22.02.2022

Architektur Gewerbe

„Stam Europa“ von 51N4E

Fassadenansicht des Gebäudes

51N4E_Stam Europa_1_© Sepideh Farvardin.jpg

„Stam Europa“ heißt ein spannendes Umnutzungsprojekt im Brüsseler Europaviertel. Inmitten der EU-Institutionen entstehen in einem zuvor leerstehenden Bürogebäude Popup-Kultur- und Dienstleistungsangebote. Den Plan zum Umbau lieferte das Büro 51N4E.

 

Außenraum, Stam Europa von 51N4E, Foto: Sepideh Farvardin
Details im Außenraum, Stam Europa von 51N4E, Foto: Sepideh Farvardin

 

Bürgernähe ist gewiss nicht der erste Begriff, der einem im Zusammenhang mit den europäischen Institutionen einfällt. Im Gegenteil: Die Brüsseler Bürokratie gilt vielen als Inbegriff von Abgehobenheit. Im Kleinen ändern will das ein neues Projekt namens „Stam Europa“, das gerade seine Pforten im Brüsseler Europaviertel geöffnet hat. Sein Ziel ist es, Anwohner und die EU-Behörden in der Nachbarschaft miteinander in Kontakt zu bringen. Das „Mittel“ dafür stellt ein leerstehendes Bürogebäude dar. Es soll im Laufe der nächsten Zeit Etage für Etage wiederbelebt und von temporären Nutzungen bezogen werden. Das können Künstlerateliers genauso sein, wie Essens-Lieferdienste oder eine Fahrradwerkstatt. Wichtig ist vorrangig, die Monokultur der Bürokomplexe zu durchbrechen, Dienstleistungen mit Kulturangeboten zu verbinden, und zugleich einen Ort der Begegnung zu schaffen.

In einem ersten Schritt konnte „Stam Europa“ nun das Erdgeschoss des seit 15 Jahren ungenutzten Bürobaus beziehen. Die Planung für die Umnutzung lieferte das Brüsseler Architekturbüro 51N4E. Die Architektinnen und Architekten, die sich selbst als Kollektiv verstehen, erregten 2008 Aufsehen, als sie den Wettbewerb zur Umgestaltung des Skanderbeg-Platzes in Tirana gewannen. Nach einer komplizierten zehnjährigen Bauzeit sind die Arbeiten am zentralen Platz der albanischen Hauptstadt inzwischen abgeschlossen.

 

Innenraum, Stam Europa von 51N4E, Foto: Sepideh Farvardin
Innenraum, Stam Europa von 51N4E, Foto: Sepideh Farvardin
Innenraum, Stam Europa von 51N4E, Foto: Sepideh Farvardin
Innenraum, Stam Europa von 51N4E, Foto: Sepideh Farvardin

Wiederverwertung steht bei Stam Europa im Zentrum

 

In der Rue d’Arlon, nur einen Steinwurf entfernt vom ikonischen Berlaymont-Gebäude, haben die Arbeiten für „Stam Europa“ dagegen erst begonnen. Weil aus Sicherheitsgründen die Arkade im Erdgeschoss des alten Bürogebäudes zugemauert worden war, musste die Etage erst einmal wieder von der Straße erschlossen werden. 51N4E entschied sich dafür, nicht das gesamte Mauerwerk zwischen den Arkadenpfeilern zu entfernen, sondern lediglich in der Mitte einen neuen Zugang zu schaffen. In den anderen Abschnitten wurde die Vermauerung nur oberhalb der Brusthöhe bogenförmig ausgesägt. Dadurch entstand eine Art umgekehrter Bogengang.

In den Arkaden selbst schufen die Architektinnen und Architekten einen Wald aus Pflanzen, die aus dem ehemaligen CCN-Gebäude in Brüssel stammen. Überhaupt spielt Wiederverwertung bei dem Projekt „Stam Europa“ eine zentrale Rolle. So bestehen die Tischplatten im Hauptraum des Erdgeschosses aus dem Marmor der abgenommenen Wandverkleidung. Die Theke besteht dagegen aus alten Betonschalungen. Das Heizungssystem bilden Luftwärmepumpen, die aus zum Abriss bestimmten Bürobauten stammen. Viele Elemente, die die Architektinnen und Architekten verwenden, um Raumgrenzen zu markieren, sind informell und wirken provisorisch. Ein großer Bühnenvorhang etwa, der den vorderen Bereich des Erdgeschosses von der Thekenzone trennt. Der Sitzbereich wird dadurch hervorgehoben, dass dort der alte Fußbodenbelag erhalten wurde, während auf der restlichen Fläche der nackte Estrich sichtbar ist.

 

Innenraum, Stam Europa von 51N4E, Foto: Sepideh Farvardin
Vorhangdetail im Innenraum, Stam Europa von 51N4E, Foto: Sepideh Farvardin

Räume zur Selbstaneignung

 

All das soll die Flexibilität und Veränderbarkeit der Nutzung anzeigen. In den Räumen von „Stam Europa“ werden sehr unterschiedliche Akteure ihren Platz finden, von denen alle die Chance haben sollen, sich den Raum in unterschiedlicher Weise selbst anzueignen. Darum spielen die Architektinnen und Architekten mit verbindenden und trennenden Elementen. So schaffen 51N4E spannende sowohl/als auch-Raumsituationen und formulieren eine Position gegen Festlegung und Eindeutigkeit. Es wird in den kommenden Jahren interessant zu beobachten sein, wie die Architektinnen und Architekten diese Haltung in den weiteren Stockwerken von Stam Europa interpretieren werden.

 

Grundriss Stam Europa, © 51N4E
Schnitt Stam Europa, © 51N4E
Axonometrie Stam Europa, © 51N4E

 

Ein weiteres aufregendes Architekturprojekt – nur einige hundert Meter vom Stam Europa entfernt:  Die Passserelle „Tondo“  von Office Kersten Geers David Van Severen verbindet das Belgische Parlament mit einem Nachbargebäude.

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