05.10.2015

Öffentlich

Shakespeare-Theater in Danzig

Die frei zugängliche Plattform befindet sich 12 Meter über Straßenniveau und bietet somit die beste Aussicht auf die geöffneten Dachflügel und hinunter in den Innenraum.

Die frei zugängliche Plattform befindet sich 12 Meter über Straßenniveau und bietet somit die beste Aussicht auf die geöffneten Dachflügel und hinunter in den Innenraum.

Ein Shakespeare-Theater in Danzig? Was im ersten Moment kurios anmuten mag, hat durchaus seine Plausibilität – und eine lange Vorgeschichte, auf die der Neubau eines italienischen Architekten in baulich ungewöhnlicher Art verweist.

Theater und Danziger Zentrum
Die frei zugängliche Plattform befindet sich 12 Meter über Straßenniveau und bietet somit die beste Aussicht auf die geöffneten Dachflügel und hinunter in den Innenraum.
Flexibles Theaterhaus.
Ziegelschlucht. Ein schmaler Gang verläuft zwischen Umfassungsmauer und Theaterbau.
Der geöffnete Theatersaal.
Der geschlossene Theatersaal.
Blick auf das Proszenium.
Das einladende Theaterfoyer. Die repräsentative Haupttreppe führt hinauf zu den Rängen.
Die mächtigen Strebepfeiler sind nicht nur Deko, sondern fungieren als Widerlager für den Dachmechanismus.
Ansicht des Öffnungsmechanismus
Querschnitt mit geöffnetem und geschlossenem Dach
Längsschnitt
EG

Es bedurfte der Forschungsarbeiten eines Professors für englische Literatur an der Danziger Universität, um die englischen Wurzeln der facettenreichen Theaterhistorie Danzigs freizulegen und dabei auch auf Spuren des Van-den-Blocke-Baus zu stoßen: Bei Archivstudien in London entdeckte Jerzy Limon einen Stich von Peter Willer aus dem Jahr 1650, der unter anderem die längst vergessene Neue Fechtschule zeigt.

Schon lange, bevor archäologische Grabungen deren Relikte ans Tageslicht brachten, gründete Limon 1991 die Stiftung Theatrum Gedanese und gewann unter anderem den Prince of Wales als Förderer. Ziel der Stiftung war es, die Tradition englischsprachigen Theaters in Danzig wiederzubeleben; dies gelang bereits 1993, und seit 1997 auch im Rahmen eines jährlichen Shakespeare-Festivals. Nun konnte am alten Standort wieder ein den Werken Shakespeares gewidmetes Theater errichtet werden. Ein zu diesem Zweck ausgelobter Wettbewerb, an dem sich Architekten aus 17 Ländern beteiligten, endete im Januar 2005 mit dem Sieg des Venezianers Renato Rizzi. Dessen kühner Entwurf konnte ab März 2011 umgesetzt werden – für umgerechnet rund 25 Millionen Euro. Im September 2014 wurde der Neubau des „Gdanski Teatr Szekspirowski“ eröffnet, der sich im ersten Jahr bereits bei rund 150 Veranstaltungen bewährt hat.

Eine originalgetreue Kopie der Neuen Fechtschule hatte Renato Rizzi nicht im Sinn. Zwar griff er Motive der Stadt und auch die Tradition des Elisabethanischen Theaters auf, doch gelang es ihm, dem Gebäude einen ganz eigenen, zeitgenössischen Ausdruck zu verleihen. Mit seinen massiven Wänden aus dunkelbraunen belgischen Handformziegeln im historischen Waalformat (21 x 10 x 5 cm) und mit den strebepfeilerartigen Wandvorlagen erinnert der Neubau von außen sowohl an eine Stadtbefestigung – vis-à-vis eines rund 200 Meter langen Abschnitts der ehemaligen Stadtmauer einerseits und einer mehrspurigen Hochstraße aus den 1960er Jahren andererseits – als auch an die 14 gotischen Kirchen Danzigs. Gleich mehrere Wandschichten umschließen abwechslungsreiche Zwischenräume: Sie können als Open-Air-Bühnen und als Café-Terrasse genutzt werden oder führen als schmale Passagen an den Längsseiten zum begeh- und ebenfalls bespielbaren Dach des niedrigen Verwaltungstrakts. Hier hat auch Theaterdirektor Jerzy Limon sein Büro.

Flexibles Theaterhaus

Der 18 Meter hohe Bühnenturm bildet die Schauwand des tagsüber öffentlich zugänglichen Platzes in sechs Metern Höhe mit Ausblick auf die Altstadt. Er ist zugleich Rückgrat des 12 Meter hohen Theaterraums. Diesen hat der Architekt wie eine Schatztruhe im Zentrum des Bauwerks „versenkt“. Rizzi hat ihn als hybriden Raum konzipiert: Die „Keimzelle“ ist ein quadratischer Raum mit dreigeschossigen Zuschauergalerien an drei Seiten nach dem Vorbild (und sogar mit dem gleichen, archäologisch verbürgten Achsmaß von 2,80 Metern) der Neuen Fechtschule; diese hatte sich ihrerseits auf das ebenfalls quadratische „Fortune Playhouse“ in London (1600 bis 1649) bezogen.

Mehr dazu finden Sie im Baumeister 10/2015

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