Ich gehe den Hügel hinauf zur Kirche und stehe vor dem gläsernen Eingangsportal, das von gewaltigen Betonblöcken unterschiedlicher Größe umrahmt wird. 15,50 Meter hoch, 22 Meter breit und 30 Meter lang, ohne jegliche Symmetrie oder Hauptfassade steht die Kirche da. Um mir ein Bild von dem Gebäude zu machen, muss ich wissen, wie die Besucher mit der Architektur zusammenwirken. Ich entscheide mich, am Gottesdienst an diesem ungewöhnlichen Ort teilzunehmen.
Im Inneren wirkt das Gebäude auf den ersten Blick nicht gerade einladend. 152 massive Betonblöcke stapeln sich, archaisch, von der Witterung gezeichnet. Warum also baute jemand so eine Kirche? Die Antwort liegt im Jahr 1948, das Schicksalsjahr für Margarethe Ottillinger. Die damals 28-jährige Spitzenbeamtin wurde in Wien von russischen Soldaten verhaftet, zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, sieben Jahre lang gefoltert und misshandelt. Sie kam 1955 aus russischer Kriegsgefangenschaft und lies trotz heftigem Widerstand aus der Bevölkerung eine Kirche nach der Skulptur von Fritz Wotruba errichten. Ihre Intention: mit dem Bau zu schockieren und so die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Nachdenken darüber, wozu Menschen im Stande sein können, was ihr und vielen anderen angetan wurde, und um niemals zu vergessen.
Zeichen der Zeit
Kurz bevor der Gottesdienst beginnt, füllen die vielen Besucher das Gebäude. Dann folgt eine zeitgemäße Predigt, die von strahlenden Gesichtern, singenden Gläubigen und Begeisterung aufgenommen wird. Zwischendurch lasse ich den Blick schweifen und bemerke die vielen Bauschäden: Risse in der Betondecke und an den Wänden, Glasscheiben, die im Laufe der Zeit blind geworden sind. Doch das Licht, das zwischen den Betonblöcken hindurchfällt, schafft Atmosphäre.
Nach dem Gottesdienst unterhalte ich mich mit einigen Gemeindemitgliedern. Sie sind stolz auf ihre Kirche, auf ihr Erscheinungsbild. Sie identifizieren sich mit dem Gebäude und jeder kennt die Geschichte der Margarethe Ottillinger. Und ganz nach deren Willen ist das Gebäude zu einem Akupunkturpunkt im Bewusstsein der Menschen geworden.
Alle Bilder: Theresa Wunder
Die Baumeister Academy ist ein Praktikumsprojekt des Architekturmagazins Baumeister und wird unterstützt von GRAPHISOFT und der BAU 2019.