MVRDVs Wuhan Library: Natur gegen Stadt

Beim Wettbewerb um die neue Bibliothek in Wuhan ging der Entwurf des Büros MVRDV als Gewinner hervor. Zusammen mit ihren chinesischen Kollegen des Architectural Design & Research Institute der Universität Zhejiang (UAD) entwarf das Team die 140.000 Quadratmeter große Wuhan Library. Damit wird die Bibliothek zu den Größten des Landes gehören. Für ihren Entwurf entlehnt das Team typische Merkmale aus der Landschaft von Wuhan, um nicht nur ein Zentrum für Kultur, sondern auch ein Wahrzeichen für die Stadt zu schaffen.

Schon 2017 schlug das Büro beim Bau der Tianjin Binhai Library einen unkonventionellen Weg ein. Denn mit seinem kugelförmigen Auditorium und Bücherregalen in Form von Kaskaden sticht die Bibliothek von MVRDV aus dem Stadtbild heraus. Einen ähnlichen Ansatz wählten die Planer auch bei ihrem neuen Projekt: Gebäude wie die Wuhan Library oder Tianjin Binhai Library sollen nicht nur eine Leihbuchsammlung sein, sondern auch ein Zentrum für Bildung.

Die Wuhan Library liegt im Geschäftsviertel der Stadt. Trotzdem besitzt die Bibliothek einen eigenen Park, der das Gebäude in kleinen Inseln umgibt. Außerdem lädt zusätzlich eine große Grünfläche, die an einen städtischen Wohnbezirk anschließt, zum Verweilen ein. Im Zentrum dieser künstlich angelegten Natur erhebt sich das sechseckige Gebäude in seiner auffälligen Gestalt: Die gläsernen Seiten bilden halbrunde Flächen aus, die dem Bau durch unterschiedlich stark konkaven Kreisbögen eine asymmetrische Form geben.

Generell orientiert sich das Konzept des Gebäudes stark an der heimischen Topografie: Das nach oben geschwungene Dach stellt eine fließende Bewegung dar und ist eine Anspielung auf die Wasserlandschaft von Wuhan, die auch als „Stadt der 1.000 Seen“ bezeichnet wird. Diese Dachfläche setzt sich aus verschiedenen Teilen zusammen: Wellenförmige Lamellen verschatten den Innenraum, wobei zwischen ihnen kreisförmige angeordnete Solarmodule auf nachhaltige Weise Energie liefern.

Die Fassade dagegen ist mit senkrecht montierten Lamellen verkleidet. Unregelmäßig angeordnet spenden sie zum einen Schatten im Innenraum – dadurch wird der energetische Verbrauch bei der Klimatisierung reduziert –, zum anderen sollen sie als stilisierte Buchrücken auf die Funktion des Gebäudes hinweisen.

Die Bibliothek liegt genau auf der Grenze zwischen der großen städtischen Parkanlage und den Wohnsiedlungen. Durch diese Position wird die Wuhan Library zu einem Knotenpunkt, der ihren Stellenwert für die Bevölkerung unterstreicht. Der Besucher kann durch große Fenster auf jeweils drei Gebäudeseiten einen Panorama-Blick auf die Stadt aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln werfen.

Durchdacht sind auch die Formate der Fenster: Zum Park zeigen die zwei horizontalen Fensterformate, während geschwungene vertikale Öffnungen einen Blick auf die Hochhäuser im Stadtkern bieten. So hat man nicht nur von innen eine eindrucksvolle Aussicht, sondern kann auch von außen in die Bibliothek hineinschauen.

Im Inneren beziehen sich türmende Terrassen auf die städtische Landschaft, während eine tiefe „Schlucht“ für den Zusammenfluss der Gewässer in Wuhan steht. Dadurch dient er als Haupttreffpunkt für die Besucher, auf dem symbolisch sämtliches Wissen zusammenfließen kann.

So bezeichnet Jacob van Rijs von MVRDV die Überlegung hinter der Gestaltung vom Innenraum der Wuhan Library als „nature versus the city“-Konzept. Während sich im Erdgeschoss ein großer öffentlicher Raum erstreckt, schichten sich ab dem Geschoss darüber ringsum stufenartig verschiedene Bereiche scheinbar lose übereinander. Dabei schaffen die Terrassen, die sich nach oben hin verkleinern, Möglichkeiten zum Rückzug der Besucher.

Gleiche Einrichtung, komplett andere Umsetzung: Das Londoner Büro Wright & Wright entwarf die neue Bibliothek vom St. John’s College in Oxford, ebenfalls mit einer aufwendigen Fassade.