Berlin ist groß geblieben.

Mehr als fünfzig Tage sind vergangen seit dem letzten Beitrag und es gibt nach wie vor ausreichend Klischees zu prüfen, Bars zu erkunden, Imbissbuden zu testen, Konzerte zu besuchen, Museen zu sehen und ja auch der Architektur kann man nicht entkommen – selbst wenn man wollte.

Eines nach dem anderen. Am Anfang war endlich ein Dach über meinem Kopf. Ein recht spartanisches, im (noch) hippen Friedrichshain – typisch Berlin könnte man meinen.
Nur teilweise richtig, wie ich finde. Schließlich ist dieses typische Berlin, dass die halbe Welt zu kennen scheint, nur eines von vielen Berlins.
’Gute Dörfer’ statt ‘gute Döner’ hatte jemand im Titel des letzten Blogeintrages geglaubt zu lesen. Das trifft es sehr gut, denn Berlin kann auch recht klein bleiben, wenn man es will.
Jeder Kiez scheint anders zu sein und Geschmäcker sind verschieden: ‘Mitte ist Shitte, Prenzl Berg ist Petting, real Sex is only Wedding’ wie ein Sticker bei einer Prenzlauer Straßenbahnhaltestelle skandierte.
Berlin gehört zu jenen Städten, die einem das Gefühl vermitteln besonders viele Identitäten zu besitzen. Woran das liegen mag? Vermutlich eine Mischung aus der Größe, der jüngeren Geschichte, den zahllosen ‘leeren’ Flächen und nicht zu Letzt der gebauten Vielfalt.

Also, zurück zur Architektur!

Die Bandbreite der zeitgenössischen Architektur zeigte sich bis Ende März in der jährlichen Ausstellung der Architektenkammer Berlin: ‘Da!’. Ausgewählte Projekte von Mitgliedern der Kammer waren in allen Maßstäben zu sehen: Einfamilienhäuser, Brücken, Schulen, Gedenkstätten, Museen und Baumhäuser. Unter den 68 Projekten konnte man auch das OLS Haus von J Mayer H finden. Mehr Architektur gab es in bürointernen Vorträgen, sei es Software spezifischer Natur oder eine spannende Präsentation des Ingenieurbüros Knippers Helbig. Unter anderem bekannt durch die Beteiligung am Bau des Flughafens Shenzen, entworfen von Massimiliano Fuksas.
Ein kleiner Ausflug in die Realisierbarkeit komplexer Geometrien und kulturbedingter Unterschiede in Sachen Baukultur – unvermeidlich drängt sich der Vergleich mit dem Flughafen Berlin Brandenburg auf…

Als formales Kontrastprogramm zum Fuksas’schen Mantarochen präsentierten im KW Institute for Contemporary Art Éric Lapierre und Thomas Raynard ihre minimalistischen Entwürfe. Mein persönliches Lieblingszitat von Éric Lapierre, in Bezug auf den Entwurfsprozess, hier sinngemäß wiedergegeben: We try to avoid making decisions as long as possible.

Dieser Leitsatz entspricht ein wenig meiner bisherigen Vorgehensweise, was die Betrachtung von Architektur vor Ort angeht. Zumindest hier in Berlin.
’Wo anfangen?’, frage ich mich. Chipperfield, Corbusier, Eisenman, Gropius, Libeskind, Koolhaas, Sauerbruch Hutton, Schultes Frank, Mies van der Rohe, Foster, Gehry – die Liste bekannter Namen ist lang, die der vielleicht weniger bekannten noch viel länger.

Auf jeden Fall nicht mit dem Brandenburger Tor – es hatte gut sechs Wochen und den Besuch dreier Freunde aus drei Ecken Europas benötigt , um das Brandenburger Tor in Natura zu erblicken. Scherzhaft unterstellte man mir im Büro bereits Absicht. ‘Banauserich’ nannte mich ein Freund aus Wien.
Nein, das hat natürlich nicht mit Ignoranz zu tun, die Stadt hat schlicht und einfach sehr, sehr viele Ecken, grandiose und bekannte, ebenso wie unspektakuläre und unerwartete.

