein Aufzug und ein WC-Kern eingeplant.

Foto: © Nick Kane
Fotos: © Nick Kane
Die Klinkerbauten der De Beauvoir Street bilden einen Campus aus zwei Gebäuden.
Foto: © Nick Kane
Im Inneren kann ist nun Dank des Ausbaus mehr als genug Platz verfügbar, der in den großen Räumen zum Selbsteinrichten einlädt.
Foto: © Nick Kane
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Im Innenhof können sich die Arbeiter zurückziehen, wobei die erhaltene Konstruktion und das Mauerwerk ist der Gestalt den Ton angibt.
Foto: © Nick Kane
Einmal Aufstocken bitte: Um ein Stockwerk ist De Beauvoir Street nun reicher, von dem man den Innenhof direkt mit einer Außentreppe erreicht.

Low-Tech-Architektur mit Blick auf Zukunft

Henley Halebrown entwickelten für den neuen Working Space ein behutsames, nachhaltiges Sanierungskonzept und schufen damit eine Low-Tech-Architektur, die in Zukunft wenig Wartung bedarf. Dabei wurde der Großteil der Bausubstanz erhalten, das Mauerwerk, Konstruktionen und Verkleidungen aus Holz und Gusseisen. Für Ergänzungen verwendete man Ortbeton.

Foto: © Nick Kane
Foto: © Nick Kane
Das Low-Tech-Gebäude ist so konzipiert, das es in Zukunft besonders wenig Wartung und Sanierung verlangt.

Die Ordnung der Dinge

Vor dem Umbau herrschte im Inneren der beiden Häuser ein wildes Durcheinander von Räumen und Fluchten, die das Ergebnis von diversen An- und Umbauten im Laufe eines Jahrhunderts waren. Henley Halebrown brachten Ordnung in dieses Labyrinth, formten den gesamtem Raum und die Verkehrsflächen innen wie außen neu. So entstand ein kleiner Campus auf einer auch zusammenhängend zu nutzenden Fläche von rund 2.500 Quadratmetern mit hellen, hohen Atelierräumen, die sich gut für Coworking oder Makerspaces eignen.

Foto: © Nick Kane
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Die Architekten von Henley Halebrown setzten an manchen Stellen Ortbeton ein, um dem Bestand eine moderne Note zu verleihen.
Foto: © Nick Kane
Schon vor der Sanierung war in dem Gebäude, vor allem am Dach, viel Holz verbaut.
Foto: © Nick Kane
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Aus dem Labyrinth wurde mit Henley Halebrown's Sanierung ein übersichtlicher und geräumiger Bürokomplex.

Mehr Freiraum

Jedes Gebäude bekam ein neues Treppenhaus. Die Wände um die zwei ruhigen Innenhöfe sind aus originalem rosafarbenen Fletton-Mauerwerk, die Hofböden passend dazu aus matt gebürstetem Beton im gleichen Farbton. Eine Loggia im größeren Innenhof mit Türen kann bei schönem Wetter als Office im Freien oder Conference Space dienen. Beide Häuser wurden um ein neues Stockwerk in der Höhe erweitert, um mehr Fläche zu schaffen.

Foto: © Nick Kane
Foto: © Nick Kane
Schwarze Treppen führen außen am Gebäude vom Dach zum Innenhof.

Spiritus Rector: Gordon Matta-Clark

Der Entwurf für das Gebäude De Beauvoir Street 100 zitiert in gestalterischen Details die Ideen der Künstlergruppe „Anarchitecture“, die maßgeblich unter dem Einfluss von Gordon Matta-Clark standen.  Der schon mit 35 Jahren verstorbene US-amerikanische Architekt und Konzeptkünstler Gordon Matta-Clark konzentrierte sich in seinem Werk auf Intervention und Dekonstruktion von Architekturen und realisierte Projekte im Sinne menschlicher Gemeinschaft und Partizipation. Vor allem in den 1970er-Jahren in New York aktiv wählte er dafür Gebäude, die für kapitalistische Verwertungsmechanismen uninteressant geworden waren – eine Situation, die es in unserer Zeit nicht mehr gibt.

Foto: © Brooklyn Museum
Fotos: © Brooklyn Museum
Foto: © Brooklyn Museum
Foto: © Brooklyn Museum
Foto: © Brooklyn Museum
Gordon Matta-Clark's „Building Cuts“ wurden im Brooklyn Museum ausgestellt.

„Building Cuts“ als Inspiration für De Beauvoir Street

Seine Interventionen nannte er „Building Cuts“: Er spaltete, schnitt und durchlöcherte Architekturen, um so etwas freizulegen und aus dieser Leerstelle ein Neues zu schaffen. Mit seinem partizipativen Ansatz, der heute bei städtebaulichen Prozessen Standard ist, brachte er als bildender Künstler schon damals das Thema Gentrifizierung in die öffentliche Diskussion. Er war der Initiator von Gemeinschaftsprojekten, darunter „Food“, ein Restaurant, in dem Künstler für die Nachbarschaft zu leistbaren Preisen kochten.

Legendär war auch seine Aktion „Fresh Air“, bei der von Luftverschmutzung geplagte Passanten im Big Apple mit reiner Luft versorgt wurden. Henley Halebrown ließen sich von Matta-Clarks „Building Cuts“ inspirieren. In ihrem Entwurf gibt es eine Reihe von Einschnitten in den ursprünglichen Holzböden in die Stahltreppen eingehängt wurden. Dabei wird jede konvexe oder konkave Öffnung von einem Stahlträger auf der Tangente zur Kurve beschnitten.

Foto: © Nick Kane
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In den Treppenhäusern wird die Anlehnung an Gordon Matta-Clark's Arbeit besonders sichtbar: Konkav-konvexe Formgebung dominiert zurückhaltend in den Übergangsarealen.
Foto: © Nick Kane
Das kurvige Treppengeländer selbst führt den Menschen durch die verschiedenen Etagen.
Foto: © Nick Kane
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Von unten ist die auffällige Formgebung in Kombination mit den verschiedenen Materialien deutlich zu erkennen.

Auszeichnung für die De Beauvoir Häuser 98 – 100

Das 1996 gegründete Studio Henley Halebrown mit Sitz in London wird von Gavin Hale-Brown und Simon Henley geführt. Bildungs-, Gesundheits-, Wohn-, Gewerbe- und Kulturbauten sowie Projekte zur „adaptiven Umnutzung“ gehören zu ihrem Portfolio. In ihren Ansätzen und Lösungen fließen anthropologische und psychologische Überlegungen mit ein.

Foto: © Nick Kane
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Aus der Perspektive von oben schneiden sich die konkav-konvexen Treppenabschnitte, während sonst mit klaren Linien gearbeitet wurde.
Foto: © Nick Kane
Und auch an der Fassade macht der Einfluss von Gordon Matta-Clark sich breit: Die schicken Außentreppen schlängeln sind um die historische Fassade.

Bauen im Bestand auf dem Vormarsch

Wichtig ist außerdem ein sinnvoller Umgang mit dem Kontinuum, vor allem bei Bauen im Bestand. Bis zum heutigen Tag hat das Studio neben vielen Auszeichnungen auch zehn Awards des Royal Institute of British Architects (RIBA) für seine Projekte gewonnen. Im April 2023 wurden ihre De Beauvoir Häuser mit dem Architects´ Journal Retrofit Award als Working Space ausgezeichnet.

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