Für architekturbegeisterte Bergfreunde steht ein Besuch der Monte-Rosa-Hütte bei Zermatt ganz oben auf der Liste. Inzwischen wurde auch ein neuer Zustieg über den Gletscher angelegt.
Um es gleich vorweg zu sagen: Noch immer ist es wegen der längeren Gletscherpassage ratsam, Steigeisen und Seil, am allerbesten auch einen Bergführer mitzunehmen. Doch kein Vergleich zum alten Hüttenweg, der trotz Leitern und Ketten wegen des abschmelzenden Gornergletschers immer schwieriger wurde und zudem ständig repariert werden musste. Dagegen führt der neue „Panoramaweg“ heute mit herrlichem Ausblick viel weiter oben über die Bergflanken. Er ist gut markiert und da gesichert, wo’s brenzlig wird.
Wie viele Bergunterkünfte hat auch die Monte-Rosa-Hütte eine über hundertjährige Geschichte. Früher unter dem Namen Bétemps-Hütte bekannt und an tieferer Stelle gelegen, war das alte Steinhaus von 1895 mehrfach umgebaut worden. Anlass für einen Neubau gab unter anderem die 150-Jahr-Feier der ETH Zürich, die dieses Vorhaben als eines von 50 Jubiläumsprojekten auswählte. So ist die neue Hütte heute ein Werk des 21. Jahrhunderts: fünfgeschossig, auf unregelmäßig achteckigem Sockel errichtet, wurde sie vom ETH-Studio Monte Rosa und Bearth & Deplazes Architekten 2009 fertiggestellt. Innerhalb von sechs Jahren haben die Leute von ETH und dem Schweizer Alpen-Club gemeinsam das Konzept aufgestellt. Ziel war es, neue Technologien in Entwurf, Berechnung und Fertigung im Hochgebirge zu testen. Etwa die Energie- und Gebäudetechnik ist darauf ausgelegt, möglichst autark zu funktionieren: mit Belüftungsanlage und WärmerückgewinnungWärmerückgewinnung: Wärmerückgewinnung ist eine Technologie, die Abwärme aus verschiedenen Prozessen erfasst und diese Energie zur Heizung oder zum Warmwasserbereitung wiederverwendet., Wassertank und Minikläranlage zur Reinigung der Abwässer sowie PhotovoltaikPhotovoltaik: Die Photovoltaik bezeichnet die Umwandlung von Sonnenenergie in elektrische Energie durch Solarzellen. In der Architektur kann Photovoltaik zur Stromversorgung von Gebäuden genutzt werden. für den Strom; Wärme liefern SolarkollektorenSolarkollektoren: Vorrichtungen, die Sonnenenergie aufnehmen und in Wärme oder Strom umwandeln., dazu gibt es ein mit Rapsöl betriebenes Miniblockheizkraftwerk für schlechtes Wetter.
Jedoch vor allem wegen des architektonischen Entwurfs in Form eines Bergkristalls ist das Gebäude sehenswert. Um die CO2-Bilanz beim Bauen in Grenzen zu halten, entschied man sich hauptsächlich für die leichteren Baumaterialien HolzHolz: Ein natürlicher Werkstoff, der zur Herstellung von Schalungen und Gerüsten genutzt werden kann. Es wird oft für Bauvorhaben im Bereich des Holzbaus verwendet. und AluminiumAluminium: Aluminium ist ein leichtes, strapazierfähiges Metall, das in der Bauphysik oft für seine Wärmedämmungseigenschaften und Langlebigkeit verwendet wird., da alles mit dem Hubschrauber angeliefert werden musste. Die Primärkonstruktion besteht aus vorgefertigten, raumseitig offenen Rahmenbauelementen, während die Hülle mit 35 Zentimetern Mineralfaser gedämmt und mit einer hinterlüfteten Aluminiumstehfalzdeckung versehen wurde.
Die Übernachtung ist trotz Stockbetten im Vergleich zu manch anderer Hütte komfortabel: Es gibt neue, weiche Matratzen, Warmduschen mit Münzbetrieb und Toiletten innerhalb des Hauses sowie eine DreifachverglasungDreifachverglasung: Dieses Fachmagazin beschäftigt sich mit der Wärmeisolierung von Gebäuden durch den Einsatz von Dreifachverglasung anstelle von herkömmlichen Fensterkonstruktionen. Es untersucht die Vorteile und Nachteile dieser Technologie und ihre Auswirkungen auf die Energieeffizienz von Gebäuden., so dass man dicht mit der Nase an der Scheibe den Blick auf Gornergletscher und Matterhorn in der Ferne genießen kann, ohne zu frieren. Das markante Fensterband, das sich um die FassadeFassade: Die äußere Hülle eines Gebäudes, die als Witterungsschutz dient und das Erscheinungsbild des Gebäudes prägt. wickelt, belichtet die vieleckige Stube und den Treppenaufgang zu den Schlafplätzen. Gut sichtbar bleibt die Konstruktion vor allem in der Stube: Hier beruhigen die dicken Holzfachwerkträger die Gäste doch sehr, wenn draußen ein Unwetter aufzieht und der Wind gehörig um die Ecken pfeift. Nicht nur die Konstruktionsteile, auch die hölzernen Tische und Bänke sind genau mit CNC-gefertigten Bauteilen eingepasst worden, ebenso wie die Stockbetten und Ablagen in den Schlafräumen. Das sparte Geld, denn die Zeitfenster für gutes Wetter zwischen Mai und September 2009 mussten optimal ausgenutzt werden.
Die Planung der Hütte auf 2.883 Metern haben 33 Studenten mehrerer Semester des Departements Architektur an der ETH Zürich über sechs Jahre begleitet – und sicherlich eine Menge über Konstruktion, Hülle und Versorgung im Extremfall gelernt.
Den Artikel über die Monte-Rosa-Hütte bei Zermatt finden Sie in unserer aktuellen Baumeister-Ausgabe 02/2019.