12.04.2022

Event

Biennale 2022: Eine Vorschau

Padiglione Centrale

Padiglione Centrale

Am 23. April eröffnet die Kunstbiennale in Venedig. Unter der kuratorischen Leitung von Cecilia Alemani sucht die Biennale 2022 insbesondere nach den weiblichen Positionen in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Dabei rückt sie den weißen westlichen Mann aus dem Zentrum des Kunstuniversums.  

 

Covermotive der Führer zur Biennale 2022, Foto: Biennale di Venezia

 

Venedig läuft sich warm: Gerade sind die von David Chipperfield Architects gestalteten neuen Ausstellungsräume in den Procuratie Vecchie am Markusplatz der Öffentlichkeit präsentiert worden. Seit dem 10. April und noch bis zum 1. Mai findet „Homo Faber“ auf San Giorgio Maggiore statt, eine Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe rund um künstlerische Handwerkstechniken, bei der Luxusmanufakturen aus aller Welt das Geschick ihrer Kunsthandwerker vorführen. Doch das wichtigste Ereignis der Saison beginnt am 23. April, wenn die Kunstbiennale ihre Tore öffnet. VIPs und Presse dürfen bereits ab dem 20. April in die Giardini und ins Arsenal. Und können dann in Augenschein nehmen, was die diesjährige Biennale-Kuratorin Cecilia Alemani und ihr Team sowie die Kuratoren der Länderpavillons erarbeitet haben.

 

Kuratorin Cecilia Alemani, Foto: Andrea Avezzù/Biennale di Venezia

 

„The Milk of Dreams“ lautet der Titel der Biennale 2022. Cecilia Alemeni hat diese Überschrift einem Buch der surrealistischen Künstlerin Leonora Carrington (1917-2011) entnommen. Nicht-männliche Künstler sind erstmals bei einer Kunstbiennale in der Überzahl. Und der Zweifel am weißen, westlichen Mann als „Maß aller Dinge“ spielt dann auch eine wesentliche Rolle im abgebildeten Kunstdiskurs. Cecilia Alemani sucht nach alternativen Erzählungen und das nicht nur für Gegenwart und Zukunft. Die Neubefragung und -deutung der Geschichte ist ein wichtiger Bestandteil ihres Konzepts.

 

Padiglione Centrale, Giardini, Venedig, Foto: Andrea Avezzù/Biennale di Venezia

Cecilia Alemanis Zeitkapseln

 

Hauptinstrument für die Entwicklung eines alternativen Narrativs sind fünf Ausstellungen in der Ausstellung. Diese fünf „Zeitkapseln“, wie Cecilia Alemani sie nennt, schlagen Brücken in die Kunst- und Kulturgeschichte und bilden zugleich die Einführung in zentrale Themen der Biennale 2022. Die Zeitkapseln hat die Kuratorin gemeinsam mit dem Mailänder Designstudio Formafantasma entwickelt, das bereits 2020 die Sonderschau „Le muse inquite“ für die Biennale di Venezia gestaltet hat.

 

Corderie, Arsenale, Venedig, Foto: Giulio Squillacciotti/La Biennale di Venezia

 

Die erste Zeitkapsel nimmt unmittelbar Bezug auf den Biennale-Titel „The Milk of Dreams“ und präsentiert eine Galerie von Werken internationaler Avantgarde-Künstlerinnen des frühen 20. Jahrhunderts. Leonora Carrington ist eine von ihnen. Eileen Ager, Claude Cahun, Leonor Fini, Ithell Colquhoun, Loïs Mailou Jones, Caron Rama, Augusta Savage, Dorothea Tanning und Remedios Varo zählen ebenfalls zu den hier ausgestellten Künstlerinnen. Ihnen stellt die Biennale 2022 Arbeiten zeitgenössischer, zumeist ebenfalls weiblicher Künstler gegenüber, die in ihren Werken ähnliche Themen, den Wunsch nach Transformazion und Identifikation, verhandeln. Gezeigt werden Werke unter anderem von Aneta Grzeszykowska, Julia Phillips, Ovartaci, Christina Quarles, Shuvinai Ashoona, Sara Enrico und Birgit Jürgenssen.

 

Padiglione Centrale, Giardini, Venedig, Foto: Francesco Galli/Biennale di Venezia

Programmierte Kunst und Science-Fiction

 

Zeitkapsel Nummer zwei, wie die erste Kapsel im Zentralpavillon in den Giardini untergebracht, beschäftigt sich mit programmierter Kunst und kinetischer Abstraktion der Sechzigerjahre. Arbeiten von Agnes Denes, Lillian Schwartz, Ulla Wiggen stehen Werken von Dadamaino, Laura Grisi und Grazia Varisco gegenüber. In der dritten Zeitkapsel der Biennale 2022 geht es um die Verbindungen zwischen Körper und Sprache. Sie bezieht sich dabei direkt auf die Ausstellung „Materializzazione del linguaggio“, eine Sonderschau auf der Biennale 1978. Diese Schau war die erste dezidiert weiblichen zeitgenössischen Künstlern gewidmete Ausstellung im Rahmen einer Kunstbiennale.

 

Arsenale, Venedig, Foto: Andrea Avezzù/La Biennale di Venezia

 

Die beiden letzten Zeitkapseln der Biennale 2022 befinden sich nicht in den Giardini, sondern in den Corderie des Arsenale. Die Kapsel am Beginn der Halle ist inspiruert von der Zivilisationstheorie der Science-Fiction-Autorin Ursula K. LeGuin. Die 2018 verstorbene Schriftstellerin hat vorgeschlagen, nicht in Waffen erste Zivilisationsleistungen zu erkennen, sondern in Transportwerkzeugen wie Gefäßen und Taschen. Die Zeitkapsel zeigt beispielsweise Arbeiten der surrealistischen Künstlerin Bridget Tichenor. Daneben Skulpturen von Maria Bartuszová aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder anthropomorphen Vasen von Magdalene Odundo als zeitgenössische Arbeit.

 

Katalog zur 59. internationalen Kunstbiennale, Foto: Biennale di Venezia

Cyborgs auf der Biennale 2022

 

Die letzte Zeitkapsel der Biennale 2022 befindet sich am Ende der Corderie. Dort steht die Figur des Cyborgs im Mittelpunkt. Dafür haben Cecilia Alemani und ihr Team künstlerische Positionen zusammengetragen, die sich im 20. Jahrhundert mit der Verschmelzung von Mensch und Maschine beschäftigt haben. Hier finden sich Arbeiten der Dadaistin Elsa von Freytag-Loringhoven, der Bauhaus-Künstlerinnen Marianne Brandt und Karla Grosch sowie der Futuristinnen Alexandra Exter, Giannina Censi und Regina. Sie treffen auf Arbeiten von Anu Põder, Louise Nevelson, Liliane Lijn, Rebecca Horn oder Kiki Kogelnik.

„The Milk of Dreams“ registriere „unweigerlich die die Umwälzungen unserer Zeit“, sagt Cecilia Alemani. Gerade der Blick zurück führe aber zu der Einsicht, dass „Kunst und Künstler in Zeiten wie diesen helfen, uns neue Formen des Zusammenlebens und unendlich viele neue Möglichkeiten der Veränderung vorzustellen.“

La Biennale di Venezia
59. internationale Kunstausstellung
The Milk of Dreams
Venedig: Giardini and Arsenale,
23. April bis 27. November 2022
Pre-opening: 20., 21. and 22. April 2022

Auch interessant: Im Rahmen der Architektur-Biennale 2021 thematisierte der Salon Suisse „Bodily Encounters“.

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