Es kann durchaus passieren, dass man im Regen unbeabsichtigt Chipperfields Wandscheiben aus geschlämmten Abbruchmauerwerk gegenübersteht. Die Rede ist von dem ‘Galeriehaus am Kupfergraben 10’ – ich hatte selbiges ganz vergessen, bis es mich wiederfand.
 Oder aber man stolpert im Atrium eines nahe gelegenen Luxushotels über den AquaDom . Ein 25 Meter hoher Acrylglaszylinder gefüllt mit Salzwasser, tropischen Fischen und einem Glasaufzug im Kern, der vermutlich weniger aus Architekturpublikationen bekannt ist, als aus Reiseführern. Kurz lässt der AquaDom Gedanken an Dubais Burj Al Arab aufkommen – mir machen diese Gegensätze Spaß!

Was die Klassiker auf Berlins Stadtkarte angeht, stand am Anfang ein spontaner Besuch in Scharouns ‘Berliner Philharmonie’ untermalt von deutscher Romantik – den musikalischen Mitbewohnern sei Dank!
Die Philharmonie hält was Vorlesungen aus der Uni versprachen: expressiver Ausdruck, beeindruckende Räume und eine sehr spannende Beziehung zwischen Zuschauerraum und Bühne. Nur die Musikerbar ‘hinter’ der Bühne war architektonisch unspektakulär, machte aber nichts, denn dafür bekam ich zum ersten Mal mit Butter gefüllte Brez’n. Für mich überraschend war die teilweise etwas rohe Bauweise und Anmutung der Innenräume – aber wenn man darüber nachdenkt auch verständlich. Man darf nicht vergessen, dass das Gebäude 1963 fertiggestellt wurde – lange vor CAAD, 3D Modelling und parametrischem Design.Klar da war noch mehr, sehr spannend war zum Beispiel der geführte Besuch durch die nordischen Botschaften. Inklusive schwedischer Wendeltreppe, symbolischem Meer zwischen Schweden und Finnland, tonnenschwerer Geheimtür, und falscher Lava. Außerdem erwähnenswert ist der finnische Bauteil, den in einem Wettbewerb unerfahrene Studenten gewannen. Ein ausgezeichnetes Buffet gab es ebenso. Mit Rentierprosciutto und Elchsalami. Oder war es Elchproscuitto und Rentiersalami? Aber mehr dazu vielleicht ein anderes Mal.

Denn ein Teil dieses Blogbeintrags sollte nicht zuletzt auch dem praktischen Beweggrund dieses Auslandsaufenthaltes gewidmet sein:
Es ist recht viel passiert bei J. Mayer H. und Partner, Architekten. Fleißig wird an RKM gearbeitet, digital und analog, letzteres bevorzugt am 1:50 Arbeitsmodell.
Aber die besten Neuigkeiten dieses Monats: VOLT wurde in der Überarbeitungsphase gewonnen! Alle Beiträge sind noch bis 23. Mai in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Lichthof, Am Köllnischen Park 3 zu sehen.

An diesem Wettbewerb habe ich zwar nicht mitgearbeitet, aber dafür gab es zwei weitere, bei denen ich meinen Spaß hatte. Bilder gibt es leider noch keine, denn noch sind die Ergebnisse ausständig – wir warten gespannt, während der nächste Wettbewerb bereits in Arbeit ist!

Also langweilig wird es hier wohl nicht mehr werden, spannende Projekte gibt es genug und ja, auch außerhalb des Büros bin ich für die nächsten Monate zuversichtlich gestimmt: Berlin wird sicherlich groß bleiben.

Die Baumeister Academy wird unterstützt von Graphisoft.

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