20.04.2017

Öffentlich

Über Monumente

Eike Becker

Als die Jury des Museums für das 20. Jahrhundert vor wenigen Monaten die Wettbewerbsentscheidung für die Erweiterung vorstellte, war ich zuerst entsetzt und dann wütend. Herzog & de Meuron, wurden der Weltöffentlichkeit als Sieger präsentiert. Ein großartiges Architekturbüro, Giganten unter den Riesen. Soweit, so gut.

Aber der Entwurf hat die Form eines in dunkelbraunem Ziegel gemauerten Wiesenzeltes. Das soll die herausragende intellektuelle Meisterleistung unter fast 500 Angeboten gewesen sein? Ein Haus der Kunst, eine Urhütte, ein kolossaler Bruch mit der modernen Großtradition des Kulturforums. Das Haus vom Nikolaus zwischen den Demoiselles d’Avignon und dem Schwarzen Quadrat von Malewitsch. Wie konnte das geschehen?

Mich interessieren in diesem Zusammenhang nicht Themen wie Affinitäten zwischen Jurymitgliedern und Wettbewerbsteilnehmern (Juroren wählen tendeziell ihre Freunde auf den ersten Platz). Mich interessiert auch nicht der Zynismus, mit dem fast 500 anderen Architekturbüros eine echte Chance vorgaukelt wurde (weshalb ich auch nicht am Wettbewerb teilgenommen habe). Mich interessieren auch nicht die beteiligten Personen. Was mich interessiert, sind die Strukturen, die zu diesen monumentalen Entwürfe führen – hier an diesem Beispiel stellvertretend für viele andere Wettbewerbe überall im Lande.

Wie erfahren eine Gruppe an Juroren auch immer sein mag: die Auswahl aus einem Feld von 20 Entwürfen stellt eine anspruchsvolle, unübersichtliche Aufgabe dar. Das kenne ich aus eigener Erfahrung nur zu gut. Das erste Ziel einer Jury ist deshalb die Vereinfachung durch Aussortieren. Nach dem Prinzip: ich weiß schnell was ich nicht will, aber noch nicht, was ich will.

Dabei tun sich einfache, rustikale Konzepte, die weniger riskieren, leichter. Sie bieten kaum Angriffsflächen und durchstehen diese Phase besser. Rationale Konzepte, ableitbar und erläuterbar, sind eher konsensfähig. Ähnlich wie beim Fußballtippen ist ein 1-0 deutlich wahrscheinlicher als ein 4-3. Klare und einfache Setzungen sind wie die Überschriften der Boulevardzeitungen – sofort verständlich. Oder anders gesagt: bereits bekannte Archetypen, sind wie Schlager aus den 70ern. Jeder kann mitsummen.

Architektonische Themen, wie die Veranschaulichung des  Tragens und Lastens, ablesbar auf der Fassade oder im Raum, disziplinieren weiter und bieten ebenfalls Wiedererkennungswert. Und ohne Narration geht es heute auch nicht: Neue Häuser können wie ein altes Industriegebäude oder ein historisches Bürohaus aus den 1920ern, den 1930ern oder den 1950ern aussehen. Wir leben ja in nachmodernen Zeiten. Dadurch verengen sich die architektonischen Möglichkeiten auf die feinen Unterschiede – auf Details. Wer sich zuerst bewegt hat verloren.

Monumentalismus

Alle diese Ansprüche führen zu festen, eindeutigen, klaren, harten, kantigen Häusern – zu Vereinfachung und Monumentalismus. Bezüge auf die Geschichte sind wichtiger, als die Erfindung neuer Formen. Wenn es unübersichtlich wird, nimmt die Sehnsucht nach einfachen Lösungen zu. Organisatorische Offenheit und formale Vielfalt sind dann nicht mehr gefragt. Viel zu häufig werden deshalb Entwürfe prämiert, die der  Unübersichtlichkeit der Welt eine schwere, feste Trutzburg entgegen setzen. Dabei geht aber die Neugier und Heiterkeit, die  Sinnlichkeit und Modernität verloren – Zynismus tritt an ihre Stelle. Deshalb sehen viele neue Gebäude in Hamburg, Frankfurt, Berlin oder München so affirmativ, populistisch, retrospektiv und monumental aus anstatt nach vorne gewandt, zuversichtlich und erfindungsreich zu sein.

Architektonische Entscheidungen sind immer auch gesellschaftliche Entscheidungen. Es geht darum, sich nicht in die Defensive drängen zu lassen und auf Abschottung, Nostalgie und Verzagtheit mit Offenheit, Neugier und Mut zu reagieren.

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