13.07.2016

Öffentlich

Volksentscheide ja – trotz allem

Natürlich, schön ist es nicht, was das britische Volk da beschlossen hat. Eigentlich weiß besagtes Volk das auch selbst. Folgerichtig werden nun allerlei Verfahrenstricks durchgespielt, wie man die Brexit-Entscheidung – und eine solche ist es – irgendwie zurückdrehen könnte.

Das wird nicht klappen. Und das sollte es auch nicht. Die Briten haben entschieden. Und wir alle sollten nun mit dieser Entscheidung leben.

Und jetzt? Sofort aufhören mit dem Quatsch des Volksentscheides? Haben Journalisten wie Jacques Schuster recht mit der These, „das Volk“ sei unfähig zu „komplexen Entscheidungen“?

Eine Einlassung, die mir in mehrerer Hinsicht problematisch erscheint. Zum einen: Was genau sind „komplexe“ Entscheidungen? Ist nicht schon eine Wahlentscheidung hochkomplex? Und wenn sie es ist – sollte man die nicht gleich mit abschaffen?

Außerdem: Ist mit dem uns womöglich missfallenden Briten-Entscheid wirklich der Beweis einer strukturellen Unfähigkeit der Bevölkerung erbracht? Vor allem im Unterschied zu den (ja offenbar für viel kompetenter gehaltenen) Politikern? Nur zur Erinnerung: Der Brexit-Befürworter Boris Johnson war recht lange und nach Ansicht vieler durchaus erfolgreich Bürgermeister der größten Metropole Europas. Wenn es also durchaus ernst zu nehmende Politiker gibt, die den Brexit befürworten, ebenso wie Historiker, Ökonomen oder Kulturschaffende (wenngleich wenige) – kann man daraus wirklich ein für allemal die Unfähigkeit der Wähler zu direktdemokratischen Entscheiden folgern?

Und schließlich – wo bleibt eigentlich unsere Fähigkeit, in größeren und vielleicht auch vagen Visionen zu denken? Das Idealbild einer Bevölkerung, die begründet und kundig über ihre wesentlichen Belange selbst entscheidet, wäre doch wohl erstmal eine positive Vorstellung. Oder? Und wenn das so ist, lassen sich dann die ersten Versuche von Entscheidungen per Direktdekret nicht als Lernprozess betrachten, an dessen Ende genau dieses Idealbild stehen könnte? Zum Vergleich: Bei anderen Thematiken sind wir mit Visionen immer schnell bei der Hand. Etwa wenn wir uns ein Europa ohne mentale Grenzen herbeiimaginieren wollen. Dieses gibt es heute auch noch nicht. Das hindert uns aber nicht daran, es uns vorzustellen und darauf hin zu arbeiten.

Ich glaube: Ein offensiver Umgang mit dem Instrument des Volksentscheides führt zu einer klügeren und weniger politikmüden Bevölkerung. Einfach weil man die Wähler mit den Ergebnissen der eigenen Entscheidungen präsentieren kann. Niemand kann sich dann mehr mit „ich hätte ja…“ herausreden. Jeder hat, weil er konnte. Wer sich, sagen wir, einen hanebüchen hohen Mindestlohn wünscht, das Grundeinkommen für alle oder die Rente mit 59, mag das dann herbeivotieren. Er oder sie wird aber auch spüren, dass derlei Feelgood-Entscheide ökonomische Downsides haben. Das heißt, eine Kultur der Volksentscheide würde der Bevölkerung die Tendenz zur Vereinfachung abtrainieren – und zugleich das Gejammer über „die da oben“. Und das wäre wirklich ein Segen.

Übrigens auch für die Architektur. Das permanente Sich-Echauvieren über vermeintlich bürgerfeindliche Architekten, Baupolitiker oder Investoren wirkt blass, so lange der Echauffeur keine Alternativen parat haben muss. Im Falle eines plebiszitär erweiterten Diskurses über Bauprojekte müsste er das. Wer zum Beispiel eine Stadt ohne Hochbauten herbeivotiert, wählt damit eben auch ein anderes Idealbild von Stadt – und zwar eines mit begrenzter Möglichkeit zu baulicher Veränderung. Wer sich gegen eine neue Startbahn entscheidet, determiniert damit einen Flughafen auf seine momentane Größe. Wenn die Bewohner einer Stadt so noch ein paar Jahre lang ihren Status Quo verteidigen, werden sie merken, dass im Wettbewerb der Standorte der „Bitte kein Neubau“-Automatismus nicht zur Profilierung beiträgt. Sie wählten Stagnation – haben mit dem Volksentscheid aber auch ein Mittel, diese zu beenden.

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