In der Pariser Kunsthalle Bourse de Commerce haben die Architekten Sam Chermayeff und Frank Barkow einen temporären Ausstellungsraum realisiert. In einem grauen, kreisrunden Zylinder eröffnen sie der Künstlerin Tacita Dean in ihrer Schau „Geography Biography“ nicht nur eine passende Bühne für ihre Filme. Ihnen gelingt es außerdem, die zeitgenössische Rotunde clever in den denkmalgeschützten Rundbau des Museums zu integrieren.
Die Bourse de Commerce
Zurzeit versammelt sich die Pariser Kunstszene im geschichtsträchtigen Gebäude der Bourse de Commerce für die erste Ausstellung seit Langem. Dabei wurde der Bau im 18. Jahrhundert ursprünglich als Getreidehalle in Ringform errichtet. Wenige Jahrzehnte später überdachte man den zentralen Bereich mit einer Kuppel – und wechselte den Eigentümer so oft wie die Nutzung.
Nach erneutem UmbauUmbau ist ein Begriff, der sich auf die Veränderung oder Renovierung eines bestehenden Gebäudes oder Raums bezieht. diente das Bourse de Commerce als Sitz der Pariser Börse, danach residierte dort die städtische Handelskammer. Vor einigen Jahren hat die Stadt die ikonische Halle gekauft und sie in Erbpacht dem Kunstsammler François Pinault und seiner „Pinault Collection“ überlassen.
Unter Denkmalschutz
Während einzelne Bestandteile wie die Stahlkuppel sowie das monumentale 360-Grad-Gemälde an der Decke heute unter DenkmalschutzDenkmalschutz: Der Denkmalschutz dient dem Schutz und der Erhaltung von historischen Bauten und Bauwerken. stehen, baute eine Riege von bekannten Architekten die Halle 2016 bis 2021 zeitgenössisch um. Tadao Ando gelang es bei der Renovierung zusammen mit dem Studio NeM / Niney et Marca Architectes und dem Studio von Pierre-Antoine Gatier, das symbolträchtige Denkmalist ein Bauwerk, eine Anlage, ein Kunstwerk oder ein technisches Kulturgut, welches aufgrund seiner geschichtlichen, künstlerischen, kulturellen oder wissenschaftlichen Bedeutung unter Denkmalschutz steht. zu bewahren, es aber gleichzeitig auch in einen Ausstellungsbau zu transformieren.
Der Umbau von Tadao Ando
„Geography Biography“ im Rahmen von „Avant l’orage“
Seit zwei Jahren beheimatet nun die BdC die renommierte Kunstsammlung „The Pinault Collection“ und ermöglicht gleichzeitig der Öffentlichkeit die Wiederentdeckung der historischen Architektur – und schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe, so könnte man sagen. Seit Februar wird eine Schau unter dem Titel „Avant l’orage“, zu deutsch „Vor dem Sturm“, gezeigt, innerhalb derer verschiedene Kunstschaffende ihre Werke ausstellen.
Der stählerne Elefant im Raum
Unter ihnen ist auch die britische Künstlerin Tacita Dean, die eine ausgefallene Idee für ihre Ausstellung „Geography Biography“ mithilfe eines Architektenduos realisieren konnte. So ist nicht der imposante Rundbau selbst der Ausstellungsraum für ihre zwei Filme, sondern eine zweite, anthrazite Rotunde, die in dem Raum platziert ist.
Ein Zylinder als Ausstellungsraum
Exakt 5,1 Meter hoch ist der geschlossene Zylinder, den der Berliner Architekt Sam Chermayeff in Zusammenarbeit mit dem Amerikaner Frank Barkow, bekannt mit seinem Studio Barkow Leibinger, gestaltet hat. Lediglich an der unteren Außenseite des Theaters sind zwei 3,5 Meter weite Öffnungen angebracht, die den Besuchern als Lichtschleusen zum Betreten und Verlassen des Raums dienen. Außerdem ermöglichen es die Zusatzräume, dass sich die Augen an die Dunkelheit im Innenraum gewöhnen.
Simples Design, leichte Konstruktion
So minimalistisch das Design ist, so simpel setzt sich auch die Konstruktion des Zylinders zusammen: Das Theater kann dank der leichten Metallträgern schnell zusammengebaut werden und ist lediglich mit einer dunklen Stoff-Ummantelung verkleidet – der helle Grauton kennzeichnet die Bühne selbst, der dunkle markiert die seitlichen Schleusen.
Bezugnahme auf den historischen Bau
Ein Highlight kann man auch aus der Vogelperspektive auf den Zylinder beobachten. Das Dach fällt konkav ein Stück weit in den Ausstellungsraum ein. Im Kontext mit dem direkt darüber gelegenen Kuppeldach der Bourse de Commerce setzen Chermayeff und Barkow mit dieser Entscheidung eine interessante Nuance: Denn während sich das Dach des Denkmals aus der Perspektive des Besuchers in einer konvexen Bewegung nach oben hin weitet, zeigt das graue Zylinder-Dach entgegengesetzt nach unten.
360-Grad-Filmbühne
Dynamik spielt auch in der Führung des Besucherflusses eine entscheidende Rolle: Besucher können sich im abgedunkelten Raum in der Rotunde nach Belieben bewegen, während die projizierten Filme durchgehend automatisiert abspielen. Lediglich der runde Drehteller, auf dem zwei Projektoren befestigt sind, fungiert als definierendes Element innerhalb des Raums, das aber selbst nicht stillsteht.
In Anspielung auf das Panoramagemälde unter der Kuppel dreht sich der Teller innerhalb des Theaters langsam, aber stetig um seine eigene Ache. Die ausgestrahlten Filme reagieren also ortsspezifisch auf die Rotunde, indem ihre Innenwand zu einer beständigen, aber sich verändernden Projektionsfläche zweckentfremdet wird.
Tacita Dean mit „Geography Biography“
„Geography Biography“ benennt zwei 35-mm-Filme, die von Dean in diesem abgedunkelten Raum präsentiert werden. Sie zeichnen eine autobiografische Kartographie von verschiedenen Teilen der Welt, die mithilfe von verschiedenen Bildern und Postkarten neu komponierte Landschaften aufzeigen.
Mit den Aufnahmen nimmt Tacita Dean vor allem auf die französischen Expansionsprojekte von Frankreich während der Dritten Republik Bezug. In der kompakten Rotunde innerhalb der Bourse de Commerce spürt die Künstlerin einem atmosphärischen Ausstellungsraum für ihre Kunst nach, der zudem für sich selbst spricht.
„Geography Biography“ mitunter als Highlight
Infos
Die Ausstellung Avant l’orage läuft noch bis zum 18. September 2023 in der Bource de Commerce.
Tacita Dean stellt ihre Werke samt „Geography Biography“ eine Woche länger – bis zum 25. September 2023 – dort in der Rotunde und der Galerie 2 aus.