17.01.2023

Öffentlich

Tunesischer Pavillon in Paris

Kultur
Pavillon de la Tunisie. Bild: 11h45

Ein tunesischer Pavillon im Bois de Vincennes ist eine Hinterlassenschaft der Pariser Kolonialschau von 1907. Nun wurde das koloniale Erbstück für eine Institution umgebaut, die sich der Entwicklungsarbeit widmet.

Kolonial- und Völkerschauen waren eine typische Erscheinung des europäischen Imperialismus. Es wurden dort Artefakte, Architektur und Erzeugnisse zumeist aus den jeweiligen Kolonialgebieten eines europäischen Staates gezeigt. Nicht selten führten dort Angehörige von kolonialisierten Ethnien ausschnitthaft die eigene Kultur in Inszenierungen für das Publikum vor. Diese Art von Zurschaustellung erscheint uns heute gleichermaßen fremd wie anstößig, erfreute sich aber in der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg stattdessen hoher Beliebtheit.

1907 veranstaltete die Société Française de Colonisation eine solche Kolonialausstellung im Bois de Vincennes in Paris, darunter auch ein tunesischer Pavillon. Die Gesellschaft hatte dort bereits 1899 den „Garten der tropischen Landwirtschaft“ gegründet. Nun sollte Ausstellung sollte dem Publikum die Vielfalt der französischen Kolonien nahebringen. Pavillons und „Dörfer“ waren den bedeutendsten Kolonialgebieten gewidmet und ahmten deren Architektur nach. Angeworbene Darsteller aus den jeweiligen Ländern „belebten“ die Szenerie.

Weißes bungalowartiges Gebäude im Kolonialstil, umgeben von Bäumen.
Foto: 11h45

Tunesischer Pavillon: Erwacht aus dem Dornröschenschlaf

Nach dem Ende der Ausstellung kehrte noch einmal Leben in die Pavillons ein. Während des Ersten Weltkriegs dienten die Gebäude als Lazarett für die französischen Soldaten aus den Kolonien. Ein Ehrenmal erinnert sogar noch im Garten an die Gefallenen aus dem französischen Kolonialreich. Nach der Schließung des Lazaretts sank der Garten allmählich in einen Dornröschenschlaf. Die für die Kolonieausstellung errichteten Gebäude verfielen währenddessen Stück für Stück.

2003 übernahm die Stadt Paris das Gelände vom französischen Staat und machte den tunesischen Pavillon wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Anders als bei der ungleich größeren Kolonialausstellung, die 1931 auf der anderen Seite des Bois de Vincennes stattfand, sind die meisten Pavillons bis heute erhalten. Sie sind ein bemerkenswertes Zeugnis des europäischen Kolonialismus. Nun hat das Architekturbüro Atelier Aconcept aus Évry-Courcouronnes den tunesischen Pavillon der Kolonialausstellung 1907 wiederhergestellt und erweitert.

Foto: 11h45

Glasfuge zwischen alt und neu

Der tunesische Pavillon besteht aus einem ursprünglichen Mittelbau über einem quadratischen Grundriss. An jeder seiner vier Seiten schließt sich je ein Flügelbau an. Hierbei handelt es sich um drei längsrechteckige Flügel und einen kurzen Anbau. Letzterer besitzt weniger als die Hälfte der Grundfläche der drei übrigen Annexe. Er wurde nun im Zuge der Baumaßnahmen auf die Ausmaße der drei großen Flügel erweitert.

Der nun wieder strahlend weiße Bau ist ein Hybrid aus europäischer Ausstellungsarchitektur und tunesischen Versatzstücken. Neben den ornamentierten Fliesen, die auf die Fassade appliziert sind, verweist vor allem die kleine, durchfensterte Kuppel, die den Mittelbau bekrönt, auf die islamische Architekturtradition. Die hinzugekommene Erweiterung setzt Atelier Aconcept gestalterisch dagegen deutlich ab. Zwischen Bestand und Anbau schaffen sie eine Glasfuge. Am Anbau selbst verschattet indessen ein Holzspalier die großen Fensteröffnungen.

 

Fenster mit weißen Gitterstäben im Tunesischen Pavillon.
Fotos: 11h45
Moderne Holzverkleidung vor Fenster.
Blick in die Kuppel

Restaurant unter der Kuppel des Pavillons

Im Innern beherbergt der Pavillon ein neues Restaurant und Büros sowie einen Mehrzweckraum nebst den notwendigen Nebenräumen. Genutzt wird der tunesische Pavillon nun vom „Internationalen Zentrum für Agrarforschung zur Entwicklungszusammenarbeit“ das sich neben dem Garten der tropischen Landwirtschaft befindet. Diese 1984 ins Leben gerufene Institution will den Austausch in Landwirtschaftsfragen mit dem globalen Süden ohne die Vorzeichen des Kolonialismus fortsetzen.

Zeichnungen: Atelier Aconcept

Ebenfalls in hellem Ton gehalten und in Paris: Architekt Jean-Christophe Quinton hat ein Wohnhaus mit einer aufwendig gestalteten Sandsteinfassade errichtet. Mehr zu diesen Sozialwohnungen der Stadt Paris hier.

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