02.03.2023

Kolumnen

Radikalisierter Nachwuchs

Nachwuchs
Wo radikalisiert sich eigentlich der Architekturnachwuchs? Ramona Kraxner über Radikalität, die nicht schlecht sein muss. Zur Kolumne. Foto: Luther.M.E. Bottrill / Unsplash
Radikalität muss nicht schlecht sein. Foto: Luther.M.E. Bottrill / Unsplash

Wo radikalisiert sich eigentlich der Architekturnachwuchs? Ramona Kraxner über Radikalität – die garnicht unbedingt etwas schlechtes sein muss.

Beim Wort „radikal“ denkt man sofort an religiösen Extremismus oder Klimademonstrierende. Und spricht diese skurrile Kombination nicht schon deutlich genug von der Absurdität der Situation an sich, frage ich mich aus gegebenem Anlass, wo sich eigentlich der Architekturnachwuchs radikalisiert. Dieser Anlass ist das aktuelle Baumeister-Heft über junge Architekturschaffende. Was mich besonders nachdenklich gemacht hat, ist, dass sich die Jungen nicht als radikal betitelt wissen wollen. Radikal, das war früher eine Art Ehrenabzeichen. Radikal waren Vordenkende, Utopistinnen und Utopisten, die Avantgarde. Radikal, das galt als eine Art Identitätszuweisung. Man handelte nicht radikal, sondern radikal war man als ganzer Mensch. Radikal war innere Überzeugung, man sah sich zur Radikalität förmlich gezwungen. Denn man hatte eine Vision. Für die musste man radikal sein, es ging nicht anders.

„Der Nachwuchs strebt mit allen Mitteln bloß nach Anerkennung von den „Großen“, anstatt das System als Ganzes mit seinen Werten und Überzeugungen zu hinterfragen.“

 

Radikal, das gilt heute als verpönt. Radikal ist man heute, wenn man zu wenig nachgedacht hat, bevor man seine radikale Meinung in den Äther schreit. Radikal wird zunehmend öffentlich diffamiert. So wandelt sich zwar die Bedeutungszuschreibung, aber die traurige manifeste Leere, die hinter diesem Wort steht, an den Universitäten, bleibt dieselbe. Der Nachwuchs strebt mit allen Mitteln bloß nach Anerkennung von den „Großen“, anstatt das System als Ganzes mit seinen Werten und Überzeugungen zu hinterfragen. Selbst radikale Ansätze wollen partout nicht als solche verstanden werden. Wieso? Wohin sind die radikalen Jungen verschwunden? Warum gibt es sie nicht mehr? Böse Zungen behaupten, dass dies die ersten Generationen sind, die ihre Eltern nicht schockieren.

Hingegen finden man sich selbst plötzlich in der absurden Situation wieder, zu hoffen, Ausschau zu halten, ja direkt zu suchen — nach Radikalität. Denn man selbst fühlt sich vielleicht schon zu alt dafür. Es ist schwer, radikal zu sein, wenn man sich bereits im Establishment befindet. Diese Position in unserer Gesellschaft mussten seit jeher die Jungen übernehmen, denn sie wurden noch nicht durch die Mangel gedreht, um am Ende als konforme Werkstücke aus der (Aus-)Bildungs-Maschine hinausgeworfen zu werden in die Welt. Was nun, wenn die Jugend sich nicht mehr radikalisiert?

Hinweise auf radikale junge Architekturschaffende und Feedback zur aktuellen Ausgabe B3 gerne an r.kraxner@georg-media.de!

Apropos junge Jahre von Architekturschaffenden: Kolumnistin Ramona Kraxner beschäftigte sich auch mit dem, was wir bisher über Architekturgeschichte gelernt und gelehrt – und ob dies falsch war. Zur Kolumne „Framing“.

Übrigens: Ebenso unsere G+L-Kollegen haben sich in ihrer Januar-Ausgabe „Nachwuchs“ mit der Frage beschäftigt, wie die nächste Generation von Landschaftsarchitekt*innen künftig arbeiten will.

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