28.05.2014

Wohnen

Möglichkeitsmodelle

Ständig sitzen wir. Im Büro, zu Hause auf der Couch, womöglich auch noch in der Mittagspause. Weil es bequem ist. Nicht nur für uns, auch für unsere Muskeln und Gelenke. Die werden „ent-“lastet, das Körpergewicht wird also besser verteilt als zum Beispiel im Stehen. Irgendwie ist das Ganze also sogar gesund. Oder nicht?

Kommt drauf an. Wenn wir zu viel „Gewicht verteilen“, fährt der Stoffwechsel auf einen sogenannten Lowmodus runter. Nicht mehr so gesund. Außerdem kriegen unsere Bandscheiben diese ganze Gewichtsverlagerung ab. Irgendwo müssen die Kräfte schließlich auflagern. Am Ende der Gewichtskette steht natürlich der Stuhl, auf dem wir sitzen.

Und warum erzähle ich jetzt was vom Sitzen in einer „Designkolumne“? Wegen dem Stuhl. Denn der ist unser wesentlicher Partner bei der Sitzwahl. Ihn gibt es für unzählige Sitz-Zwecke: zum Arbeiten, zum Essen, zum Gesellschaften. Diese ganzen Nutzungen und auch die Vielfalt an Materialien, Farben und Herstellungsverfahren regen Stuhl-Bauer (darunter Designer, Ingenieure, Architekten) an, sich immer wieder neu mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Entgegen diesem Entwurfswillen und Produktionsreichtum steht eine Aussage von Ludwig Mies van der Rohe. Er sagte, es sei schwieriger, einen Stuhl zu entwerfen als einen Wolkenkratzer. Weil der Stuhl eben so simpel ist. Wie kann man das dann noch anders, oder gar „besser“ machen als all die Stuhlentwerfer zuvor?

Mit der Frage nach dem Warum (trotzdem immer neue Stühle produziert werden) beschäftigte sich in diesem Jahr auch eine Ausstellung in der Werkbundgalerie Berlin mit dem Titel: „Zwischen den Stühlen –Möglichkeitsmodelle als Sitzgelegenheiten“. Axel Kufus, Professor für Entwerfen und Entwickeln im Design an der Universität der Künste in Berlin, stellte dort fünf Prototypen von Design-Studenten vor. Oder besser: fünf Möglichkeitsmodelle. Denn bei den Entwürfen ging es um die immer neuen – oder gar unentdeckten – Möglichkeiten der Herstellungsprozesse.

Dass es da nicht immer der „herkömmliche“ Weg sein muss, zeigt die Diplomarbeit von Joscha Brose. Er arbeitete mit einer textilen Gussform, bei der die Textilien verschweißt und mit PU-Schaum gefüllt sind. Inspiriert hat ihn das preisgünstige Herstellungsverfahren von Luftmatratzen. Broses Gussform ist also eine  Low-Tech-Alternative zum teureren „Gas-Injection-Moduling“: Statt Spritzgussformen aus Stahl, lassen sich durch Stoffzuschnitte vielseitige Formen entwickeln. Das geht dann auch in kleinen Serien. Und die textile Sitz-Oberfläche ist auch gleich dabei.

Das Beispiel ist inspirierend. Aber warum werden denn nun immer neue Stühle entworfen? Vielleicht hatte Mies van der Rohe nur in Teilen Recht. Schließlich durchläuft ein Stuhl keine „Leistungsphasen“, bis er sitzfertig ist. Damit ist es dann doch „leichter“, einen Stuhl zum Forschungsgegenstand zu machen als einen ganzen Wolkenkratzer.

In Kooperation mit lightlive

Fotos oben: Tine Huhn; Fotos Ausstellung: Werkbund Berlin

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