Der Ruf von Architekten hat in den letzten Jahren stark gelitten. Die Baukosten und die Bauzeit werden weit überschritten? Architekten können oder wollen es eben nicht besser – so oder ähnlich beschwört es inzwischen die öffentliche Meinung. Allabendliche Scripted-Reality-Sendungen zeigen zerstörte Einfamilienhaus-Träume – ein korrupter Architekt hat wieder zugeschlagen. Aber auch in “seriösen” Medien geht seit etlichen Jahren ein Schreckgespenst um: das Großprojekt.
Höhenwahn
Die Eröffnung der Elbphilharmonie von HdM markiert den lang ersehnten Endpunkt für eines der vielen desaströsen Großprojekte in Deutschland. Neben Hamburg sind auch Stuttgart und Berlin seit Jahren für ihre baulichen Alpträume bis über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Gegenseitige Schuldzuweisungen, sich überschlagende Negativschlagzeilen, Gerichtsprozesse – eine dunkle Wolke verhindert einen ernsthaften Diskurs über Architektur. Nicht erst seit Trump und der AfD wirken solche Katastrophen schnell meinungsbildend für die gesamte Baubranche. Die vielen positiven Beispiele dagegen werden nahezu still und leise geplant, gebaut und eröffnet.
Vor einigen Wochen stellte mein Büro beim Architekturpreis Berlin e.V. die bereits im Bauantrag befindliche Planung für ein Hochhaus am Alexanderplatz vor. Der ABC-Tower (Alexander – Berlins Capital Tower) geht auf einen vor Jahren gewonnen Wettbewerb und später erfolgten Direktauftrag zurück. Besonders daran ist nicht nur die bauliche Nähe zum Alexanderplatz. Der Turm wird ebenso Berlins höchstes Wohnhaus und legt mit insgesamt 475 Wohnungen den Fokus auf kleine Apartments. Im Gegensatz zum verdrehten Hochhaus von Frank Gehry war ein öffentlicher Aufschrei über die Planung von O&O Baukunst nicht vernehmbar. Ruhig und behutsam ging die Planung in den letzten Jahren voran. Die Diskussion mit der Öffentlichkeit wurde keineswegs gescheut. Fehlende Negativschlagzeilen und eine Architektur, die wesentlich stärker auf den örtlichen Kontext wie die Bauten von Peter Behrens eingeht, erzeugen jedoch weniger Gegenwind. Eine positive Ausnahme im sonstigen Trubel um fast jedes neue Hochhaus in Berlin.
Ruhe im Sturm
Andere Projekte solchen Maßstabs von O&O Baukunst sind aktuell die Planung für das Gleisdreieck in Berlin und zwei Konzernzentralen in Stuttgart. Meine größte Begeisterung weckt dabei immer wieder die pragmatische Ruhe, mit welcher derartige Projekte bei uns im Büro geplant und umgesetzt werden. Seit Beginn meines Praktikums unterstütze ich das Planungsteam rund um den neuen Campus für W&W in Ludwigsburg. In diesen wenigen Wochen gab es etliche Überraschungen, die den Planungsprozess beeinflussten und Teile des Entwurfs auch bedrohten.
Auch wenn das meist üblich für ein Projekt mit fast 5000 Arbeitsplätzen sein dürfte, überrascht mich doch immer die Ruhe im Umgang mit den Problemen. Ein robuster Entwurf und eine entspannte Atmosphäre im erfahrenen Team sind offensichtlich durch nichts zu ersetzen. Umso tiefer man in die Grundrissplanung und die Konstruktion einsteigt, umso mehr zeigt sich, wie viele Gedanken in den ursprünglichen Entwurf eingegangen sind. Es wird schnell deutlich, ob das Konzept ein pseudoinnovativer Schnellschuss war. Eine robustes Konzept, wie das der Konzernzentrale in Ludwigsburg, schließt etliche grundlegende Überlegungen frühzeitig mit ein. Ein Gleichgewicht aus innovativer Kraft und jahrelanger Erfahrung bleiben hier von unabdingbarer Bedeutung. Und auch der Planungsprozess folgt dieser Prämisse. Besonders als Praktikant kann ich in diesem Umfeld am meisten profitieren.
Erkenntnisgewinn
Ich hatte mich zu Beginn des Praktikums entschieden, nicht direkt in die Wettbewerbsabteilung einsteigen zu wollen. Ich habe früher bereits an Wettbewerben gearbeitet. Jedoch sind diese am nächsten mit dem verwandt, was im akademischen Alltag bereits gelehrt wird. Daher wollte ich mehr darüber lernen, was danach passiert. Wie lange übersteht ein Wettbewerbskonzept weitere Planungen? Wo beginnt es zu haken, was hätte man besser machen können? Das praktische Wissen über die meisten Planungsphasen nach dem Wettbewerb lernt man kaum in der Universität. Ein Erkenntnisgewinn geht selten über die Theorie hinaus. Das Arbeiten in späteren Projektphasen dagegen gibt immer wieder Rückschlüsse auf den Wettbewerb und die Zielgenauigkeit des Entwurfs. Auch wenn es weniger die klassischen Praktikantenaufgaben sind, sollte sich jeder werdende Architekt bereits im Studium damit auseinandersetzen.
Die Baumeister Academy wird unterstützt von GRAPHISOFT, der BAU 2017 und der Schöck Bauteile GmbH.