24.09.2015

Wohnen

Protest oder Event?

Spiel und Spaß in Giesing

Der Zwischenraum ist eine der vielseitigsten räumlichen Modelle in der Architektur. Er ist ein Ort des Übergangs, der in einen Dialog mit anderen Räumen tritt. Übertragen auf die Architekturkritik kann er als Diskursraum oder auch als Optionsgebiet verstanden werden. Es sind Überlegungen wie diese, die mich dazu gebracht haben, meine Kolumne “Zwischenraum” zu nennen. Ich werde aktuellen Themen in der Architektur nachgehen und grundlegende Fragen behandeln. Das wird sicher auch mal theoretisch werden, aber – hoffentlich – nie langweilig. Es geht los mit den Shabbyshabby-Apartments in München:

„Gut, dass wir darüber gesprochen haben“, sagt ein Psychiater zum anderen. So lässt sich der Zustand der gegenwärtigen Protestkultur in Deutschland oft zusammenfassen. Wer nach dem tieferen Sinn der ein oder anderen Veranstaltung fragt, bekommt meist die Antwort: „Wir wollen den Diskurs anregen.“

Damit so ein Diskurs in einem für den Teilnehmer halbwegs erträglichen Rahmen stattfindet, wird das Ganze als partizipatives Event inszeniert. Über die sozialen Medien wird zum Mitmachen animiert, der Bürger fühlt sich beteiligt – und vor allem gut unterhalten.

 

Ein Beispiel: die „Shabbyshabby-Apartments“, die von Benjamin Förster-Baldenius vom Berliner Raumlabor unter Mithilfe von Matthias Lilienthal, dem neuen Intendanten der Münchner Kammerspiele, ins Leben gerufen wurden. Dort wird der Protest an Münchens Gentrifizierung in ein lustiges Mitmachspiel verpackt. Der Bürger wird dazu aufgerufen ein sogenanntes Shabbyshabby-Apartment zu entwerfen, eine Art Ein-Mann-Unterkunft, die temporär in München aufgestellt wird. Für 35 Euro die Nacht kann man seit Mitte September in der von Studenten zusammengebastelten Bude übernachten und spannende Dinge erleben.

 

Das Ganze bedient nicht nur den Wunsch des modernen Menschen nach kreativer Selbsterfüllung, der Prozess der gemeinsamen Gestaltung soll auch unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zusammenbringen. Deshalb darf auch jeder mitmachen, vom Schüler bis zum Architekten. Gesellschaftliche Partizipation wird zum sozialen Spaß-Event.

 

Das Ziel der Veranstaltung ist im Übrigen: ja genau, den Diskurs anregen. Aber handelt es sich hier wirklich um ein verdrängtes gesellschaftliches Problem? Werden hier soziale Fehlstellungen aufgedeckt, die mutig ins gleißende Licht der medialen Öffentlichkeit gezerrt werden? Wohl kaum.

Jeder der in München wohnt, ist sich der Wohn-Problematik bewusst. Wer nach München zieht, bekommt sie innerhalb kürzester Zeit in aller Härte zu spüren. Das Thema ist ein Dauerbrenner in den Medien, egal ob Süddeutsche oder TZ. Wer in München in ein Restaurant oder in eine Kneipe geht, wird nach spätestens fünf Minuten feststellen, das sich die Tischnachbarn über ein Thema unterhalten: die Wohnungsnot.

 

Er wird also schon geführt, der Diskurs. Damit stellt sich natürlich die Frage nach dem Sinn einer solchen Veranstaltung. Der eigentliche Skandal wird bei den „Shabbyshabby Apartments“ auch gar nicht thematisiert: die Tatenlosigkeit der Politik, die seit Jahrzehnten anscheinend hilflos dabei zuschaut, wie sich ihre Stadt in ein riesiges Event-Museum für Spitzenverdiener verwandelt und zum Anlageobjekt wird.

 

Vermutlich ist das Ganze aufgrund seiner Komplexität nicht Event-tauglich. Einfache Botschaften sind nun mal einfacher zu vermitteln. Und genau da kommen die beiden anfangs erwähnten Psychiater ins Spiel. Es reicht ja schon ein bisschen unverfänglich darüber zu diskutieren. Dann haben alle Beteiligten ein gutes Gewissen – und ändern wird sich so schnell auch nichts.
Unterstützt werden die „Shabbyshabby Apartments“ im Übrigen von der Stadt München, die mit einer solchen Aktion zeigen kann, wie selbstkritisch sie ist. Dass diese Selbstkritik aufgrund ihrer Unschärfe nicht wirklich wehtut, dürfte da wohl ganz willkommen sein.

Vielleicht wäre es auch schon mit etwas mehr Ehrlichkeit aller Beteiligten getan – auch wenn die meistens wenig unterhaltsam daherkommt. Dafür würde sich vielleicht mal etwas ändern.

Scroll to Top