28.05.2018

Wohnen

Aus der Echtwelt

Anne-Julchen Bernhardt

Diese Zeilen haben mit einer sehr langen Zugfahrt zu tun, und die diesmalige Echtwelt verbindet sich auch ganz wunderbar mit der Pointe vom letzten Mal: Gemeinschaftsräume statt Shopping in den Erdge­schossen der Städte. Nun wird das in Europa offiziell gefördert.

In England gibt es seit kurzem ein Einsamkeitsministerium. Das ist lustiger als unser ebenfalls neues Heimatministerium, weil es unwillkürlich an das „Ministry of Silly Walks“ von Monty Python erinnert, wie auch dem „New Yorker“ aufgefallen ist. Das Heimatministerium erinnert leider an nichts Lustiges, sondern im wohlwollendsten Fall an die Heimatschutzbewegung des frühen 20. Jahrhunderts. Ein Sechstel der Engländer fühlt sich einsam, für die gibt es nun ein Ministerium. Das Heimatministerium sollte nicht nur für das Sechzehntel aller Wähler*innen sein (das sind die, die in Deutschland CSU gewählt haben), sondern ebenfalls für mehr Menschen, dazu später mehr.

Das Einsamkeitsministerium wird den Internethandel begrüßen, weil er zwar erst einmal noch einsamer macht, dann aber auf lange Sicht hin wieder geselliger, weil wir nun alle ständig ohne den ehemals omnipräsenten Einzelhandel draußen Kaffee trinken gehen und Dinge tauschen. Und das nun nicht nur in den Städten, sondern auch in den Dörfern. Das Magazin der Bahn „DB mobil“ ist besser als die Bahn selbst, es schreibt über Themen der Gegenwart, während die Bahn noch nicht in der Gegenwart angekommen ist und man seit der ersten Liberalisierungswelle der 80er-Jahre nicht mit dem Zug aufs Land oder wieder zurück kommt. Deshalb war meine lange Bahnfahrt auf der Hinfahrt auch keine Bahnfahrt, sondern eine Mietwagenfahrt. Das geht in anderen Ländern, wie zum Beispiel der Schweiz, die das Ländliche immer schon als Strategie gesehen haben, besser. Unser Heimatministerium könnte das gerne etwas verbessern und diese Aufgabe nicht dem Landwirtschaftsministerium überlassen.

DB mobil also schreibt in seiner Aprilausgabe über ein klassisches „Brandeins“-Thema: In den Dörfern gibt es nun kooperative Dorfläden, in denen neben Supermarkt und Bibliothek auch gemeinsam genäht wird und man Pakete aufgeben kann. Die Brandeins hingegen schreibt in ihrer Aprilausgabe, dass wir alle nach Blaise Pascals Postulat zuhause bleiben sollen – da ist ja auch ein Drittel mehr Platz als in den 90er-Jahren – jetzt fünfmal so viel wie das Gesetz fordert –, um alles zu machen, was man hier so machen muss: leben und arbeiten und Gästezimmer vermieten und eben tauschen. Wir haben also mehr Platz beim Alleinsein, das macht wahrscheinlich noch einsamer, und wir brauchen deshalb umso mehr Gemeinschaftsräume. Auf dem Land ist alles noch größer, also wird man da mit mehr Raum viel einsamer, obwohl es auf dem Land im Allgemeinen viel persönlicher und auch viel einfacher zugehen soll als in der anonymen, lauten, schmutzigen und bunten Großstadt.

So gesehen kümmern sich Heimatministerium und Einsamkeitsministerium auch um Ähnliches. Objektiviert man den Titel des Heimatministeriums, geht es um eine Beziehung von Mensch und Raum, eine Aufladung des Raums mit Bedeutung für das Individuum, während es bei Einsamkeit um eine fehlende Beziehung von Mensch zu Mensch geht. Das Heimatministerium setzt sich also für eine Verbesserung der Beziehung von Mensch und Raum ein. Setzt man Heimat nicht mit Herkunft gleich, sondern mit dem Ort des Lebens allgemein, dem Zuhause, erscheint der Begriff plötzlich progressiv und nicht regressiv. Zum Raum gehört die Stadt, das Dorf, die Straße, der Wald, die Wiese, der Fluss und der Berg, die Wohnung, das Haus, die Schule und das Büro; es gehört auch die Bahn dazu und die Autobahn; alles Raum, alles in Veränderung, alles ständig anders. Das Heimatministerium kümmert sich nicht nur mit einer anderen Abteilung – als Innenministerium ist es auch für Migration und Flüchtlinge zuständig –, sondern eben auch grundsätzlich um die Bedingungen für alle hier Lebenden, es ermöglicht allen eine Beziehung zum sie umgebenden Raum. Das ist die gute Nachricht, der Begriff der Heimat lenkt davon etwas ab und Einsamkeit wäre lustiger, aber immerhin – es geht um Raum.

 

Diese Kolumne stammt aus dem Juni-Baumeister B06. Neugierig geworden? Hier gehts zum Shop.

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