14.07.2016

Wohnen

Was passiert mit den Grand-Ensembles?

© XDGA – Frans Parthesius

Die Grands Ensembles, die berüchtigten französischen Großsiedlungen, stellen eine Zäsur in der urbanen Landschaft von Paris dar. Rem Koolhaas hat dazu einen Masterplan erarbeitet, dem eine Brückenfunktion zwischen der Innenstadt und den Vororten zukommt. Dem „Entrepot Macdonald“ in Paris kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.

© XDGA - Matthias Van Rossen
© XDGA - Frans Parthesius
© XDGA - Matthias Van Rossen
© XDGA - Matthias Van Rossen
© XDGA - Matthias Van Rossen

Wer das städtische Gefüge in Paris verstehen will, sollte sich am besten auf den Aussichthügel des Parks „Buttes Chaumonts“ begeben. Von der neoklassizistischen Rotunde aus kann man die Nahtstelle zwischen den Haussmanschen Typologien des 19. , des frühen 20.Jahrhunderts und den Stadterweiterung der Nachkriegszeit am besten erkennen.

Die Türme der Wohnkomplexe  „Curial Cambrai“ und „Orgues de Flandres“ ragen über die typische Pariser Dachlandschaft mit ihren leicht grauen Dächer heraus. Es handelt sich dabei um die sogenannten Grands Ensembles, die französischen Großsiedlungen, die am nächsten an der Innenstadt liegen. Hinter ihnen wird die Landschaft deutlich horizontaler: Industriehallen, Autobahnkreuzungen, Bahnschienen.

In diesem Areal fand früher das industrielle Paris statt. Denn das Umbauprogramm des Barons Haussmann war nicht nur auf eine baukünstlerische Verschönerung der Stadt aus, sondern auch auf eine radikale Umgestaltung der gesamten städtischen Funktionen. In diesem Rahmen wurde die Industrie und die Arbeiterklasse aus der Innenstadt vertrieben und in die nord-östlichen Viertel verlegt.

Diese funktional-räumliche Organisation hat sich bis heute gehalten und im nördlichen Teil der Stadt eine unbekannte Insel innerhalb der Stadtgrenzen geschaffen. Durch ihr komplexes Gewebe aus Infrastrukturen, Industrie und Gewerbebauten bieten sie heute außergewöhnliche Chancen, um die Kluft zwischen der Innenstadt und den Banlieus zu überbrücken.

Einen der ersten Schritte in diese Richtung machte Bernard Tschumi in den 1980er Jahren mit der Umgestaltung des ehemaligen Schlachthofs der Stadt, den er in eine postmoderne Landschaft verwandelte – den berühmten Parc de la Vilette. Weniger Meter nördlich vom Park ist jetzt ein neues Großprojekt entstanden, dass aber nichts zu tun hat mit den verhassten Großsiedlungen der Nachkriegszeit.

Das Projekt ist eine Art Reinterpretation der Grands Ensembles. Eine Art BIG, wie es Rem Koolhaas in seiner „Theory of Bigness“ bezeichnet. Der niederländische Architekt hat den 2008 fertiggestellten Masterplan für das ganze Areal entworfen. In dessen Mitte befindet sich das längste Gebäude der Stadt: das „Entrepot Macdonald“ – zur Deutsch Lagerhaus Macdonald mit einer Länge von 617 Metern.

Das Gebäude beherbergte bis 2010 das Briefzentrum und weitere Lagerräume, blieb danach aber nicht lange leer: 15 namhafte Architekturbüros, darunter Christian de Portzamparc, Kengo Kuma, Gigon/Guyer und Odile Clerq, haben unter der Leitung von Floris Alkemade (ehemals Partner von OMA) und dem Büro XDGA das Lagerhaus in ein multifunktionales Zentrum mit Wohnungen, Büros, Läden und öffentlichen Einrichtungen umgestaltet – um so die  Grenze zwischen der Innenstadt und den Pariser Vororten in eine poröse und urbane Struktur zu verwandeln. Das Gebäude eignet sich perfekt dafür: seine Stützen wurden so geplant das sie große Belastungen aushalten können. Damit ist sich das Gebäude als eine Art Sockel für die Entwicklung der zukünftigen Stadt.

In einer außergewöhnlichen Nachverdichtungsoperation wurde die Dachfläche des Lagerhauses aufgeteilt und an unterschiedliche Investoren und deren Architekten vergeben. Ziel der Intervention war es, ein einheitliches aber gleichzeitig multifunktionales sowie visuell variables Ensemble zu schaffen. Der Ergebnis ist ein urbaner Hybrid.

Das Entrepot Macdonald ist ein neues Fallbeispiel für die Umwandlung industrieller Brachen. Mit einem Anteil von 50 Prozent an Sozialwohnungen bietet es bezahlbaren Wohnraum, in einer der dichtesten und teuersten Städte Europas. Ein Beweis dafür, dass industrielle Strukturen in ihrer Monumentalität nicht inkompatibel sind mit Wohnquartieren und Urbanität. Also eine Chance um das stereotypisierte Postkarten-Bild der französischen Hauptstadt zu überdenken.

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