05.09.2022

Wohnen

In Chiles wildem Süden: Aladino-Haus vereint Gegensätze

Das Aladino-Haus vereint viele Gegensätze. © Marcos Zegers
Das Aladino-Haus vereint viele Gegensätze. © Marcos Zegers

Im Süden Chiles vereint der Architekt Iván Bravo mit dem Aladino-Haus eine Menge an Gegensätzen. Besonders auffällig ist dabei die Architektur.

Chile erstreckt sich über eine enorme Länge von 39 Breitengraden, was das Land klimatisch und landschaftlich sehr abwechslungsreich macht. So ist der Norden des Landes trocken und wird durch eine der unwirtlichsten Wüsten der Welt bestimmt. Das zentrale Chile ist die wichtigste Wirtschaftsregion des Landes. Hier sind Landschaft und Klima gemäßigt, die Erde fruchtbar. Der Süden des Landes dagegen ist eine der stürmischsten Regionen der Welt und beheimatet in seiner verregneten Wildnis eisbedeckte Vulkane und schroffe Felsen. Die durchschnittliche Temperatur beträgt hier im Sommer etwa 14 °C, im Winter etwa 6 °C.

Deutsche Immigranten unterstützten im 19. Jahrhundert die Besiedelung der südlichen Region Los Lagos. Sie brachten ihr Knowhow im Holzbau mit und legten so den Grundstein für eine Holzbautradition, die seitdem die Architektur Chiles prägt. Grund für den Erfolg war nicht nur die Verfügbarkeit des Rohstoffs im Land, sondern auch die Anpassungsfähigkeit des Materials an seine jeweilige Funktion, die Geografie und die Klimazone.  

In der baumreichen und wilden Natur des Südens liegt die Stadt Puerto Varas, wo Iván Bravo 2021 das Aladino-Haus errichtete. Wie das Land, so will auch das Gebäude Gegensätze vereinen. Es steht für das Nebeneinander von zeitgenössischer und traditioneller Architektur, das Miteinander von unberührter Natur und menschlichem Eingriff. Es kombiniert ein Wohnhaus mit einem Nutzgebäude. Das Raumprogramm des Projekts bietet auf einer Fläche von 100 Quadratmetern zu gleichen Teilen Platz für öffentliche und private Nutzungen. Zum einen dient es als Empfangs- und Lagergebäude für den Nationalpark Parque Pudú und zum anderen als Wohnhaus für Aladino, den Park-Ranger. 

Das Aladino-Haus vereint viele Gegensätze. © Marcos Zegers
Foto: © Marcos Zegers

Tradition und Moderne vereint im Aladino-Haus

Das Gebäude steht auf einer von Bäumen umgebenen Lichtung. Es erscheint dabei mit seiner strengen dreieckigen „Toblerone“-Kubatur und dreißig Metern Länge nicht massiv oder gar wuchtig. Vielmehr erinnert es den Betrachter durch seine ruhige, monochrome Fassade fast ohne Öffnungen an eine der traditionellen Scheunen aus Lärchenholz im Umland. Auch die dunkel bemalten Paneele auf dem Dach lassen an diese ländlichen Gebäude denken. Denn früher wurden diese mit Schindeln aus einer endemischen Lärchenholzart gedeckt, bis die Alerce-Bäume, die man dazu verwendete, unter Naturschutz gestellt wurden.

Durch die natürliche Färbung der Dacheindeckung verbindet sich das Gebäude optisch mit der Umgebung. Dennoch erhebt es sich mit Hilfe von zwei Reihen fast einen Meter hoher Pfosten über die Erde. Das verleiht dem schlichten Gebäude eine gewisse Präsenz. Damit reagiert der Neubau auf die Herausforderungen, die die Natur hier stellt: Bei starken Regenfällen im niedenschlagsreichen Süden Chiles können die Bäche aus Regenwasser ungehindert unter dem Haus hindurchströmen. Dort sammeln sie sich dann in einem kleinen See vor der Stirnseite des Aladino-Hauses.

Dass das Gebäude aufgeständert wurde, verkleinert nicht nur dessen Fußabdruck und lässt der Natur Raum. Es ist auch eine Hommage an die chilenische Kultur: Die Konstruktion aus dreieckigen Rahmen, die durch Querbalken ausgesteift sind, ist durch die regionale Methode zum Trocknen von Holz inspiriert. Auch die Verbindungs- und Montagetechniken folgen der traditionellen Bauweise. Dies vermeidet Verformungsprozesse durch Feuchtigkeit.

Das Aladino-Haus vereint viele Gegensätze. © Marcos Zegers
Fotos: © Marcos Zegers
Das Aladino-Haus vereint viele Gegensätze. © Marcos Zegers

Harte Schale, weicher Kern

Diese Konstruktion ist nicht nur im Äußeren des Projekts sichtbar, sondern auch im Inneren. Die Holzkonstruktion ist bis unter den Dachfirst offen sichtbar belassen. Dabei wechseln sich offene Räume mit Bereichen ab, in denen Zwischengeschosse eingezogen sind. Die Geometrie der Balken unterteilt den Innenraum in identische Abschnitte. Diese Regelmäßigkeit wird in den Grundriss übertragen.

Alle Türen sind auf der Längsachse angeordnet, sodass sie in einer Linie von einem zum anderen Ende des Gebäudes führen. Außerdem löst sich das System von der Notwendigkeit, Wände einzuziehen. Die Raumhöhe wird genutzt, um zwei Schlafdecks einzuziehen. Somit entsteht ein Grundriss, der ohne Flure auskommt. Dadurch werden beim Erkunden des Gebäudes hierarchische Raumfolgen nahezu eliminiert. Diesem Prinzip widersprechen lediglich die Bäder und Abstellräume, die in der Mitte des Aladino-Hauses liegen. Dort trenen sie den öffentlichen und privaten Teil des Bauwerks voneinander. Farblich kontrastiert das Innere des Gebäudes mit dessen äußerer Erscheinung. Im Innenraum verteilt die unbehandelte, helle Holzverkleidung das durch die wenigen Öffnungen einfallende Licht. Es sorgt damit für eine strahlende, freundliche und einladende Atmosphäre, die man von dem wie eine Schutzhütte anmutenden Archetyp nicht erwarten würde.

 

Das Aladino-Haus vereint viele Gegensätze. © Marcos Zegers
Foto: © Marcos Zegers

Schutz und Ästhetik

Das Aladino-Haus vereint Gegensätze zu einem Gebäude, das dennoch einen nahezu asketischen Charakter besitzt. Trotz der Reduktion in Farbe und Material hält das Haus durch seine Variation im Innenraum einige Überraschungen für den Besucher bereit. Iván Bravo führt mit viel Fingerspitzengefühl moderne Architektur und traditionelle Bauweisen zusammen. Zudem schafft er es, dem Menschen in der wilden Landschaft Chiles einen schützenden und gleichzeitig ästhetischen Raum zu geben.

Auch ein Gebäude von Andreas Gruber Architekten in der Landschaft von Vals überzeugt durch seine besondere architektionische Gestaltung. Lesen Sie hier mehr zum „Viktoria-Haus“.

Zeichnung © Iván Bravo Arquitectos
Zeichnung © Iván Bravo Arquitectos
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