29.11.2015

Öffentlich

NOlympia oder das Ende der Event-Gesellschaft

Alexander Gutzmer

Hamburg will die Olympischen Spiele nicht. Wie zuvor schon München und Garmisch, haben auch die Elbbewohner dem Mega-Event eine Absage erteilt. Das Verfahren war demokratisch, prozessual nicht zu kritisieren. Aber es lohnt, darüber nachzudenken, was für eine Haltung hinter der Absage steht.

Einen Stimmungswandel in der Stadt will Florian Kasiske, Sprecher der Initiative NOlympia, bemerkt haben. „Die Menschen sehen, dass es Sachen gibt, wo das Geld besser angelegt ist“, sagt er. Das Argument geht natürlich immer, ist aber letztlich banal. Es liegt auf dem Niveau des Lokalzeitungsredakteurs, der Großinvestitionen immer mit Kindergartenplätzen aufrechnet. „Sie sind doch nicht gegen Kinder“, so die suggestive (oder auch nur angedeutete) Schlussfolgerung. Ist man nicht – also Diskussion zu Ende?

Ist sie natürlich nicht. Denn eine Olympia-Bewerbung ist nicht so sehr ein Konsum-, sondern immer auch ein Infrastrukturprogramm. So hatte auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz die Kampagne pro Olympia gesehen. Die Stadtentwicklung sollte bis 2024 auf einen Stand gebracht werden, der normalerweise 20 bis 30 Jahre in Anspruch genommen hätte. Die Planungen für die zentrale Sportstätten-Bebauung auf der Elbinsel „Kleiner Grasbrook“ wirkten alles in allem überzeugend. Die durch die HafenCity initiierte Transformation der Topologie Hamburgs wäre weiter in Richtung südliches Elbufer fortgeschrieben worden. Es hätte schöne Sichtachsen aus dem geplanten neuen Stadion in Richtung Elbphilharmonie und Innenstadt gegeben.

Aber gegen diese architektonischen Impulse haben sich die Hamburger auch nicht ausgesprochen. Ich behaupte sogar, die NOlympia-Fraktion hat sich mit den Entwürfen von gmp und Co. gar nicht groß beschäftigt. Es geht um etwas anderes. Es herrscht zunehmend eine Art Event-Skeptizismus im Westen und vor allem in Deutschland. Die von Guy Debord in den 1960er Jahren vorgedachte Event-Gesellschaft gerät an ihr Ende. Die Menschen sind event-müde – vor allem, wenn diese Events mit großen Raumgreifungen einher gehen. Die Bevölkerung entwickelt, befördert natürlich durch die Attentate von Paris, verstärkt eine raum-ängstliche Haltung. Große Menschenansammlungen werden uns zunehmend suspekt. Das Großevent empfinden wir als Bürde, nicht mehr als Ehre oder den Beginn einer großen Party.

Für Debord lag in der immer großformatigeren und immer aufgeregteren kollektiven Feierei eine Art Selbstvergewisserung der modernen Gesellschaft. Im Zuge des durchregierenden Globalkapitalismus, so seine These, konnten Gesellschaft (und Menschen) nur noch ein Verständnis ihrer selbst gewinnen, wenn sie sich immer orgiastischeren Spektakeln hingaben. Genau dieser Mechanismus greift nicht mehr. Das Mega-Event sagt uns nicht mehr viel über uns selbst. Deutschland im speziellen hat spätestens seit der WM 2006 mit dieser Form der kollektiven Psychotherapie abgeschlossen. Man zitiert zwar gebetsmühlenartig das Sommermärchen, und das lässt man sich auch nicht durch die Vermutung kaputtmachen, dass der WM-Zuschlag womöglich erkauft war. Aber noch mal das Ganze? Warum? Man hat doch gezeigt, dass man es kann. Alles Weitere kann eigentlich nur noch schlechter werden. Und es ist ja doch auch ziemlich anstrengend.

Diese Haltung ist natürlich ein wenig egoistisch. Schließlich nimmt man an Olympischen Spielen grundsätzlich ja durchaus noch (An-)Teil. Aber damit abschuften sollen sich doch bitte andere. Das ist letztlich ein sehr rationales ökonomisches Kalkül. Man importiert lieber die Bilder aus anderen Ländern, als sich selber mit ihrer Produktion abzuplagen.

Für Deutschland ist der Zug „Großevent“ erstmal abgefahren. Interessant zu beobachten sein wird aber, wie sich andere Länder künftig verhalten. Was ist mit den USA (Los Angeles ist noch im Rennen für Olympia 2024)? Was mit anderen europäischen Ländern oder auch mit China? Wenn sie alle keine Lust mehr auf Großveranstaltungen haben, wird sich zwangsläufig der Vergabemechanismus umkehren. Dann bewerben sich nicht mehr Länder um die Spiele, sondern Fifa oder das IOC um Austragungsländer. Dann, und erst dann, könnten Länder mit diesen Events wirklich Geld verdienen. Nicht weil diese, wie immer diffus begründet wird, einen Konjunkturschub bedeuten. Sondern weil Fifa und IOC werden zahlen müssen. Was ja letztlich nur heißt, dass sie einen Teil ihrer beträchtlichen Sponsoreneinnahmen abgeben.

Aber ob das reicht? Vermutlich nicht. Ich glaube deshalb: Was wir heute Abend erleben, ist der Beginn vom Ende der Eventgesellschaft – und der erste Schritt in Richtung einer Welt ohne Mega-Events. Ökologisch mag das zu begrüßen sein; kulturanalytisch ist es eher schade.

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