Amanda Levete Architects haben das traditionsreiche Wadham College in Oxford um einen neuen Hof ergänzt. Sie setzten zwei kompromisslos moderne Flügelbauten neben den gotischen Gründungsbau. Das Signal: Das College ist im 21. Jahrhundert angekommen.
Amanda Levete Architects haben das traditionsreiche Wadham College in Oxford um einen neuen Hof ergänzt. Sie setzten zwei kompromisslos moderne Flügelbauten neben den gotischen Gründungsbau. Das Signal: Das College ist im 21. Jahrhundert angekommen.
Das Wadham College ist über 400 Jahre alt. So überrascht zunächst der mutige Schritt, das historische, im typisch „gotischen“ Oxford-Stil errichtete College-Geviert mit einem silberglänzenden Neubau auf absolut moderne Weise zu ergänzen. Doch Wadham gehört mit seinen knapp 500 Studierenden im Grundstudium zwar zu den 39 alteingesessenen Colleges, in die die Universität Oxford unterteilt ist. Es gilt allerdings weithin als liberal und progressiv und legt großen Wert auf die Vielfalt in seiner Studentenschaft. 1974 nahm es etwa als eines der ersten rein männlichen Colleges auch Frauen auf. Schließlich war ja auch die Gründerin, die wohlhabende Witwe Dorothy Wadham, eine Frau. Zudem macht man sich in jüngerer Zeit auch für die Rechte der Homosexuellen stark.
Die Wahl der Architekten für eine Erweiterung auf dem Collegegelände fiel auf das Londoner Büro Amanda Levete Architects. Es wurde 2009 gegründet und sorgte schon an so prominenter Stelle wie der Londoner Museumsmeile für Aufsehen. Dort hatte das Büro vor vier Jahren die Gestaltung des Eingangshofs zum Victoria&Albert-Museum übernommen – mit einer einladenden Kombination strahlend heller, schräger, keramischer Flächen. (Siehe auch Baumeister 9/2019)
Wadham College besteht, wie in Oxford üblich, aus dem denkmalgeschützten „Main Quad“, dem Quadrangle genannten ältesten Geviert mit einer Rasenfläche im Innenhof. Dazu kam in den letzten Jahrhunderten ein „Back Quad“ mit jüngeren Ergänzungen, darunter ein Wohnheim mit leicht postmodernem Anflug. Nun ist ein dritter Hof entstanden, gewissenmaßen für die ganz Jungen: das JCR-Quad (jcr bedeutet junior common room) für die Juniormitglieder im Grundstudium und Gaststudenten. Hier schließt diesen Hof jetzt ein zweiflügeliger Neubau von Amanda Levete Architects mit seinen beiden Flanken.
Der nördliche Flügel dient als eine Art „Empfangsgebäude“ mit verschiedenen Gemeinschaftsräumen. Hintergrund ist, dass es in Wadham College, wie auch in allen anderen Colleges, immer mehr Gaststudierende gibt, die (noch) nicht fest eingeschrieben sind. Der westliche Bauteil dagegen dient hauptsächlich als Wohnheim. Beide Bauten zusammen bilden auf den ersten Blick durch ihre einheitlich silberfarbene Verkleidung ein harmonisches Ganzes. Und dass, obwohl Amanda Levete Architects bei genauerer Betrachtung die unterschiedlichen Funktionen nach außen durchaus auf verschiedene Weise zum Ausdruck bringen.
Amanda Levete Architects haben die beiden Gebäudeflügel im rechten Winkel zueinander angeordnet und sie über Eck verbunden, so dass nur auf Erdgeschossebene ein Durchgang in den Hof freibleibt. Gut gelöst ist die Einbindung in das Gelände, das zum historischen Bestand auf der Nordseite einen geschosshohen Versprung aufweist. So wird hier zum Norden zwischen Alt- und Neubau eine breite Terrasse ausgebildet, die nach Westen, zum Back Quad hin, in einer sanft geschwungenen Freitreppe ausläuft. Der BodenbelagBodenbelag: alle Materialien, die als Oberflächen für den Boden von Räumen verwendet werden, wie Teppich, Fliesen usw. der Terrasse, Freitreppe und zudem der Gebäudesockel sind hier in einem warmgetönten Sandstein ausgeführt, der auf die historischen Collegebauten Bezug nimmt. In diese Freitreppe eingebaut sind zwei steinerne Bänke, die nachts effektvoll hinterleuchtet werden. Der Neubau bildet übrigens nur an dieser Stelle eine abgerundete Ecke aus – sie unterstreicht die weichen Linien der Stufen.
