18.02.2023

Öffentlich

Calatrava Kirche am Ground Zero in New York

Kirche
Die Kirche war das einzige religiöse Bauwerk, das bei 9/11 zerstört wurde. Calatrava hat am Ground Zero in New York jetzt ein neues Heiligtum geschaffen.
Orthodoxe St. Nicholas Kirche von Calatrava, Foto: Alan Karchmer

Die griechisch-orthodoxe Nikolaus-Kirche in Lower Manhattan wurde beim Einsturz des World Trade Centers zerstört. Mit einer neuen Kirche hat Calatrava am Ground Zero in New York einen Nachfolgebau fertiggestellt, der sich gleichermaßen auf die orthodoxe Bautradition wie auf den Ort bezieht.


Byzantinisch-orthodoxe Bautradition

Die kleine Nikolaus-Kirche in Lower Manhattan war eine typische Einwandererkirche. Das Gotteshaus der griechisch-orthodoxen Gemeinde entstand in den 1830er Jahren als Wohngebäude. Als die Gemeinde das Haus in der Cedar Street 1916 kaufte, war darin eine Gastwirtschaft untergebracht. Es lag nur einen Steinwurf von den Hafendocks entfernt – sicherlich eine sehr glanzlose Gegend. Die Gemeindemitglieder stockten den Bau auf und bauten ihn für ihre Zwecke um. Bis 2001 wurde die neuentstandene Kirche dann für den Gottesdienst genutzt. In der Zwischenzeit änderte sich das Umfeld dann radikal. Was vorher Hafenquartier war, wurde Teil des wichtigsten Finanzzentrums der Welt. Unmittelbar neben der Kirche entstanden bis 1973 die Zwillingstürme des World Trade Centers. Deren Einsturz zerstörte auch die kleine Kirche. Nur Weniges, darunter der Reliquienschatz, konnte gerettet werden.

Es dauerte bis zum Jahr 2011, bis sich die griechisch-orthodoxe Diözese mit dem Eigentümer des Geländes, auf dem das alte World Trade Center stand, auf einen Plan zum Neubau der Kirche einigen konnte. 2013 gewann Santiago Calatrava dann den Wettbewerb für den neuen Sakralbau am Ground Zero. Calatrava baute zu diesem Zeitpunkt an dem gewaltigen Bahnhofs- und Einkaufskomplex „World Trade Center“, einen Steinwurf von St. Nikolaus entfernt. Der Architekt schlug für die Kirche einen kleinen Kuppelbau vor, der sich in seinen Formen unübersehbar auf die byzantinisch-orthodoxen Bautradition bezieht. Den Mittelpunkt des Neubaus bildet ein runder überkuppelter Zentralbau, den vier turmartige Eckgebäude einfassen. Nach Westen ist der Kuppelbau und den beiden Ecktürmen ein Anbau vorgelagert, der den Eingang aufnimmt.

Die Kirche war das einzige religiöse Bauwerk, das bei 9/11 zerstört wurde. Calatrava hat am Ground Zero in New York jetzt ein neues Heiligtum geschaffen.
Foto: Alan Karchmer

Neubau auf dem Dach eines Hochsicherheitsparkhauses am Ground Zero

Die Kirche von Calatrava wurde nicht exakt am Vorgängerstandort, sondern um einige Meter versetzt wiedererrichtet. Im Zuge der Gesamtplanung für die Neubebauung des „Ground Zero“ fand sie ihren neuen Platz südlich des Mahnmals. Gegenüber des Kirchenzugangs befindet sich der kleine Liberty-Park. Unterhalb des Bauplatzes liegt das „World Trade Center Vehicle Security Center“, eine scharf gesicherte Park- und Ladezone für das neue World Trade Center. Sie wird durch eine 1,2 Meter dicke Betondecke nach oben abgeschlossen, die zugleich die Kirche trägt. Die Tragfähigkeit dieser Decke bestimmte somit wesentlich den Entwurf für die Kirche mit. Zudem musste auch noch ein Lüftungsschacht des Vehicle Security Centers durch den Neubau verlaufen.

Bei Tageslicht besitzt der Kuppelbau im Zentrum des Komplexes eine milchig weiße Außenhaut. Ist der Innenraum jedoch beleuchtet wird deutlich, dass die Hülle aus einem transluzentem Glas-Stein-Verbundmaterial besteht. Wie Alabaster leuchtet dann die überkuppelte Rotunde. Die durchscheinende Gebäudehaut hat Calatrava zudem in Falten gelegt. Die insgesamt 40 Falten verweisen dabei auf die 40 Fenster in der Kuppel der Hagia Sophia. Kleine Lichtgauben markieren den Übergang vom trommelförmigen Unterbau zur Kuppel.


