28.05.2018

Wohnen

Architektur für die Verkehrsinsel

Klare Kanten: Die Formensprache des Gartens erinnert an asiatische Vorbilder. Foto: Nicolai Rapp.


Zeitgemäßes Wohnen in Ludwigsburg

 

Die Parkanlagen des Ludwigsburger Residenzschlosses sind für die Stadtbewohner ein beliebtes Ausflugsziel. Seit jeher machen sich bei schönem Wetter die Spaziergänger auf den Weg. Wer aber in diesem Frühling die Innenstadt verlässt und am Eingang zur Grünfläche die vielbefahrene Schlossstraße überquert, der wird ins Staunen kommen: Auf der Verkehrsinsel, die hier die Fahrbahn mittig teilt, ragt schwarzes Wellblech in die Höhe und schirmt ein Stück dieses unwirtlichen Ortes gegen die Blicke der Passanten ab. Ist das ein Bauzaun? Eine technische Installation? Ein abgestellter Container? Nein, es ist ein kleines Haus, das den von der Stadt Ludwigsburg und dem Ludwigsburg Museum ausgelobten Wettbewerb „Raumpioniere“ gewonnen hat.

 

Ziel des Wettbewerbs war es, die Entwicklung neuer Wohnformen anzuregen, die auf die speziellen Herausforderungen einer im Zeichen der Nachverdichtung immer enger bebauten Stadt ausgerichtet sind. Dass man sich ausgerechnet in Ludwigsburg Gedanken um das Thema ‚zeitgemäßes Bauen‘ macht, ist indessen kein Zufall: Als barocke Idealstadt geplant, spiegelt das historische Zentrum von Ludwigsburg selbt eine klare Vorstellung von moderner, effizienter und ansprechender Organisation von Wohnquartieren und Gebäuden wider. Nur dass diese Vision 300 Jahre alt ist. Zum runden Jubiläum der Stadtgründung durch den württembergischen Landesherrn Eberhard Ludwig lag also nichts näher, als die Frage nach der bestmöglichen Nutzung des städtischen Raumes für die Gegenwart neu zu stellen.

Um das anzuregen, lobten die Stadtverwaltung und die Museumsleitung des Ludwigsburg Museums einen Wettbewerb aus, der die teilnehmenden Künstler und Architekten mit einem urbanen Standardproblem unserer Tage konfrontierte: Platzmangel. Die Aufgabe bestand darin, ein temporäres Mikrohaus zu entwerfen, das auf engstem Raum alle basalen Wohnfunktionen vereint – und das zugleich den Lebensraum seines Bewohners gegen eine laute, hektische und betriebsame städtische Umgebung abschirmen kann. Letzteres war bei dem zugewiesenen Baugrund – der verkehrsumtosten Grünfläche zwischen zwei Fahrbahnen – die augenfälligste Herausforderung. Es ist ein Zugeständnis an ein urbanistisches Zukunftsszenario, in dem bei steigendem Bevölkerungsdruck in den Städten nicht nur die Wohnfläche jedes Einzelnen, sondern auch der Abstand zwischen verschiedenen Wohneinheiten immer kleiner berechnet werden muss. Die Herstellung von Privatsphäere wird hier zu den wichtigsten – und schwierigsten – Aufgaben zählen, die sich den Architekten stellen.

 

Bautyp Hofhaus

Der Siegerentwurf des jungen Stuttgarter Büros Kaiser Shen löste das Problem, indem er auf eine selten gewordene Bauform zurückgriff: das Hofhaus. Ein relativ klein bemessener Innenraum öffnet sich hier zu einem großzügigen Hof, der seinerseits durch hohe Mauern hermetisch vom urbanen Kontext abgeschirmt wird. In der vorliegenden Situation diente diese Bauweise vor allem dazu, den Straßenlärm vom Leben innerhalb der Mauern abzuhalten: Circa 3 Meter hoch und wellblechverkleidet, bilden die Holzpaneele, die den Hof an drei Seiten umgeben, einen wirksamen Schallschutz. Für zusätzliche Aufenthaltsqualität sorgt ein Brunnen, der dessen Plätschern im Freien eine angenehme Geräuschkulisse schafft. Ein schlanker Baum, gepflanzt über einer kleinen Rasenfläche, spendet Schatten.

Der Luxus dieses innerstädtischen Naturraums wird mit einer drastischen Verkleinerung des Wohnraums erkauft: Nur 7,3 Quadratmeter beträgt die überdachte Nutzfläche. Auf engstem Raum ist hier daher alles zusammengedrängt, was zur Ausstattung einer Wohneinheit gehört: Küche, Schränke, Dusche und WC. Ein Tisch sowie eine Schlafstelle können mit wenigen Handgriffen aus der homogenen Holzverkleidung des Innenraums aufgeklappt werden.

 

Wohnkomfort auf engem Raum

Dass das Hofhaus trotz der beengten Verhältnisse im Inneren dennoch erstaunlichen Wohnkomfort bietet, dafür stehen die Probanden ein, die hier seit der Eröffnung des Projekts am 11. März für jeweils einige Wochen wohnen konnten. Einer von ihnen ist der 21-jährige Architekturstudent Ben Stojanik. „Dieses Haus erfordert eine gewisse Bescheidenheit“, räumt er im SWR-Interview ein. Aber der große geschützte Außenbereich und das kluge Design im Inneren können das ausgleichen: „Die Atmosphäre ist einladend. Wenn es so etwas auch in größeren Städten gäbe, könnte ich mir auf jeden Fall vorstellen, auch längerfristig hier zu wohnen“.

Das dürfte die Architekten freuen: „Das Mikrohofhaus soll zum Nachdenken über den Platzverbrauch in unseren Städten anregen“, sagt Florian Kaiser vom Atelier Kaiser Shen. „Unser Anliegen war es, zu zeigen, dass man auch auf kleinen Flächen mit hohem Komfort wohnen kann.“ Angesichts der positiven Resonanz unter Besuchern und Bewohnern kann resümiert werden: Das ist ihnen gelungen.

Die Ausstellung „hin und weg. Wohn- und Lebensräume in Ludwigsburg“, in deren Rahmen der Architekturwettbewerb „Raumpioniere“ stattgefunden hat, ist noch bis zum 16. September im Ludwigsburg Museum zu sehen.

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