02.09.2015

Öffentlich

Nachbarschaft 

Aus Frankreich kommen aufrüttelnde Nachrichten aus den Banlieues von Paris, in denen Jugendliche allein gelassen und ohne Hoffnung erwachsen werden. In den USA lesen wir von Boroughs, zum Beispiel in Los Angeles, in denen die öffentliche Verwaltung ganze Stadtteile in zentraler Lage quasi aufgegeben hat.

Aber so weit müssen wir gar nicht gehen. Auch der Berliner Bezirk Neukölln ist zum Synonym für gescheiterte Integration, Parallelgesellschaften und Jugendkriminalität geworden. Ein Bezirk mit 41 ProzentMigrationsanteil, in dem viele der Kinder von Hartz IV leben; ein Stadtteil, der durch den Hilferuf von Lehrern der Rütlischule und durch den Salafistenbrennpunkt Al-Nur-Moschee bundesweit bekannt wurde.

Manchmal sind es nur die ganz kleinen Dinge, die eine lawinenartige Entwicklung nach unten auslösen.

Matthias Schuler von Transsolar hat mir die folgende Geschichte erzählt: Vor etwa 60 Jahren hätten jeden Sommerabend in New Orleans alle Häuser zur Kühlung offen gestanden, die Familien hätten auf der Terrasse gesessen. Dann seien die Klimaanlagen eingeführt worden; die Leute hätten sich in ihre Häuser verkrochen und was geschah? Die Kriminalität explodierte, weil die sozialen Kontakte und mit Ihnen die soziale Kontrolle verloren ging.

Es geht aber auch anders. Mein Lieblingsprojekt auf der 10. Architekturbiennale in Venedig war der französische Pavillon, den der Architekt Patrick Bouchain mit 25 Kollegen besetzt und mit Leben gefüllt hat. Unter dem Titel „Metavilla“ wurde das Haus in eine vertikale Wohnsiedlung verwandelt. Es gab eine öffentliche Küche, in der Gäste und Teams vor Ort gekocht haben. An einem großen Tisch wurde gemeinsam gegessen, Wohn- und Arbeitsbereiche wurden in einer gerüstartigen Struktur provisorisch in das Gebäude gebaut. Auf dem Dach gab es eine Sauna und sogar ein kleines Schwimmbecken, in dem man sich die Füße kühlen konnte. Das Erarbeitete wurde auch gleich der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Gruppe hat die Frage gestellt, wo und wie Menschen zusammenkommen. Und wie kann die europäische Idee von Solidarität ins heute übersetzt werden? Ist das eine Idee nur für eine Ausstellung oder kann das Prinzip des lebendigen Miteinanders auch auf den größeren Maßstab übertragen werden?

Das Prinzip des Kommunikationsbüros ist bekannt. Schon lange geht es da nicht mehr um Zellenbüros für eine, zwei oder drei Personen. Auch hier geht es darum, wie Architektur aus Einzelkämpfern Teams formen kann.

Stark beeindruckt hat mich Ines Müller, die in der „High Deck Siedlung“ in Berlin-Neukölln das Quartiersmanagement verantwortet. Eine Siedlung aus den 70er Jahren, in der spätestens, wenn die Kinder zur Schule kommen, die Familien abwandern und dadurch eine kontinuierliche Entwicklung nach unten stattgefunden hat.

Seit Ende der 90er Jahre hat die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Gebiete identifiziert, die auf der Kippe stehen und die über ein Quartiersmanagement gestärkt werden sollen. Mittlerweile gibt es 34 solcher Gebiete. Davon 11 im Bezirk Neukölln. Ziel ist es, die Lebensverhältnisse zu verbessern und die soziale Infrastruktur so zu entwickeln, dass das nachbarschaftliche Miteinander gestärkt und das Wohnumfeld verbessert wird. Wesentlich ist dabei die Zusammenarbeit mit den Akteuren aus den Einrichtungen vor Ort: Schulen, Kitas, Freizeit- und Kultureinrichtungen, Wohnungsunternehmen und Arbeitgeber.

Doch auch auf Neubaugebiete lässt sich die Idee der Nachbarschaftlichkeit übertragen.

Die Bahnstadt Heidelberg ist ein neuer Stadtteil direkt neben dem Hauptbahnhof. Auf einer Fläche von 116 Hektar Bauland werden 2.500 Wohnungen für 5.000-6.000 Menschen und 7.000 Arbeitsplätze entstehen. Mit dem Einzug der ersten Bewohner wurde auch ein Nachbarschaftszentrum eröffnet. Hier ist ein zentraler Kommunikations- und Begegnungsort für die Bewohner des Stadtteils entstanden. Die Aktivitäten sind vielfältig: Frühstück, Kinderkino, Chor, Babygruppe, Spieletreff oder Boule. Nichts für die ganz große Leidenschaft. Trotzdem hat sich dadurch innerhalb von kurzer Zeit eine Identifikation mit den Nachbarn und der Nachbarschaft entwickelt.

Für mich als Planer stellt sich deshalb immer häufiger die Frage, wie wir helfen können, Menschen auch in der Stadt zusammenzubringen. Denn nur wer zusammenkommt, kann auch gemeinsam stark sein.

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