New York: Vier Türme erinnern an Konstantinopel

Die vier Türme, die den Kuppelbau einfassen, sind dagegen mit Bändern aus weißem und grauem Marmor verkleidet. Der Architekt möchte sie als Verweis auf die Chora-Kirche, eine der bedeutendsten Kirchen Konstantinopels, erbaut im 11. Jahrhundert, verstanden wissen. Das Gebäude in der Altstadt von Istanbul, zwischenzeitlich Moschee, heute ein Museum, zeigt ebenfalls zweifarbige Außenmauern. Allerdings sind diese aus Ziegeln und Naturstein aufgemauert.

Der Eingangsbau greift die Motive der turmumstandenen Kuppel auf, variiert sie jedoch. Zwischen zwei in Halbkugeln endenden Türmen überspannt ein Bogen das Portal. Während Türme und Bogen mit Marmor verkleidet sind, besteht die Mittelpartie der Eingangsseite oberhalb des Bogens aus dem Stein-Glas-Komposit. Calatrava führt es dort wie in einer Kaskade herab. Zudem sind rechteckige Fenster sind in die opake Haut geschnitten.

Die Kirche war das einzige religiöse Bauwerk, das bei 9/11 zerstört wurde. Calatrava hat am Ground Zero in New York jetzt ein neues Heiligtum geschaffen.
Fotos: Alan Karchmer
Die Kirche war das einzige religiöse Bauwerk, das bei 9/11 zerstört wurde. Calatrava hat am Ground Zero in New York jetzt ein neues Heiligtum geschaffen.

Ikonen im Kuppelrund der Calatrava Kirche

Auch das Kircheninnere greift Elemente des traditionellen orthodoxen Kirchenbaus auf. Calatrava formt eine Abfolge aus Portikus, Narthex, Gemeinderaum, Ikonostase und Sanktuarium. Den Portikus bildet der kräftige Bogen oberhalb des Portals. Der Narthex  wiederum – die traditionelle Vorhalle im frühchristlichen und orthodoxen Kirchenbau – befindet sich im Eingangsanbau und umgreift den Kuppelraum. Er nimmt zudem ein kleines Besucherzentrum sowie das Treppenhaus in die Obergeschosse auf.

Vom Narthex gelangen die Besucher dann in den kreisrunden Gemeinderaum unterhalb der Kuppel. Oberhalb eines Marmorsockels ist die gesamte Wandfläche mit Malereien geschmückt. Gemäß der orthodoxen Tradition werden dabei die kanonischen Bildformeln angewendet. Die Kuppel der Calatrava Kirche ruht auf vier angedeuteten Pendentifs, die vier Bögen auf die Wand der Rotunde zeichnen. Drei der Bögen überfangen Zugänge, der vierte die Ikonostase, den bildgeschmückten Wandschirm zwischen Gemeinde- und Altarraum.


Der Pantokrator beherrscht den Kirchenraum

Die Kuppel erscheint von innen als zweischalig. Rippen tragen eine Scheibe im Scheitelpunkt der Kuppel, auf der ein Tondo den Pantokrator zeigt. Zwischen den Rippen sind Bildfelder eingefügt, auf denen 20 stehende Prophetenfiguren dargestellt sind. Am oberen Ende weichen diese Bildfelder dann hinter die Rippen zurück und scheinen oberhalb des Pantokrator-Tondos zusammenzulaufen. Unterhalb der Bildfelder ist die Gebäudehülle sichtbar, so dass die Kuppel zwischen ihren Rippen durch 40 Alabasterfenster geöffnet scheint.

In den Obergeschossen des Eingangsanbaus befinden sich verschiedene Gemeinderäume. So sind im ersten Obergeschoss mehrere Büros und der sogenannte Trauersaal untergebracht. Der Blick auf den Liberty Park und die Gedenkstätte für die Opfer des World Trade Center-Einsturzes stellt somit eine direkte Verbindung zur Katastrophe vom 11. September 2001 her. Im zweiten Obergeschoss befindet sich ein Versammlungssaal, der auch von Gruppen und Vereinen aus der Nachbarschaft genutzt werden kann. Damit möchte die Nikolaus-Gemeinde ein Zeichen der Zugehörigkeit und Offenheit an ihr Umfeld senden.

Nicht in New York, aber dafür auch von Santiago Calatrava: der Dubai Creek Tower.

Für Besucherzeiten besuchen Sie die Website der St. Nicholas Greek Orthodox Church

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