Bemerkenswert ist vor allem die Gestaltung der FassadeFassade: Die äußere Hülle eines Gebäudes, die als Witterungsschutz dient und das Erscheinungsbild des Gebäudes prägt.. Denn beide Gebäudeflügel scheinen komplett mit einer Aluminiumrasterfassade verkleidet zu sein, doch das täuscht. Es handelt sich durchweg um Glaselemente, wobei der wesentlich transparentere Nordflügel mit den Gemeinschaftsräumen nach außen bündig verglast ist. Dagegen bilden die Wohngeschosse beim Westflügel mit ihren schmalen geschosshohen Fensterelementen kleine „Balkone“ aus. Die Glasbrüstungen liegen allerdings im Inneren, hinter den Schiebefenstern. Die opaken Fassadenelemente, die diesen metallisch-schillernden Effekt hervorrufen, bestehen aus mehreren Schichten. Durch eine mit einer digitalen Keramikstruktur bedruckten Glasscheibe schimmert ein metallisch-reflektierendes Paneel. Diese Kombination erzeugt in verschiedenen Lichtsituationen unterschiedliche Farbeffekte und Reflexionen. Dadurch verleiht sie der Außenhaut – je nach Gegenüber – eine wechselnde Färbung und eine dreidimensionale Wirkung.
Die Gebäude bestehen aus einer Mischkonstruktion. Amanda Levete Architects kombinieren ein Stahltragwerk mit massiven Brettsperrholzdecken, deren Unterseiten teilweise sichtbar bleiben. Auf den Holzdecken sorgt ein Aufbau mit FußbodenheizungFußbodenheizung: eine Heizung, die unter einem Bodenbelag versteckt ist und Wärme von unten nach oben abgibt. für Komfort. Die Fensterelemente sitzen auf den Stahlträgern auf, so dass beim Westflügel durch den hochgedämmten Fassadenaufbau ein kräftiger Rhythmus mit tief verschatteten Laibungen entsteht. Als oberer Fassadenabschluss ist für die Passanten nur ein schmaler Rand zu sehen, da das abschließende Traufblech stark abgeschrägt wurde.
Im Inneren stehen den Studierenden im nördlichen Flügel großzügige Gemeinschaftsräume und eine Bar zur Verfügung. Im westlichen sind – neben einem Seminarraum, Küche und Musikzimmer im EG – in den beiden Obergeschossen im Wesentlichen die Zimmer des Wohnheims unterbracht. Was beide Bauteile wiederum verbindet ist, dass durch die verglasten Treppenhäuser die Treppenläufe mit ihren leuchtend rot lackierten, geschlossenen WangenWangen: Die seitliche Konstruktion der Treppe, bestehend aus einer breiten Platte, die als Träger dient. leuchten. In beiden Gebäudeflügeln können die Türensind eine Art von beweglichen Barrieren, die verwendet werden, um Räume und Bereiche voneinander zu trennen oder zu schützen. Sie bestehen in der Regel aus Holz, Metall, Glas oder Kunststoff und können in verschiedenen Größen, Formen und Stilen hergestellt werden. Als Türen bezeichnet man in der Architektur Bauteile, die Öffnungen… der Gemeinschaftsräume zu ebener Erde geöffnet werden. Einerseits zur Library Terrace und andererseits zum Innenhof, was die Gebäude auch in der Nutzung mit der Umgebung verbindet. Offenheit und TransparenzTransparenz: Transparenz beschreibt die Durchsichtigkeit von Materialien wie Glas. Eine hohe Transparenz bedeutet, dass das Material für sichtbares Licht durchlässig ist. war Amanda Levete Architects großes Anliegen. Denn die Studierenden sollten sich von Anfang an willkommen und heimisch fühlen.
Wie viele der alten Colleges verfügt auch Wadham College über einen üppigen Garten mit prächtigem, altem Baumbestand. Die schillernden Glaselemente spiegeln das Grün rundum ebenso wider wie den warmen Sandsteinton der historischen Bauten. Vor allem aber zeigt sich in der kompromisslos modernen Architektur die liberale, egalitäre Geisteshaltung des Colleges. Die neue Ergänzung erscheint zwar bescheiden, aber entschieden zeitgenössisch. Die Architektin Amanda Levete drückt es in einem Gespräch mit dem Collegeleiter Ken Macdonald so aus: „Was ich an dieser Bauaufgabe schätze, ist, dass es sich um eine Investition in die Zukunft handelt, eine Investition in Studierende, die teilweise noch gar nicht fest eingeschrieben sind. Außerdem faszinierte es uns, eine Balance zwischen Geschichte und Moderne zu finden.“ Und als Bauherrenvertreter ergänzt Ken MacDonald: „Wir haben uns Bauten gewünscht, die bewusst im 21. Jahrhundert verankert sind, aber sich auch gut einpassen. Dieser Neubau ist sehr sanft gelandet – er scheint fast zu schweben.“ (sas)
Amanda Levete Architects sind nicht das einzige renommierte Architekturbüro, die vor der Aufgabe standen, ein traditionsreiches College in Oxford architektonisch ins 21. Jahrhundert zu führen: Für das Exeter College haben dies Alison Brooks Architects übernommen.