„Zwei Laien und ein Schriftsteller“, so beschreibt Max Frisch in seinem Vorwort zu «wir selber bauen unsre Stadt« die Protagonisten der «Basler Politische Schriften«. Die zwei jungen Basler Intellektuellen – der Soziologe Lucius Burckhardt und der Historiker und Publizist Markus Kutter – hatten sich in den 1950er-Jahren zusammengetan, um mit Hilfe der Schriften, die Gesellschaft aufzurütteln und grundsätzliche Fragen nach dem Zusammenleben in der Stadt zustellen. Sie holten den ebenfalls zu städtebaulichen Themen forschenden Architekten und Schriftsteller Max Frisch mit ins Boot, der zum „Wortschmied des Manifests“ wurde und die bis dahin etwas dröge Fassung so umschrieb, dass sie einem breiteren Publikum zugänglich wurde. Mit Erfolg, die Schriften erzeugten eine enorme Resonanztritt auf, wenn ein System auf eine bestimmte Frequenz eingestellt ist und auf diese verstärkt reagiert. Im Kontext der Akustik kann eine Resonanz in einem Raum auftreten, wenn bestimmte Frequenzen verstärkt werden und dadurch unerwünschte Raumresonanzen entstehen. in der Presse, wobei der zweite Band der Schriften «achtung: die schweiz« der bis heute wirksamste Teil ist. Damit gelang es den Autoren, eine engagierte Debatte um die Perspektiven der Stadt- und Raumplanung zu initiieren, die sie aus dem Kreis der Fachleute in eine breite Öffentlichkeit trugen.
Der erste Teil «wir selber bauen unsre Stadt« erschien 1953 und das Vorwort von Frisch beginnt so: „Es gibt zwei Arten von Zeitgenossen, die sich über die Misere unseres derzeitigen Städtebaus aufregen; die einen, die große Mehrzahl und auch sonst die Mächtigeren, sind die Automobilisten, die keinen Parkplatz finden; die anderen sind die Intellektuellen, die in unserem derzeitigen Städtebau etwas anderes nicht finden: Sie finden keine schöpferische Idee darin, keinen Entwurf in die Zukunft hinaus, keinen Willen, die Schweiz einzurichten in einem veränderten Zeitalter, keinen Ausdruck einer geistigen Zielsetzung – das macht noch nervöser, als wenn man keinen Parkplatz findet.“ Damit beschrieb Frisch die essentielle Botschaft des Pamphlets, nämlich den Aufruf zu einer neuen Stadtplanung, die den Städtebau als Ausdruck einer geistigen Zielsetzung begreift. Die dabei aufgeworfenen Fragen nach dem zukünftigen Aussehen der Stadt und dem Einfluss der Bürger auf die Planung stehen im Zentrum der Schriften, die damit als wichtiges Dokument einer nonkonformistischen Bewegung zehn Jahre nach Kriegsende gelten.
Ziel des Pamphlets
Mit den kämpferischen Texten der Trilogie lieferten die Autoren Denkanstöße, stellten die Objektivität und Unantastbarkeit von Expertenpositionen in Frage und forderten eine politisch motivierte Zukunft durch eine proaktive Gesellschaft. Ihr Vorschlag, anlässlich der Landesausstellung 1964 eine neue, modellhafte Stadt zu errichten, die der damals einsetzenden Zersiedlung von Stadt- und Landschaftsräumen entgegenwirken sollte, provozierte eine kontroverse Debatte. Dabei ging es nicht darum, Sündenböcke ausfindig zu machen, sondern die grundsätzliche Frage zu stellen, wer eigentlich für die Planung verantwortlich sei. Laut der Autoren dürfe die Gesellschaft nicht die Behörden diejenigen Aufgaben machen lassen, die eigentlich die ihrigen wären. Demnach solle nicht der Fachmann die Aufgaben stellen, sondern der Laie, also die Gesellschaft. Der Fachmann sei dann dazu da, die Aufgabe zu lösen. Will heißen: Man kann keine Städte entwerfen, ohne zu wissen, welche Art Gesellschaft sie bewohnen soll. Das Laienhafte in ihrer Broschüre beschreiben die Autoren als Vorteil, weil es eine Denkfähigkeit ermögliche, die Fachmännern fremd sei. Denn diese müssten sich mit (baurechtlichen) Situationen abfinden, was sie nur eingeschränkt dazu befähige, konsequent zu denken und zu bauen.
Denkanstöße aktueller denn je
Auch heute, gut 60 Jahre später, haben die Kernthemen der Schriften nichts an Aktualität verloren. Raumplanung und Bürgerbeteiligung sowie die Kritik an politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen, die schließlich im Vorschlag einer neuen Stadtgründung mündete, sind Beispiele für eine Diskussionskultur, die auch heutigen Planungsprozessen gut zu Gesicht stünden. Schließlich sind die Auswirkungen der Moderne, die ab den 1960er Jahren die bauliche Entwicklung der Schweiz prägte und in einer großflächig zersiedelten, polyzentrischen Stadtagglomeration führte, bis heute spürbar und die daraus resultierenden Probleme ungelöst. Als Indizien für den grundlegenden Beitrag der Schriften zur Urbanisierungsdebatte in der Schweiz kann ihr Aufgreifen in der Lehre wie 2015 durch das ETH Studio Basel mit «achtung: die Landschaft« gelten sowie nun die Neuauflage der Trilogie durch den Triest Verlag.
Wegweisende Grafik
Nicht nur inhaltlich, sondern auch gestalterisch markierte das Erscheinen der Politischen Schriften eine Zäsur in der Schweiz der Nachkriegsjahre: Das Erscheinungsbild wurde in serifenloser Akzidenz-Grotesk gesetzt und die Texte im Sinne einer bildhaften Vermittlung auf einem neuen Seitenspiegel präsentiert. Die wichtigsten Appelle treten so deutlich hervor. Die gemeinsame Neuauflage der drei vergriffenen Bände wurde originalgetreu gedruckt und um ein Vorwort von Markus Ritter sowie eine Einführung von Reto Geiser und Angelus Eisinger ergänzt.
achtung: die Schriften
Reprint «Basler Politische Schriften», Band 1-3, von Lucius Burckhardt, Max Frisch, Markus Kutter
Triest Verlag, Zürich 2016