15.07.2016

Portrait

Der ausgezehrte Designbegriff

Freunde: Fritz Frenkler und Dieter Rams

Dieter Rams ist nur nach München gekommen, weil er den Bau des Oskar-von-Miller-Forums schätzt. Ein Jahr hat es gedauert, bis er dazu bewegt werden konnte, (ein weiteres letztes Mal) vor Publikum zu sprechen – Thomas Herzogs Entwurf hat ihn überzeugt.

Das Vortragsformat hat sich geändert – der 84 Jahre alte Designpionier, der immer noch blendend aussieht, hält keine Reden mehr. Er beantwortet Fragen, die ihm sein Freund Fritz Frenkler (LT Industrial Design TUM) und das Publikum stellen. Seine zehn Thesen zum Design kennt man ja, vor allem das endlos diskutierte Zitat „gutes Design ist so wenig Design wie möglich“. Und so fiel Rams Statement gestern dazu aus: „Weniger Design konzentriert sich auf das Wesentliche, statt die Produkte zu überfrachten – so einfach ist das. Die Einfachheit ist der Schlüssel zur Exzellenz.“

 

Mehr in die Tiefe geht Rams seinen zehn Thesen im Allgemeinen, erklärt, warum er sie überhaupt verfasst hat: „Im Grunde habe ich mich gewehrt.“ Weil er seine Arbeit vom Einfluss des Marketings bedroht sah. „Die Bestimmung von Außen, dachte ich, könne man beeinflussen durch die zehn Thesen“. Rams wollte also den Leuten einen Zugang zum Thema Design verschaffen, die ihn vielleicht von seiner Freiheit abhalten würden. Sich vermarktungsstrategischen Einflüssen durch Inhalte vom Hals halten.

Im Industriedesign- und Architekturbereich ist es Dieter Rams über die Grenzen des Kontinents gelungen, seine Thesen zu positionieren. Sie sind Vorbild für Studenten, junge Designer – und auch Konzerne wie Apple. Dass der Begriff in der breiten Öffentlichkeit aber an Bedeutung verliert, lässt sich dadurch nicht aufhalten. Denn heute ist alles Design. Nagel-Design, Haar-Design, Gebäude-Design. Wenn alles Design ist – wie grenzt sich Industriedesign dann davon ab? Wie trennt sich die Nagel-Spreu vom Produkt-Weizen? Und auch in der Architektur ist das Alles-ist-Design-Prinzip ein Verlust, weil der deutsche Begriff Gestaltung damit verdrängt wird. Der im Gegensatz zum Englisch eine klare Grenze zwischen Objekt und Bau zieht. Das Design geht in der Masse des Designten unter. Auch ein Dieter Rams steht dem ratlos gegenüber. In seinen Worten saugt Design alles bis zur Unkenntlichkeit auf.

Weniger vorsichtig formuliert ist der Unterschied zwischen einem pinken Fingernagel und einem zeitlos gestalteten Braun-Wecker der vom „Schönmachen“ und von „Design“. Und am Schönmachen ist Dieter Rams nicht interessiert: „Ich hasse das Schönmachen. Ich habe noch nie etwas schön machen wollen“. Das heißt nicht, dass er kein Ästhet ist (oder etwas gegen Fingernägel hat). Sondern einfach nur, dass Rams seine Berufsgruppe als „Design-Ingenieure“ betrachtet, deren Aufgaben sich um Technologie und Materialinnovationen drehen – und nicht ums reine Aufhübschen. Und deswegen der Begriff nunmal nicht auf alles anwendbar ist.

Und auch mit der Autoindustrie rechnet Rams – mit einem Augenzwinkern – ab. Er berichtet von einem Jobangebot, das er ablehnte. Nicht, weil es kein gutes Angebot gewesen wäre, sondern weil er mit der Autoindustrie nichts anfangen kann. Autos seien nicht zeitlos, „weil es zu viele gibt“. Und das bedeutet wiederum, dass ständig neue entworfen würden. „Das war mir damals schon suspekt. Ich wüsste auch kein Auto zu nennen, das ich richtig gut finde.“ Ein Auge konnte er beim Kauf seines 911er aber zudrücken: „Der passt zu mir. Weil er sich über die Jahre gehalten hat – technologisch und im Design.“

So kritisch Dieter Rams ist, so nahbar gibt er sich aber auch. Unter uns, im kleinen Kreis von 200 Zuschauern, sinniert er: „Habe ich das, was ich gemacht habe, gut gemacht?“

Alles nur geklaut?

Trotzdem klingt es nicht so, als würde Dieter Rams in seiner beruflichen Laufbahn etwas bereuen – was sollte er auch. 29 Jahre alt war er, als er bei Braun zum Chefdesigner aufstieg. Er blieb vier Jahrzehnte.

Und obwohl sich die Braun-Produkte ihr zeitloses Erscheinungsbild bewahrt haben, denkt man bei designerischen Kriterien wie „benutzerfreundlich“ und „puristisch“ heute an das Unternehmen Apple – für das Rams nie gearbeitet hat. Alles also nur geklaut? Apple ist gleich eine Rams-Schrägstrich-Braun-Kopie? Nein, findet Rams. Er glaubt, dass die Unternehmen Braun und Apple solche gut durchdachten und letztlich erfolgreiche Produkte auf den Markt bringen konnten, weil bei beiden Unternehmen der Teamgeist gestimmt habe: Rams und die Brüder Braun und Jonathan Ive und Steve Jobs als Dreamteams im Produktdesign. Dabei ging es nicht nur um eine Freundschaft unter den Chefdesignern und der Unternehmensführungen – sondern auch um eine direkte Absprache ohne zwischengeschaltete Hierarchien. Dieter Rams 11. These könnte also lauten: Gute Ergebnisse entstehen in gut funktionierenden Teams.

Foto: Technische Universität München

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